Möglicherweise hat die Klimawissenschaft bisher die Bedeutung der sogenannten «Tipping Points» oder «Kippelemente» für das gesamte Klimasystem unterschätzt. Das legt eine Studie nahe, die in der amerikanischen Wissenschaftszeitschrift «Science» veröffentlich worden ist. «Die Risiken sind  grösser als bisher angenommen, weil die Interaktionen zwischen verschiedenen solchen Tipping Point-Prozessen dynamischer sind als erwartet», zitiert The Guardian Juan Rocha, einen der Autoren vom Stockholm Resilience Centre.

Kippelemente sind Ereignisse in einem scheinbar linear ablaufenden Prozess, die an einem bestimmten Punkt plötzlich sprunghaft eine schwerwiegende und oft nicht mehr umkehrbare Veränderung auslösen (etwas populär erklärt; ein schräg stehendes Glas Wasser kann man auffüllen, bis es plötzlich kippt und ausleert). Zu diesen heiklen Prozessen gehören unter anderem die Desertifikation von Wäldern, das Schmelzen von Gletschern und Eisbergen oder die Korallenbleiche.

Die Wissenschaftler haben untersucht, wie solche hochsensiblen Tipping Point-Prozesse zusammenhängen, sich gegenseitig beeinflussen, möglicherweise verstärken und so ganze Kaskaden von Ereignissen auslösen. Nur 19 Prozent der untersuchten Prozesse haben keine Auswirkungen auf andere solche Prozesse, 36 Prozent haben zwar gemeinsame Ursachen, beeinfluss sich aber nicht gegenseitig. Aber immerhin 46 Prozent können weitreichende Dominoeffekte auslösen oder verstärken Rückkoppelungseffekte, die sich dann gegenseitig «hochschaukeln». Gehen etwa Korallenbänke zugrunde, werden die  Mangrovenwälder Stürmen und Flutwellen ausgesetzt, was wiederum Auswirkungen auf den ganzen Küstenschutz hat.  Auch die zunehmende Entwaldung der Amazonas-Regenwälder hat weitreichende Kaskadeneffekte: Sie verändern die Regenverhältnisse, was wiederum die Versteppung fördert und damit Wasserversorgung für die Landwirtschaft und Städte wie São Paulo.

Wie die Wissenschaftler betonen, geht ihre Studie über die Analyse des Klimasystems hinaus; sie umfasst auch die Auswirkungen  auf die Biodiversität, die Bodenerosion, die Landwirtschaft oder die Städte.. Und: «Uns geht es vor allem auch darfum, wie diese Prozesse das tägliche Leben der Menschen beeinflusst.» (CR)