Weit über 20’000 Schülerinnen und Schüler in 15 Schweizer Städten haben am Freitag (18. Januar) gestreikt, um die Öffentlichkeit aufzurütteln und gegen die Untätigkeit der Politikerinnen und Politiker zu demonstrieren. Seit Mitte Dezember, als in Zürich erstmals einige hundert Schülerinnen und Schüler auf die Strasse gingen, hat diese neue Jugendbewegung über Facebook, Whatsapp und Instagram rasend schnell Zehntausende mobilisiert.

Sowohl der Tages-Anzeiger wie die NZZ haben diesmal nicht bloss mit kleineren Meldungen reagiert, sondern mit längeren Reportagen. Allzu viel erfährt man trotz dem grossen journalistischen Aufwand leider nicht, da beide Zeitungen vor allem Geschichten erzählen, mit einzelnen Protagonisten geplaudert haben und impressionistische Schilderungen der Demos boten («Ein pinkes Plastikröhrchen schwankt in der Luft. Am unteren Ende umklammern es Kinderhände. «Das ist meine Welt», steht auf dem Pappstück am oberen Ende in Kinderbuchstaben. …Ein Mädchen hat sich einen Eisbär aus Plüsch um die Schultern gelegt.» Kurz: Journalisten-Kitsch.

Ob es «jugendliche Ohnmacht» war, «die an einem strahlenden Freitagmorgen dargebracht» wurde, wie der Tages-Anzeiger schreibt, oder nicht doch eher Empörung, Aufbegehren gegen die Unfähigkeit der Politik und deren Dauerkniefällen vor den diversen Lobbyisten, den faulen Ausreden, bleibe dahingestellt.

Eher mit Erstaunen registrieren Tages-Anzeiger und NZZ, dass die Bewegung sich über Dutzende von Whatsapp-Gruppen organisiert, so Klimastreik Zürich, Climate Strike CH, Grève du climat Genève oder Coordination Group CSCH, und die Klimastreikes sich international vernetzen mit Deutschland und Belgien.

«Der Schweiz kann nichts Besseres passieren»

Die völlig basisdemokratische Bewegung, die ohne jede formelle Hierarchie auskommt, weckt bei den Parteien unterschiedliche Gefühle. Während Regula Ritz, Präsidentin der Grünen, laut Tages-Anzeiger meint: «Das ist ein Protest von unten» und: «Der Welt und der Schweiz kann nichts Besseres passieren, als wenn die junge Generation aufsteht und ein Recht auf ihre Zukunft fordert.», gibt sich FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bieler eher betupft. Dass die Klimastreiker auf die kommenden Nationalratswahlen anspielen, versteht er als «verklausulierte Drohung», womit er wohl nicht ganz Unrecht hat. Bloss: Wäre die FDP die Umweltpartei, als die sich sich gibt, müsste sie sich dann durch die Drohung angegriffen fühlen?

Die NZZ wetzt bereits ihr Messerchen

Die NZZ, die den Klimastreik der Schülerinnen und Schüler bisher geflissentlich ignoriert hat, muss dieses Mal etwas weiter ausholen, um ihre Leserinnen und Leser auf den aktuellen Stand zu bringen. Auch sie versucht es mit einem sogenannten «szenischen Einstieg», wenn auch nicht auf dem Niveau wie der Tages-Anzeiger mit seinen Plastikröhrchen, Kinderhänden und Plüschtieren, sondern mit «Georg, George, Georg-Rufen», die über den Basler Claraplatz schallen. Später erfahren wir auch, dass eine Lea Schiller und eine Helena Gutknecht ihre Freundinnen umarmten. («Wer die NZZ liest, weiss mehr»)

Nach einigen Exkursen etwa über die 15jährige schwedische Schülerin Greta Thunberg und anderes, kommt die NZZ dann doch noch gleichsam durch die Hintertür auf das zu sprechen, was ihr vermutlich bald als Hauptargument für den Abschuss der Schülerstreik-Bewegung dienen wird: das aus begreiflichen Gründen widersprüchliche Verhältnis der jungen Leute zum Fliegen.

Weil Billigfliegen so verlockend sei, so einige offenbar repräsentative Gesprächspartner der NZZ, «muss sich die Politik einschalten.» Die Politik soll zum Handeln gezwungen werden. Und schon sind die Schülerinnen und Schüler in die raffiniert aufgestellte Falle getappt. Kann eine Bürgerbewegung «die Politik» zu etwas zwingen, das nicht einmal sie selbst so richtig ernsthaft will? Wissen diese jungen Leute denn nicht, wird die NZZ wohl bald lautstark fragen, wie Demokratie in der Schweiz tatsächlich funktioniert?

Gern hätte man in den beiden überlangen Reportagen zum Beispiel erfahren, was die streikenden Schülerinnen und Schüler unter Klimanotstand verstehen, wer diesen ausrufen soll, was er genau beinhaltet und welche Massnahmen er zwingend erfordert oder wenigstens ermöglichen würde. Darüber hat man bisher weder im Tages-Anzeiger noch in der NZZ wirklich Klärendes gelesen. (CR)