Fast könnte man meinen, die NZZ sorge sich um den Klimastreik. Oder um die Gletscherinitiative. Oder um beide. So ganz klar ist das derzeit nicht.

Während die meisten Schweizer Tageszeitungen, so etwa die Tamedia-Zeitungen, die Lancierung der Gletscherinitiative mit einer winzigen SDA-Meldung abtun, widmet die NZZ der Initiative und dem Klimastreik der Schülerinnen und Schüler zwei Texte, eine halbseitige «Analyse» und einen Kommentar. «Endlich Druck von den Jungen» betitelt Michael Schoenenberger seinen Kommentar. Und wäre er nicht etwas arg paternalistisch, könnte man den Kommentar fast als Aufruf an die NZZ-Leserinnen und -Leser missverstehen, am 2. Februar an der Klimademo in zwölf Schweizer Städten mitzumarschieren. Aber Schoenenberger mahnt: «Es gilt, den jugendlichen Furor in positive Bahnen zu lenken.(…) Denn ganz grundsätzlich ist es zu begrüssen, dass sich junge Menschen politisch artikulieren.» Was eigentlich impliziert, dass er die Klimastreikenden derzeit noch nicht auf einer positiven Bahn wähnt.

Und an die Jugendlichen gewandt, die er letztlich doch wieder als Generation Konsum tadelt, meint Schoenenberger: «Wer also auf die Strasse geht und die Politik auffordert zu handeln, tut zwar etwas Sinnstiftendes. Etwas Gutes und Nützliches täte er indessen, wenn er gleich bei sich selber anfangen würde. Und zwar heute, nicht morgen.» Klug findet er indessen, dass die Jungen «sich nicht instrumentalisieren lassen, von keiner Gruppierung, auch nicht von den grünen Parteien. Und so machen sie offiziell auch nicht bei der Lancierung der Gletscherinitiative mit.»

Demonstrieren und Unterschreiben

Dieser Spur folgt auch die «Analyse» von Larissa Rhyn. Auch sie möchte offensichtlich lieber, dass sich die jugendlichen Klimastreiker nicht zu heftig auf eine Allianz mit den Initianten der Gletscherinitiative einlassen.

Zwar seien einzelne Klimastreikende im Verein Klimaschutz Schweiz aktiv, der die Gletscherinitiative lanciert. Eine von ihnen mache gar im Initiativkomitee mit. «Ich persönlich finde es gut», sagte diese laut NZZ, «die demokratischen Mittel, die uns zur Verfügung stehen, zu nutzen, um unser Ziel zu erreichen. (…) Es gibt aber in der Bewegung einige Jugendliche, die nicht wollen, dass wir uns einer Partei oder einer externen Organisation zu stark annähern.»

In der Tat gibt es zwischen den Forderungen des Klimastreiks und der Gletscherinitiative nur eine wesentliche Differenz: Der Klimastreik will das Ziel Netto Null bis 2030 erreichen, die Initiative bis 2050. Beide Zahlen meinen aber letztlich dasselbe, nämlich: möglichst schnell. Die Initianten der Gletscherinitiative werden wohl kaum etwas dagegen haben, wenn es denn schneller geht. Andererseits gibt es vermutlich keinen ernstnehmenden Klimawissenschafter, -ökonomen oder -politiker, der ein belastbares Rezept hat, wie man innert knapp zehn Jahren auf Netto Null kommen könnte,

Die zweite, von der NZZ identifizierte Differenz – Protest auf der Strasse oder Volksinitiative – ist dagegen eine Scheindifferenz. Auch die radikalsten Schülerinnen und Schülern wissen, dass politische Entscheide nicht direkt auf der Strasse gefällt werden, sondern der Druck der Strasse politische Entscheide im Parlament allenfalls beschleunigt und eine Volksabstimmung beeinflussen kann. Klimastreik und Initiative schliessen sich also nicht aus, sondern ergänzen sich. Man kann (und soll) auf der Strasse demonstrieren und gleichzeitig die Gletscherinitiative unterschreiben.

Auch bürgerliche Politiker wie Ruedi Noser beginnen umzudenken

Überraschend findet die NZZ, dass mit FDP-Ständerat Ruedi Noser auch ein renommierter bürgerlicher Politiker sich für die Gletscherinitiative engagiert. Er wird allerdings kaum der einzige bleiben, denn auch in den bürgerlichen Parteien setzt sich allmählich, wenn auch langsam, die Einsicht durch, dass der Klimawandel ein äusserst dringliches Problem ist, dass die politischen Ränkespiele und faulen Tricks der SVP- und FDP-Verhinderungspolitiker aufhören müssen und dass Massnahmen gegen den Klimawandel auch für die Wirtschaft durchaus profitabel sein könnten. Eher erklärungsbedürftig ist, falls die NZZ ihn richtig zitiert, Nosers Satz: «Ich finde es spannend, dass sich die Jugendlichen für den Klimaschutz einsetzen, aber sie sollen sich ja nicht politisieren lassen.» Demonstrieren als lustiger, nein «spannender» Strassenplausch, das Politisieren aber überlasst mal bloss bitte uns Politikern? Wer die Jugendlichen auf diese Weise auf die «positive Bahn» umlenken will, braucht sich nicht zu wundern, wenn diese ihn nicht sonderlich ernst nehmen. (CR)