«Mit neuen AKW gegen den Klimawandel – kommt das gut?», heisst es in der Online-Ausgabe der Tamedia-Redaktion. Die Antwort lautet: Nein! Dazu liefert Christoph von Eichhorn, der Leiter der Wissenschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung, eine Reihe von gewichtigen Argumenten.

Die AKW-Lobby ist derzeit wieder besonders aktiv und bietet sich als Klimaretterin an. Zu ihren prominentesten Fürsprechern gehört der Microsoft-Gründer Bill Gates. Er will eine Milliarde Dollar in eine neue Atomtechnologie investieren und eine weitere Milliarde von privaten Geldgebern einsammeln. Nicht ganz uneigennützig, denn Gates ist zufällig auch der Besitzer eines Unternehmens Terra Power, das über «neuartige Atomreaktoren» forscht.

Von Eichhorn zitiert aber auch einen Bericht des Massachusetts Institute of Technology (MIT) zur Zukunft der Atomenergie. Ein fundamentales Problem seien vor allem die Kosten: «Während erneuerbare Energien wie die Fotovoltaik oder Windkraft in den letzten Jahrzehnten beständig billiger wurden, verteuerten sich neue Kernkraftwerke gleichzeitig.» Wind und Fotovoltaik seien in den meisten Weltregionen praktisch immer günstiger als die Atomenergie, selbst bei optimistischen Annahmen für die Atomkraft. Damit diese wieder konkurrenzfähig würde, müssten unter anderem die Sicherheitsstandards reduziert werden.

So richtig zukunftsträchtig scheinen aber auch die europäischen Druckwasserreaktoren nicht zu sein. Bei den drei derzeit im Bau befindlichen Reaktoren in Finnland, Grossbritannien und Frankreich sprengen Kosten und Bauzeit alle ursprünglichen Planungen. Die Bauarbeiten in Finnland dauern schon fast zehn Jahre länger als geplant. Die britische Anlage Hinkley Point C dürfte nach Berechnungen von Greenpeace über eine Laufzeit von 35 Jahren 108 Milliarden Euro an Subventionen kosten. 

Von Eichhorn erwähnt auch eine Studie der Internationalen Energieagentur (IEA). Selbst im günstigen Fall, dass dank verbesserter Energieeffizienz und erneuerbarer Energie die Atomkraft bloss noch fünf Prozent des weltweiten Energiebedarfs decken müsste, müssten 1000 neue Atomkraftwerke gebaut werden, zitiert der TagesAnzeiger den Ökonomen Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Im Vergleich zu heute wäre das eine Verdreifachung der Reaktoren.

Um die Kosten- und Sicherheitsprobleme in den Griff zu bekommen, hoffen viele Kernkraft­befürworter auf Neuentwicklungen. So arbeitet Bill Gates’ Terra Power an einem sogenannten Laufwellenreaktor, der mit abgebrannten Brennstäben aus Leichtwasserreaktoren oder abgereichertem Uran auskommen soll. Über die Grundlagen­forschung ist die Technologie allerdings noch nicht hinaus­gekommen. Auch über die Risiken dieser Technologie ist laut von Eichhorn noch kaum etwas bekannt.

Einen funktionierenden Prototypen soll Terra Power nach eigenen Angaben bis Mitte der 2020er-Jahre anstreben. Bis zur Marktreife dürften dann noch etliche weitere Jahre vergehen. «Bis ein Kraftwerk dieses Typs im Grossmassstab im Einsatz ist, müssen wir den Klimawandel längst gelöst haben. Darauf können wir nicht warten», sagt Manfred Fischdick. (CR)