Fast hätte die NZZ einen kleinen Coup gelandet. Aber nur fast; denn das engagierte Plädoyer gegen Internet und Streamingdienste schoss – haarscharf daneben. «Streaming ist das neue Fliegen», titelte die NZZ auf der Frontseite, und wer wollte, konnte den Artikel sehr wohl auch als Angriff auf «die Jungen» verstehen, die ja bekanntlich für das Klima demonstrieren und streiken, aber ansonsten den ganzen Tag auf ihr Handy glotzen und Filmchen streamen, wenn sie nicht grad auf der Maturreise nach Indien fliegen.

In der Tat sind die Zahlen beeindruckend: Eine Studie der französischen Denkfabrik «The Shift Project», die den ökologischen Fussabdruck der ICT-Branche zu mes­sen versucht, kommt laut NZZ zum Schluss, dass die umweltpolitischen Folgen der digitalen Wirtschaft konstant unter­schätzt werden. So mache der An­teil der ICT-Branche an den globalen Treibhausgasemissionen rund 3,7 Prozent aus. Das sei fast doppelt so viel wie der Beitrag der zivilen Luftfahrt (2 Prozent) und knapp die Hälfte des Ausstosses aller Personenfahrzeuge und Motorräder (8 Prozent). Sorgen mache vor allem die rasche Zunahme des digitalen Energieverbrauchs um jährlich rund 9 Prozent.. Setze sich dieser Trend fort und steige das Datenvolumen im Internet weiterhin um zirka 30 Prozent pro Jahr, wäre die ICT-Branche schon 2025 für rund 8 Prozent aller Treibhausgasemissionen ver­antwortlich. 

Für die rasante Zunahme der Energieverbrauch macht die Studie vor allem vier Gründe aus: erstens die weltweit um zirka 11 Prozent pro Jahr wachsende Zahl von Smartphones und deren immer energieintensivere Features. Zweitens die zunehmende Verbreitung digital vernetzter Peripheriegeräte in Freizeit und Haushalt. Drittens der Aufstieg des Internets industrieller Dinge. Und viertens die Explosion des Datenverkehrs, was primär auf Angebote internationaler Tech-Giganten wie Google, Apple, Facebook, Amazon, Baidu oder Alibaba zurückzuführend sei.

Eine kleine Spitze gegen die jugendlichen Klimastreikenden?

Interessant ist auch ein Beispiel, das die NZZ anführt, nämlich das Streaming von Videos, das für über 80 Prozent der Zunahme des Datenverkehrs im Internet verantwortlich ist: » Der vor allem bei jungen Generationen populäre Zeitvertreib benötigt 1500-mal mehr Energie als der gewöhnliche Betrieb eines Smartphones. Wer zehn Minuten über die Cloud ein Video anschaut, verbraucht gleich viel Strom, wie wenn er fünf Stunden nonstop E-Mails mit angehängten Dateien verschickt. Oder wie wenn er fünf Minuten einen elektronischen 2000-Watt-Ofen mit voller Kraft im Heizbetrieb hält.»

Wo es dann allerdings darum geht, die «Schuldigen» zu benennen, figurieren nach dem «letztlich immer eigenverantwortlichen Konsumenten, der mehr Datenvolumen nachfragt oder neue Smartphones erwirbt», nicht etwa Netflix und ähnliche streaming-Dienstleister, sondern Firmen wie Amazon, Apple, Microsoft und Samsung, die vor allem Hardware bereitstellen, die quer durch alle Gesellschaft- und Altersschichten gleichmäßig genutzt werden.

Das ist aber nicht der einzige Grund, warum der Titel «Streaming ist das neue Fliegen» und der Untertitel «Schädlicher als die Luftfahrt» am Thema vorbeischiesst. Das Problem ist ein anderes: Wir haben letztlich kein Energie-Problem, sondern ein CO2-Problem. Mit anderen Worten: Wenn es gelingt, genügend grüne Energie zu produzieren, dann können die Jungen (und Alten) streamen und chatten und «simsen» und was auch immer, ohne dass es dem Klima schadet. Dass es andere Gründe gibt, den immens zunehmenden Datenfluss, das permanente Geplauder und Geplapper, die Vereinnahmungs- und Manipulationstechnike der grossen Internetdienste, die kommerzielle Ausbeutung der Privatsphäre und Ähnliches kritisch zu hinterfragen, ist völlig berechtigt und richtig, hat aber nur indirekt mit dem Klima zu tun. (CR)