Die NZZ skizziert in fünf Artikeln auf einer Doppelseite «Wege und Irrwege» einer künftigen Schweizer Klimapolitik aus liberaler Sicht. Das ist vor allem deshalb interessant und wichtig, weil diese Analysen vermutlich genau den Rahmen für den neuen klimapolitischen Kurs der FDP abstecken.
Dabei gehen die NZZ-Autoren von einer etwas erstaunlichen – oder vielleicht doch FDP-typischen? – Feststellung aus: «Wie rasch ein Gemeinwesen die Emissionen senken will, ist ein politischer Entscheid, der im Idealfall auf Erkenntnissen der Klimawissenschaft beruht.» Zum Ersten: Könnte es sein, dass die NZZ noch nicht mitbekommen hat, dass der politische Entscheid mit der Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens durch die Schweiz bereits gefällt ist und eigentlich gar nicht mehr zur Diskussion steht? Und zweitens: Sind die Erkenntnisse der Klimawissenschaft nur im Idealfall entscheidend für die Klimapolitik oder reicht gegebenenfalls auch eine Meinungsumfrage unter den Mitgliedern der FDP?
Und noch eine andere Sache stellt René Höltschi bereits in seiner Einleitung klar: «Bei der Frage, wie das Ziel umgesetzt wird, sollte (…) die Ökonomie im Vordergrund stehen und die internationale Zusammenarbeit gesucht werden.» Für das Klima sei es schliesslich irrelevant, ob mehr CO2 im Auto- oder im Luftverkehr, in der Industrie oder beim Heizen, in Spanien oder in Island eingespart werde. «Für die Wirtschaft hingegen macht dies viel aus, da die Kosten für emissionsärmere Lösungen stark variieren.» Ein klares Plädoyer für die sogenannte Ausland-Kompensation und den Anschluss der Schweiz an das europäischen Emissionshandelssystem (EU-EHS). Allerdings: Statt billiger könnte es für die Wirtschaft aber auch sehr viel teurer werden, wenn man ein wenig weiter in die Zukunft denkt als nur bis 2020 oder 2030: Dann nämlich, wenn die Wirtschaft alle notwendigen inländischen Reduktionsmassnahmen nicht mehr auf 30 Jahre verteilen kann, sondern sie innert knappen zehn oder fünfzehn Jahre durchziehen muss, um bis 2050 auf das verbindliche Ziel von annähernd Netto-Null zu kommen. Denn ob die erhofften oder erträumten viel billigeren technologischen Instrumente zur CO2-Reduktion bis in fünf oder zehn Jahren zur Verfügung stehen, weiss niemand. Oder hofft man vielleicht insgeheim, dass man die inländischen 40 oder 50 Millionen Tonnen CO2 mit diplomatischem Geschick oder einem anderen Täuschungsmanöver zum Verschwinden bringen kann?
Trotz diesen Einwänden sind die einzelnen Texte aufschlussreich. Die vier NZZ-Autoren zeigen die Problematik und die liberalen Lösungsvorschläge am Beispiel von vier ausgewählten Teilbereichen auf, der CO2-Abgabe, dem Emissionshandel, der Subventionspolitik und dem sogenannten «Gebäudeprogramm«.
Unverbrüchliches Vertrauen auf die Marktkräfte
«Grob vereinfacht stehen dem Staat», so René Höltschi, «vier Wege zur Umsetzung klimapolitischer Ziele zur Verfügung. Er kann erstens mit Geboten und Verboten ein klimafreundlicheres Leben und Wirtschaften vorschreiben, zweitens klimafreundliche Technologien wie die Solarenergie mit Subventionen und ähnlich wirkenden Massnahmen (z. B. garantierten Abnahmepreisen) fördern, drittens mit Lenkungsabgaben dem CO2-Ausstoss einen Preis geben und so das Verhalten beeinflussen und viertens Emissionshandelssysteme einführen.» Die Schweiz setze wie die EU auf einen Mix dieser Instrumente, wobei für Höltschi klar ist, dass Gebote/Verbote und Subventionen aus ordnungspolitischen Gründen nur zweite Wahl sind, «solange marktkonforme Instrumente zur Verfügung stehen».
Vorbildlich findet Giorgio V. Müller etwa die CO2-Abgabe auf Brennstoffe, die tatsächlich stark zur Reduktion der Emissionen beigetragen hat – um mehr als ein Viertel von 23,8 (1990) auf 17,2 Millionen Tonnen (2016). Als weltweit einmalig beschreibt Müller auch das Lenkungsinstrument von Zielvereinbarungen von Unternehmen mit dem Bund. Sie können sich dadurch die CO2-Abgabe rückerstatten lassen. Selbst für KMU, deren Energiekosten zu klein sind, um die Abgaben rückerstattet zu bekommen, lohnt sich dieses Anreizsystem. Sie können sich wie die grossen Unternehmen professionell beraten lassen; die Energieexperten sorgen dafür, dass alle diese Massnahmen sich finanziell rechnen und in spätestens acht Jahre amortisiert werden können.
Für den Emissionshandel, obwohl alles dagegen spricht
Ein erstaunliches Kunststück bringt Höltschi in seinem Plädoyer für den Emissionshandel fertig: «Der Markt spielt nur, wenn die Politik ihn lässt», behauptet er im Titel, obwohl er in seinem Text exakt das Gegenteil dokumentiert: Er beschreibt äusserst kenntnis- und detailreich die zahlreichen Gründe, warum der europäische Emissionshandel (EU-EHS) bisher fulminant gescheitert ist. Weil zu Beginn (ab 2005) viel zu viele Emissionszertifikate gratis an die Unternehmen abgegeben wurden, wodurch der Preis auf praktisch Null sank. Weil ab 2008 aufgrund der Wirtschaftskrise die Emissionen von allein massiv zurückgingen, was zur Folge hatte, dass wieder viel zu viele Zertifikate fast gratis zu haben waren. Weil ab 2013 die Anzahl der versteigerten Zertifikate jährlich bloss um 1,74 Prozent verringert wurde – viel zu wenig, um die Unternehmen tatsächlich zu eigenen Reduktionsmassnahmen zu bewegen. Weil selbst bei diesem minimalsten Druckmittel noch zahlreiche Schlupflöcher eingebaut wurden. Weil seit anderthalb Jahren eine angekündigte leichte Verschärfung des Handelssystems zwar die Preise auf 27 Euro pro Tonne hat ansteigen lassen – aber immer noch viel zu wenig, um den Emissionshandel zu einem wirklich funktionierenden Instrument zur Emissionsminderung zu machen.
Längst sind sich die Klimaökonomen deshalb weitgehend einig, dass auch steigende Energiepreise keinen wirklichen Anreiz darstellen, den fossilen Energieverbrauch drastisch zu senken, solange genug fossile Kraftstoffe auf dem Markt verfügbar sind: «Der Glaube an die Marktkräfte verzögert nur den Beginn einer wirksamen Strategie zur Reduktion der Treibhausgase», schreibt Moosen Massarrat, Politik- und Wirtschaftswissenschafter an der Universität Osnabrück, » nur die systematische Verknappung der fossilen Energieträger auf nationaler und globaler Ebene garantiert, dass das Klimaziel auch tatsächlich erreicht wird.» sein. Auch Otmar Edenhofer, Klimaökonom am Potsdam- Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sagt: «Der Markt allein wird es nicht richten!» Trotzdem: Vom Idealfall, dass die Klimapolitik den Erkenntnissen der Klimawissenschaft folgt, möchten offensichtlich auch die NZZ-Autoren nichts wissen, wenn es ihnen ordnungspolitisch, sprich: ideologisch grad nicht in den Kram passt. (CR)