Nachdem die Ergebnisse der Mitgliederbefragung zur künftigen Umweltpolitik der FDP anfänglich nur häppchenweise und mehrheitlich durch Indiskretionen bekanntgeworden sind, hat die Parteileitung jetzt die vollständige Umfrage ins Netz gestellt. Ob sie damit den weiteren Verlauf der Diskussion wieder in den Griff bekommt, die nach einer ganzen Serie von Kommunikationspannen völlig aus dem Ruder lief, darf man allerdings bezweifeln. Denn die jetzt veröffentlichten Resultate sind sehr viel diffuser und widersprüchlicher als das, was die Parteileitung gern als klares Bekenntnis zu einer grüneren und aktiveren Klimapolitik hätte verkaufen wollen.

78 Prozent der Befragten wünschen sich mehr umweltpolitisches Engagement der Partei; die Schweiz müsse in der Umwelt- und Klimapolitik aktiver werden. Jedes andere Ergebnis wäre nach den deutlichen Wahlschlappen, dem dem positiven medialen Echo auf die Klimastreikbewegung und im Hinblick auf die kommenden Wahlen im Herbst eine Überraschung gewesen. Aber: Was das konkret heisst, welche konkreten Massnahmen damit gemeint sind, ist alles andere als klar. Und selbst dort, wo die Ergebnisse auf den ersten Blick eindeutig erscheinen – etwa bei der Einführung einer Flugticketabgabe, bleibt völlig unklar, ob die FDP-Mitglieder eine eher symbolische Geste von einigen Dutzend Franken befürworten oder aber eine wirkungsvolle Abgabe, welche die tatsächlichen Kosten abbildet und die Flugpreise dementsprechend massiv erhöhen würde.

Die FDP-Basis – das unbekannte Wesen

Zu Recht weist die NZZ, welche die Umfrage relativ schonungslos kommentiert, darauf hin, dass nur eine kleine Mehrheit der FDP findet, dass «die Schweizer Politik im Bereich Klima zu passiv sei (54 Prozent). Auch dringenden Handlungsbedarf sieht nur eine knappe Mehrheit von 55 Prozent.

Wenn man bedenkt, dass nur rund 13 Prozent der Parteimitglieder überhaupt an der Umfrage teilgenommen haben und zahlreiche konkrete Fragen wiederum nur von 5000 bis 8000 Befragten überhaupt beantworten wurden, dann relativieren sich diese knappen Mehrheiten noch einmal beträchtlich: Die Zahl der aktiven Befürworter einer engagierteren Klimapolitik liegt dann weit unter 10 Prozent aller 120’000 FDP-Mitglieder. Was die übrigen 87 Prozent der FDP-Mitgleder denken, die sich nicht an der Umfrage beteiligt haben, weiss ohnehin niemand. Allenfalls kann man interpretieren, dass das Klimaproblem für die überwiegende Mehrheit der FDP-Mitglieder zu wenig wichtig war, um an der Umfrage teilzunehmen.

Allzu grün darf das angekündigte Positionspapier deshalb nicht ausfallen, wenn die Parteileitung das Risiko vermeiden will, an der Delegiertenversammlung vom 22. Juni eine krachende Niederlage einzufahren. Angesagt ist vermutlich mehrheitlich Symbolpolitik.

Eine Diskrepanz, stellt die NZZ fest, zieht sich gleichsam durch die ganze Umfrage hindurch: «Im Grundsatz vertrauen die Befragten auf die liberale Eigenverantwortung; im Einzelfall aber soll der Staat dann doch eingreifen.» (Hier leisteten sich die Berner Meinungsforscher übrigens einen erstaunlichen Lapsus: Sie formulierten als sich ausschliessendes Gegensatzpaar die Sätze «Wir sollten mehr Eigenverantwortung übernehmen (…)» versus «Um wirklich etwas zugunsten des Klimas zu erreichen, kann ich mit meinem Verhalten wenig beitragen. Es braucht in erster Linie Massnahmen der Politik und der Wirtschaft.» Die Erkenntnis, dass ich mit meinem Verhalten wenig ausrichten kann, schliesst ja nicht aus, dass ich zugleich der Meinung sein kann, wir sollten mehr Eigenverantwortung übernehmen.)

Gibt es überhaupt eine liberale Klimapolitik?

Scharf geht auch Michael Schoenenberger, der Inland-Chef der NZZ, in seinem Kommentar «Was ist liberale Umweltpolitik?» mit dem Vorgehen der FDP-Führung ins Gericht: «Jekami statt eines zweckdienlichen Plans. (…) Den teilweise mehrdeutigen Ergebnissen fehlt die Einordnung (…) Exponenten widersprechen sich, sie relativieren, erklären unterschiedlich. Kurzum: Die FDP, ihre Spitze, hat die Interpretationshoheit verloren.»

Jetzt, so Schoenenberger, gehe es in erster Linie darum, die «zentrale Frage zu beantworten, hinter welchen konkreten umweltpolitischen Massnahmen eine freiheitliche Partei überhaupt stehen kann». Und er fordert unmissverständlich: «Wer von «liberaler Umweltpolitik» redet, muss dem Wähler auch sagen können, was liberale Umweltpolitik ist.»

Ein hoher, allzu hoher Anspruch, denn mit einer Meinungsumfrage, einigen Brainstormings und Vorstandssitzungen plus Formulierungshilfen gewiefter Werbetexter ist es wohl nicht getan. Schlimmer noch, ein einigermassen konsistentes Konzept einer liberalen Umwelt- und Klimapolitik ist derzeit weltweit nirgends in Sicht.

Es braucht weder Marx noch Piketty, um die Eigenverantwortung als weltfremder liberaler Wunderglaube zu entlarven – ein Blick auf die Strasse, ein Besuch auf einem Flughafen reichen. Und kaum ein Tag vergeht, ohne dass man vorgeführt bekommt, wie verantwortungsbewusste Selbstbereicherung, Steuerhinterziehung und ähnliche Schiebereien durch die sogenannten Stützen der Gesellschaft funktionieren.

Was aber tun, wenn der Appell an die Eigenverantwortung auch nach zehn, zwanzig, dreissig Jahren nicht das Geringste bewirkt? Wie lange kann eine Umweltpolitik liberal bleiben, wenn die Zeit zum Handeln immer knapper wird? Was, wenn die unsichtbare Zauberhand des Marktes, die alles zur Zufriedenheit (fast) aller regulieren soll, einfach nicht funktioniert, weil das Klima gar keinen Preis hat, ausser der Staat oder internationale Institutionen lege einen fest? (CR)