Der Titel in den Tamedia-Zeitungen vom 2. Mai ist knackig und brisant: «3000 Milliarden für die Energiewende». Und im Lead heisst es dazu: «Eine neue Studie aus Deutschland legt dar, warum die Reduktion des Treibhausgasausstosses teurer wird als bisher angenommen.» Das alles ist nicht falsch, aber eben auch nicht ganz richtig. Denn der Autor stellt explizit einen Zusammenhang her zwischen den Resultaten dieser Studie und der Energiepolitik in der Schweiz, den es so nicht gibt.

Was die Studie tatsächlich hergibt und der Autor Dominik Feusi auch völlig korrekt wiedergibt, ist Folgendes: Die Energiewende in Deutschland wird drei- bis viermal mehr kosten als bisher angenommen, wenn die CO2-Emissionen bis 2050 wie geplant um 90 Prozent reduziert werden sollen. Insgesamt könnte eine solche Reduktion zusätzliche 3000 Milliarden Euro kosten. Mit den heutigen Massnahmen sei bis 2050 nur eine Reduktion von 60 Prozent möglich.

Anlass für diese Schreckensmeldung ist ein Postulat der grünen Basler Nationalrätin Sibel Arslan, die den Bundesrat auffordert,  in einem Bericht Massnahmen und deren Kosten aufzuzeigen, damit die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 auf Netto Null reduzieren könne.

In der Schweiz gibt es derzeit keine entsprechenden Zahlen. Deshalb greift Dominik Feusi auf die erwähnte Studie aus Deutschland zurück. Sie wurde 2013 im Rahmen des Projekts „Energiesysteme der Zukunft“ ESYS von der Union der deutschen Wissenschaftsakademien initiiert und im November 2017 unter dem nicht grad hübschen Titel„Sektorkopplung – Optionen für die nächste Phase der Energiewende“ publiziert. Laut Tages-Anzeiger haben daran über hundert Energiefachleute aus Technik- und Naturwissenschaften, Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften zusammengearbeitet. Kein Zweifel also: Die Studie ist eine wissenschaftlich absolut seriöse Arbeit eines hochkarätigen Teams.

Was will uns der Tages-Anzeiger sagen?

Etwas weniger hochkarätig ist allerdings der Versuch von Feusi, die Resultate dieser ausschliesslich auf Deutschland fokussierten Studie in einen Zusammenhang mit der Schweizer Energiepolitik zu bringen. Das 83-Millionen-Land Deutschland hat nicht nur zehn Mal mehr Einwohner als die Schweiz, sondern auch eine völlig andere Topografie und Landschaftsstruktur, eine andere Industrie und Landwirtschaft. Die absoluten Zahlen, mitunter also auch die 3000 Milliarden Euro Mehrkosten, haben mit der Schweiz nichts zu tun, Aber auch die relativen Zahlen, etwa dass der Strombedarf sich bis 2050 verdoppeln werde, oder dass fünf- bis siebenmal mehr Windanlagen und Solarzellen nötig wären, als heute installiert sind, lassen sich kaum auf die Schweiz übertragen.

In der erwähnten Studie und in einem vom Autor explizit erwähnten Artikel in der März-Ausgabe der Zeitschrift Physik-Journal der Deutschen Physikalischen Gesellschaft liest sich die Sache mit den zusätzlich notwendigen 3000 Milliarden Euro etwas differenzierter: Bei einer 85prozentigen Reduktion rechnen die Autoren mit 2000 Milliarden Mehrkosten. Bei einer 90prozentigen Reduktion könnten, so die Autoren, allenfalls über 3000 Milliarden Euro erforderlich  werden,  «wenn  fehlende  Reduktionspotenziale beispielsweise in der Landwirtschaft kompensiert werden müssen.» Wie gross diese Reduktionspotenziale sind, die im Normalfall nicht kompensiert werden müssen, und wie wahrscheinlich der erwähnte Ausnahmefall ist, benennen die Autoren nicht. Auch werden «die Vorteile eines solchen Umbaus – beispielsweise die wirtschaftliche Entwicklung aufgrund hoher Investitionen, Exporte, weniger Klimaschäden etc. – nicht gegengerechnet», heisst es im Physik-Journal. Sie dürften im Verlauf der kommenden 30 Jahren viele hundert Milliarden Euro ausmachen. Kurz: Die Schreckenszahl von 3000 Milliarden Euro trifft also aller Voraussicht nach nicht einmal für Deutschland zu.

Eine wichtige Botschaft aber, die vermutlich auch für die Schweiz gilt, fehlt dagegen im Bericht des Tages-Anzeigers: Die beiden Wissenschafter, die übrigens vehement die Einführung eines CO2-Preises empfehlen, halten in ihrem Aufsatz fest: «Wenn wir den großen Umbau jedoch weiter verzögern, aber die gleichen Klimaziele anstreben, wird es deutlich teurer.»
Das müsste sogar den Schweizer FDP-Hardliner Christian Wasserfallen überzeugen, den der Tages-Anzeiger mit den Worten zitiert: «Massnahmen müssen ökologisch nützen, sozialverträglich und wirtschaftlich sinnvoll sein.» (CR)