Auch wenn die Schweizer Medien das Ereignis geflissentlich ignorieren: Seit zehn Jahren findet jedes Jahr im Mai der Petersberger Klimadialog statt, ein nicht ganz unwichtiges internationales Treffen von 35 Umweltministern, an dem jeweils die kommende UN-Klimakonferenz vorbesprochen wird. Zwar werden hier keine spektakulären Entscheidungen gefällt und auch kaum grandiose Fensterreden gehalten; hier wird bloss diskutiert und gearbeitet. Denn wie meistens in der «grossen Politik», hängt der Erfolg einer Konferenz vor allem davon ab, ob sich die Teilnehmer über viele Dutzend kleine Detailfragen und Formulierungen einigen können, von denen sie letztlich ihre Zustimmung abhängig machen.
«Impulse geben» ist das wichtigste Ziel dieser Zwischenkonferenzen, denn fast immer, seit es Klimakonferenzen gibt, steckt man latent irgendwo fest, weil die Delegierten der 197 Länder wie im Kindergarten eifersüchtig darauf achten, dass die Konkurrenz nicht ein etwas grösseres Kuchenstück bekommt. Da können frische Impulse festgefahrene Verhandlungen plötzlich wieder in Gang bringen. Wie erfahrene Teilnehmerinnen und Teilnehmer sagen, lässt sich an den Petersberger Klimadialogen meist schon vorausahnen, wie sich die Dynamik an der Vorbereitungskonferenz vom 17. bis 27 Juni in Bonn und am kommenden Weltgipfel vom 3. bis 17. Dezember in Santiago de Chile entwickeln wird.
Wer nicht weiter weiss, setzt eine Kommission ein
Beobachter am diesjährigen Petersberger Klimadialog aber sind nach der Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel völlig desillusioniert. Zwar sagte Merkel, die einst als Klimakanzlerin gefeiert wurde, aber mittlerweile ins Bremserhäuschen umgezogen ist, ohne rot zu werden: «Deutschland soll bis 2050 klimaneutral werden». Aber anstatt nach zehn verlorenen Jahren nun endlich die dringend anstehenden Massnahmen anzupacken, will sie in ihrem neu etablierten Klimakabinett zuerst einmal über die umstrittenen Technologien zur CO2-Speicherung nachdenken lassen.
Man wolle, so zitiert sie das deutsche Online-Portal Klimareporter, «alternative Mechanismen finden, wie man das CO2 speichern oder kompensieren kann». Konkrete Massnahmen nannte Merkel beim Klimadialog nicht. Auch zu der in Deutschland derzeit heftig diskutierten CO2-Steuer sagte sie kein Wort.
Dafür erntete sie zu Recht heftigen Widerspruch der Umweltschützer: Auf gefährliche, teure und bis heute noch völlig unerprobte Technologien zu setzen, sei bedenklich und der völlig falsche Weg, meinte etwa Herbert Weiger, der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Statt über völlig unausgereifte Zukunftstechnologien zu phantasieren, solle das Klimakabinett schnellstmöglich einen Plan vorlegen, wie die Emissionen vor 2050 auf Null gesenkt werden können. Etwa durch eine drastische Verringerung des Energieverbrauchs, 100 Prozent erneuerbare Energien und einen grundlegenden Umbau des Verkehrs-, Gebäudesektors, der Industrie und der Landwirtschaft.
Experten sind sich weitgehend einig, dass in diesem Jahr (2019!) die Weichen für den Klimaschutz gestellt werden müssen, wenn die Vereinbarungen des Pariser Klimavertrages eingehalten werden sollen. Aber das während Merkels erster Amtszeit gefasste Klimaziel für 2020 wird meilenweit verfehlt, und um die Einhaltung des nächsten CO2-Limits für 2030 ist in ihrem Kabinett ein heilloser Streit entbrannt.
Die Kanzlerin redet sich um jede Glaubwürdigkeit
Jetzt geht es, so Joachim Wille, der Chefredaktor der Klimareporter, in einem Kommentar, ums Eingemachte: «Und dazu braucht es Konzepte. Und wirksame Maßnahmen. Und politische Führung. All das fehlt in dieser Bundesregierung.»
Vor allem aber fehlt es der deutschen Bundeskanzlerin zunehmend an Glaubwürdigkeit und Respekt: Einerseits lobte sie die Fridays-for-Future-Bewegung mit ihren Schulstreiks über allen Klee. Die jungen Leute, so Merkel, machten Druck auf die Politik, damit die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel endlich in politisches Handeln umgesetzt würden. Und gleichzeitig tut sie, in der Tat ein und dieselbe Person, alles und noch einiges mehr, um zu verhindern, dass die Probleme endlich angepackt werden, wie sie es seit 14 Jahren verspricht. Und was einige der weltbesten Klimawissenschafter wie Stefan Rahmstorf, Otmar Edenhofer oder Hans-Joachim Schellnhuber ihr als machbaren Weg aufzeigen. Und neuerdings die (hochgelobten) Jugendlichen zu Recht von der Politik einfordern. (CR)