Die FDP überrascht alle: Nur einen Monat nach dem Ende der Mitgliederbefragung legt eine Arbeitsgruppe der FDP unter der Leitung von Parteipräsidentin Petra Gössi den Entwurf eines Positionspapier zu einer neuen Klima- und Umweltpolitik vor. Das siebenseitige Papier ist zwar noch nicht öffentlich, wurde aber – wieder einmal eine kleine Kommunikationspanne der Partei – den Tamedia-Zeitungen zugespielt, die die wichtigsten Punkte daraus zitieren.

Noch weit mehr als das Tempo, mit dem die Partei voranstürmt überrascht allerdings der Inhalt des Entwurfs: Er bricht gleich mit mehreren Positionen, die bis vor kurzem als völlig sakrosankt galten. So will die FDP-Parteispitze laut dem Tages-Anzeiger «in einer ersten Phase zwar auf ‹eigenverantwortliches Handeln wie auch Lenkungsmassnahmen› setzen. So schlägt das Papier etwa die Einführung einer CO2-Abgabe auf Benzin und Diesel sowie eine Flugticketabgabe vor; beides lehnten die FDP-Nationalräte noch im Dezember bei der Bergung des CO2-Gesetzes ab. Auch sollen im Sinne der Innovationsförderung Pilotregionen für Tests mit autonomem und CO2-freiem Verkehr vorangetrieben werden. Und schliesslich sollen «Fehlanreize» wie der steuerliche Pendlerabzug abgeschafft werden. 

So weit so gut: Alle diese Vorschläge mögen den Betonköpfen innerhalb der Partei Kopfzerbrechen bereiten, sie bewegen sich aber immerhin noch ganz im Rahmen einer marktwirtschaftlich orientierten Politik. Völlig neu und äusserst brisant aber dürften die folgenden Ideen selbst für das Gros der FDP-Mitglieder sein: «Sollten solche Mittel jedoch nicht zum ‹gewünschten Schutz› der Umwelt führen, brauche es einschneidendere Massnahmen wie strengere Restriktionen oder als Ultima Ratio sogar Verbote, um die Umwelt vor besonders schädlichen Stoffen, Produkten oder Verhalten zu schützen».

So brauche es im Verkehr allenfalls es als letztes Mittel «Zonen mit begrenztem Zugang», um die Feinstaubbelastung in den Innenstädten in den Griff zu kriegen. Unklar bleibt, ob damit allgemeine Fahrverbote auf bestimmten Strecken und/oder für bestimmte Autotypen gemeint sind. Das gilt auch für das vorgeschlagene Verbot von Elektroheizungen, das gemäss Papier «zum Beispiel ab 2030» eingeführt werden soll, und zwar auch für bereits bestehende Heizungen.

Zu den traditionellen freisinnige Forderungen gehören dann wiederum die vollständige Öffnung des teilliberalisierten Strommarktes, gezieltere Direktzahlungen in der Landwirtschaft oder eine Flexibilisierung der Arbeitszeit.

Vorerst sind es bloss Ankündigungen

Dagegen fehlt der Hinweis zum möglichen Neubau von Atomkraftwerken, den immerhin 56 Prozent der befragten Parteimitglieder befürworten. Man will offensichtlich bei der Öffnung in Richtung einer grüneren Umwelt- und Energiepolitik nicht gleich schon wieder eine neue Angriffsfläche bieten. Überhaupt: So neu und überraschend, ja fast revolutionär für eine Partei wie die FDP einige Forderungen klingen mögen, – ob sie den Klimaschutz auch wirklich weiterbringen oder doch bloss rhetorische Nebelgranaten sind, wird sich dann weisen, wenn das CO2-Gesetz und andere Vorlegen im Parlament zur Sprache kommen: Eine Flugticketabgabe ist auch dann noch eine Flugticketabgabe, wenn sie bloss einige wenige Alibi-Franken kostet. Und ob die FDP bereit ist, eine CO2-Abgabe auf Benzin und Diesel so hoch anzusetzen, dass sie tatsächlich eine Lenkungswirkung erzeugt, also den Treibstoffverbrauch um 20, 30 oder mehr Prozente verringert, bleibt abzuwarten. Allein die Vorstellung wird viele FDP-Mitglieder an die Grenzen ihrer Leidensfähigkeit bringen.

Erstaunlich ist aber auch dies: Laut Tages-Anzeiger will Petra Gössi und die Parteizentrale keine Abweichler dulden, welche die Neupositionierung der Partei gefährden könnten. Wie hat sich Petra Gössi vor kurzem in einem NZZ-Interview zur innerparteilichen Diskussionskultur geäussert: «„Die engagierte Auseinandersetzung mit einem Thema ist ja schliesslich das Wesen der Politik. (…) Eine gute Diskussionskultur ist gerade für eine liberale Partei wichtig.“ (CR)

Kleiner Nachtrag: Natürlich dauerte es keinen Tag, bis Christian Wasserfallen, der designierter Chef-Abweichler unter den FDP-Nationalräten, für die von Gössi hochgelobte Diskussionskultur sorgte und im Tages-Anzeiger höhnte, das Papier sei ja nichts weiter als ein «Entwurf eines Entwurfs». Und tatsächlich darf man gespannt sein, was von dem Entwurf noch übrig geblieben sein wird, nach dem alle 140 Änderungsanträge in geheimen Sitzungen (und natürlich parallel dazu im Tages-Anzeiger) beraten und abgehandelt worden sind.