Allmählich kann man gar nicht mehr so schnell schreiben, wie die FDP ihre Meinung ändert. Schuld daran ist das, was die FDP-Präsidentin kürzlich in einem Interview mit der NZZ als «gute Diskussionskultur» innerhalb der Partei gepriesen hat. Man könnte es aber auch als Kommunikations-Super-GAU bezeichnen, als eine lange Reihe schwerster Kommunikationspannen.
Das Ganze begann damit, dass Petra Gössi, seit drei Jahren unglückliche FDP-Präsidentin, im Februar eine Mitgliederbefragung zum Thema Umwelt- und Klimapolitik anordnete, ohne alle wichtigen Parteiflügel gebührend informiert zu haben. Vordergründig ging es um eine verzweifelte Suche nach jenem Umwelt-Gen, das nach Gössis Meinung der Partei irgendwann abhanden gekommen sei; intergründig ging es schlicht darum, sich auf die Wahlen hin ein etwas grüneres Make-up zuzulegen.
Kaum war die Befragung abgeschlossen, begann ein wüstes parteiinternes Hick-Hack, das sich zuerst darin äusserte, dass Gössi-Gegner einzelne Ergebnisse der Befragung der Boulevard-Zeitung Sonntags-Blick zuspielten. Auf Druck der Öffentlichkeit und des Meinungsforschungsinstituts GfS Bern, dass sich beklagte, dass die aus dem Zusammenhang gerissenen Ergebnisse das Gesamtbild nicht richtig wiedergeben würden, musste die FDP-Parteileitung wider Willen den ganzen Fragebogen veröffentlichen.
Das führte zu noch mehr parteiinternem Knatsch, worauf die Parteileitung ihren Opponenten Funkstille verordnete und ein sogenanntes Positionspapier entwarf. Ein Entwurf, der den Gössi-Gegner offenbar dermassen in den falschen Hals geriet, dass sie ihr von oben verordnetes Schweigen brachen und das siebenseitige Papier dem Tages-Anzeiger unter dem Türspalt durchschoben., der es auch sogleich veröffentlichte. Was den Gössi-Feinden zugleich die Gelegenheit gab, entweder erneut Zetermordio zu schreien oder das Papier als «blossen Entwurf eines Entwurfs» zu verhöhnen. Und sie kündigten an, den Entwurf mit 100 – Änderungsanträgen zur Strecke zu bringen – andere kamen beim Zählen sogar auf 140 Abänderungsanträge, aber bei einer so immensen Zahl auf bloss 7 Seiten Text kommt es auf ein paar Dutzend Anträge mehr oder weniger ja auch nicht mehr an.
Jetzt hat die Parteileitung das entrümpelte oder verbesserte oder entschärfte oder ver-freisinnigte Positionspapier veröffentlicht. Und tatsächlich: Vom anfänglichen Aufbruch ist kaum mehr etwas zu spüren. Entsprechend wenig begeistert sind denn auch die Reaktionen der meisten Medien. Selbst die NZZ, die den neoliberalen Visionen der FDP etliche Sympathien entgegenbringen müsste: schreibt: «Man muss die 310 Zeilen des Papiers schon sehr sorgfältig durchlesen, um überhaupt auf Aussagen zu stossen, die das Potenzial haben, in einer liberalen Partei für Diskussionen zu sorgen.» Das Online-Portal des Schweizer Fernsehens schreibt, die FDP-Spitze müsse sich schon fragen, «wen sie damit eigentlich ansprechen will. Neue Wähler kaum: Das Papier (…) wird jene nicht überzeugen, welche zu Tausenden für eine schärfere Klimapolitik auf die Strasse gegangen sind.» Und: Das Papier festige «jene Position, die unter FDPlern auch bisher unbestritten gewesen sein dürfte: Mit Eigenverantwortung lässt sich fast alles richten. Um das herauszufinden, hat die FDP eigentlich keine Mitgliederbefragung gebraucht.»
Jetzt ist das wirklich echte, bis zum nächsten Knatsch gültige Positionspapier da
Und tatsächlich, in dem bereinigten Positionspapier fehlt fast alles, was die Gössi-Gegner um Wasserfallen, Schilliger & Co. so auf die Palme gebracht hat, dass sie gleich zum Blick und Tages-Anzeiger rennen mussten. Aber es fehlt auch vieles, was die Parteibasis bei der Mitgliederbefragung befürwortet hat. So fehlt etwa das Verbot von Öl- und Gasheizungen bei Neubauten, das 56 Prozent der FDP-Basis befürwortet hat. Auch die Flugticketabgabe sucht man vergeblich – 73 Prozent der FDP-Mitglieder hatten sie befürwortet. Stattdessen, so der Tages-Anzeiger, fordert die FDP im Papier nun unverbindlich, die Schweiz müsse sich für die «international koordinierte Besteuerung von Kerosin einsetzen». Was darunter genau gemeint ist, ob das Corsia-System der ICAO-Mitgliedstaaten oder ein EU-Abkommen, über das in der EU noch nicht einmal ansatzweise diskutiert wird, wird nicht gesagt. Noch wichtiger: Im Papier fehlt auch das umstrittene CO2-Reduktionsziel im Inland. Das gehörte bei der Debatte um das CO2-Gesetz im Nationalrat zu den Knackpunkten, wegen denen das Gesetz schliesslich gescheitert ist. Im Vorfeld der Meinungsbefragung signalisierte Gössi, dass man in diesem Punkt flexibler werden wolle. Andererseits fehlt im Positionspapier der Hinweis auf den Neubau von Atomkraftwerken, den eine Mehrheit befürwortet hatte.
Die Idee einer CO2-Steuer resp. einer Lenkungsabgabe auf Treibstoffe, im Entwurf des Positionspapiers immerhin noch eine durchaus diskutierenswerte Option, figuriert nun nur noch als «Ultimo Ratio», die erst dann zum Zug kommen darf, «wenn die Ziele auf anderem Weg nicht zu erreichen seien. (…) Erst wenn Eigenverantwortung und Lenkungsmassnahmen keine Wirkung erzielten so zitiert die NZZ Gössi, brauche es dann weiterreichende Restriktionen. Worunter Gössi Verbote versteht. Mit dieser «Ultimo Ratio», die wohl für die FDP erst dann in Frage kommt, wenn Gössi und Wasserfallen längst in Pension gegangen sind, können die beiden bis zu den kommenden Wahlen sicher einigermassen gut leben.
Ein Zitat von Petra Gössi wollen wir doch den Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten: Laut der FDP-Chefin, so zitiert die NZZ, «ist Klimapolitik nichts sonderlich Kompliziertes». Es gehe im Wesentlichen einfach um Deregulierung, das Verursacherprinzip, Lenkungsabgaben und Rückverteilung. Warum, fragt man sich, macht die FDP dann einen so riesigen Wirbel, wenn alles doch so einfach zu machen ist? (CR)