In der vergangenen Woche tagte in Berlin zum zweiten Mal das sogenannte Klimakabinett. Es soll bis Ende Jahr ein Klimaschutzgesetz erarbeiten. Ob das gelingt, ist ungewiss, da die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD völlig zerstritten sind und die Regierung vermutlich schon bald auseinanderbricht.
Der Spott war bitterböse, aber leider nur allzu berechtigt: «Am 441. Tag ihrer Amtszeit», spottete die alternative taz, «hat die Bundesregierung zum ersten Mal konkret darüber beraten, wie das Klimaziel für 2030 zu erreichen ist.» Der Grund für die Häme war nur allzu offensichtlich: Nach einem ersten Treffen im April, wo es bloss um Formalien ging, brachte auch das zweite Treffen die Diskussion keinen Schritt weiter: Es wurden, wie man so sagt, «Vorschläge auf den Tisch gelegt», es wurde viel geredet und nichts entschieden – ausser einem Zeitplan für die nächsten 200 Tage.
Das sogenannte Klimakabinett ist eine Erfindung der Bundeskanzlerin Angela Merkel und folgt genau jenem Motto, das längst zur Handlungsmaxime moderner Regierungspolitik in schwierigen Zeiten geworden ist: «Wenn du nicht mehr weiter weisst, gründe einen Arbeitskreis.» Begonnen hatte die ganze Leidensgeschichte vor bald einem Jahr, als offensichtlich wurde, dass Deutschland das selbst gesetzte Klimaschutzziel für 2020 von 40 Prozent weniger CO2 gegenüber 1990 nicht schaffen wird. Die Kanzlerin versprach Besserung im Hinblick auf 2030, ohne konkret zu werden oder etwas zu unternehmen.
Dann kamen der extrem heisse Sommer, der in Deutschland Milliardenschäden verursachte, es kamen Greta Thunberg und der Druck der Strasse, immer begleitet vom Dauerskandal der deutschen Autoindustrie, die log und trickste, was das Zeug hielt, es kamen die drohenden Fahrverbote in mehreren Städten und das Gezerre um den Hambacher Forst und den Kohleausstieg, der mit einem halbherzigen Kompromiss endete – und inzwischen von der CDU/CSU auch bereits wieder in Frage gestellt wird.
Deutschland bastelt an einem Klimaschutzgesetz
Im Februar endlich kam die in der Regierungskoalition höchst ungeliebte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) erstmals mit einem etwas ambitionierten Entwurf für ein Klimaschutzgesetz, das gemäss ihren Vorstellungen bis Ende des Jahres umgesetzt werden soll. Ihr Vorschlag in Kürze: Insgesamt sollen bis 2030 55 Prozent CO2 gegenüber 1990 eingespart werden. Jedes Ministerium, resp. jeder «Sektor» bekommt Jahr für Jahr genau festgelegte Reduktionsziele; werden diese nicht erreicht, muss der Sektor Strafzahlungen leisten. Die Kanzlerin murrte und bockte, die CDU- und CSU-Minister warfen der Umweltministerin Profilierungssucht vor und die CDU- und CSU-Parteibasis schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
Erst die unverminderte Power der Fridays for Future-Jugendlichen, das Umfragehoch der Grünen und die drohenden Wahlschlappe von CDU, CSU und SPD weckte die ehemalige Klimakanzlerin aus ihrer Lethargie: sie erfand im März das Klimakabinett; ihr Vertrauter, Wirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier, erklärte landauf landab in jeder Talkshow allen Ernstes, man habe die Brisanz des Themas ein wenig unterschätzt – erstaunlich für einen Mann, der bereits 2012 einmal Umweltminister war, dann während Jahren Chef des Bundeskanzleramts, bevor er vor einem Jahr Wirtschaft- und Energieminister wurde.
Man nimmt sich Zeit
Jetzt also tagte das neunköpfige Klimakabinett, dem alle Minister angehören, die etwas mit der Umwelt zu tun haben, also Umwelt, Verkehr, Wirtschaft und Energie, Finanz, Landwirtschaft und Forst, Gebäude und Abfall. Anders gerechnet: Das Klimakabinett besteht aus 5 CDU- , 2 CSU- und 2 SPD-Ministerinnen und -Minister. Eine schlechte Voraussetzung für die unbequeme SPD-Umweltministerin. Umso mehr, als Finanzminister Olaf Scholz (SPD) auch nicht gerade ein feuriger Verfechter von Klimaschutzmassnahmen ist, wenn sie etwas kosten.
Die von den Ministern inzwischen eingereichten Vorschläge sind, so schreibt die Frankfurter Rundschau, zum grossen Teil nicht nur längst bekannt, sondern: «Eine Umsetzung würde Milliarden kosten, die Finanzierung ist aber unklar.» Und auch dies: Einen Grundsatzentscheidung über Gesetze und Massnahmen soll erst im September getroffen werden. (…) Die entsprechenden Gesetze und Massnahmen sollen dann bis zum Jahresende im Kabinett verabschiedet werden. Man nimmt sich Zeit …
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der sich bis anhin eher als Schirmherr der Autobranche denn als Klimaschützer hervorgetan hat, etwa schlägt ein ganzes Paket von grossen und kleinen Massnahmen vor, von einer Verbilligung der Bahntickets im Fernverkehr über eine Verlängerung staatlicher Prämien für den Kauf von Elektroautos bis zu einem milliardenschweren Förderprogramm für die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie – die meisten Massnahmen bringen der Industrie viel Geld und dem Klima wenig Nutzen. Dies «und weitere Massnahmen», so lässt Scheuer verlauten, sollten seiner Meinung nach ausreichen, um das Sektorziel 2030 für den Verkehr zu erreichen. Die Umweltverbände sind dezidiert anderer Meinung und apostrophieren die Massnahmen zum Teil als «Luftbuchungen».
Im Gebäudebereich schlägt Bauminister Horst Seehofer (CSU) unter anderem vor, dass energetische Gebäudesanierungen steuerlich mehr als bisher begünstigt werden, eine Massnahme, die er 2015 als bayerischer Ministerpräsident noch selber zum Absturz gebracht hat. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) ging mit zehn Massnahmen in das Treffen. So sollen die Emissionen in der Tierhaltung gesenkt werden und vermehrt Gülle in Biogasanlagen verarbeitet werden.
Zeit will man sich auch nehmen bei der seit vielen Monaten heftig diskutierten Frage einer CO2-Steuer oder -Abgabe, die von fast allen namhaften Klimaökonomen gefordert wird. Für das Klimkabinett wird dazu vorerst einmal ein Gutachten erstellt, im Juli will man dann anfangen darüber nachzudenken, um im September zu einer Meinung zu kommen. Dumm bloss, dass die meisten CDU/CSU-Abgeordneten schon längst eine Meinung haben und massiven Widerstand gegen eine CO2-Steuer angekündigt haben.
Auch mit einer weiteren Verpflichtung, schreibt die Frankfurter Rundschau, will die Bundesregierung offenbar noch zuwarten: Der Initiative von neun anderen EU-Staaten, die auf dem EU-Gipfel vor drei Wochen im rumänischen Sibiu erklärten, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden, will sie sich vorerst nicht anschliessen.
Die SPD-Klimapolitikerin: Pfeifen im finsteren Keller
Allzu heftige Begeisterung lösten also weder die zum Teil sehr vage formulierten Vorschläge aus noch das gemächliche Vorgehen. Mehrere grosse Umweltverbände kritisieren sowohl die ungenügenden Vorschläge wie das zaghafte Tempo. Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock etwa fordert, dass ein Maßnahmenpaket oder wenigstens ein Grundsatzentscheid noch vor der Sommerpause verabschiedet werde. Sie vermutet, wohl nicht ganz zu Unrecht, dass die CDU-/CSU-Minister auf ein «Abflauen» der Klimademos hoffen, auf ein schlechtes Abschneiden der Grünen bei den kommenden Wahlen im Osten Deutschlands und auf einen etwas kühleren Sommer.
Einen schon fast mitleiderweckenden Eindruck machte Olaf Scholz, immerhin der mächtige Vizekanzler des mächtigsten Landes von Europa, am vergangenen Sonntag in der ARD-Talkshow von Anne Will. Als ihn die TV-Moderatorin auf das völlige Zerwürfnis zwischen CDU/CSU und SPD ansprach und fragte, was es denn bedeute, dass in der schmalllippigen Erklärung der Bundesregierung bloss noch von Absicht die Rede sei, sicherzustellen, dass Deutschland die Klimaziele 2030 erreiche, auf die es sich international verpflichtet hat, musste Scholz ebenso passen wie auf die Frage der 23jährigen Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer, die wissen wollte, warum die Bundesregierung denn dreieinhalb Jahre nach dem Pariser Abkommen immer noch nicht richtig vorwärts mache. Scholz murmelte wie ein ertappter Schulbub, dass man da und dort halt erst noch Konzepte erarbeiten müsse.
Allzu viel ist also vom Klimakabinett nicht zu erwarten. Denn was immer auch geschehen ist und geschehen wird, zahlreiche führende Unionspolitiker sind nicht im Geringsten bereit, eine klimapolitische Kehrtwende zu vollziehen. Dabei machen sie sich nicht einmal mehr gross Mühe, nachzudenken, bevor sie drauflos sschwätzen: Armin Laschet etwa, immerhin Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, meinte kürzlich in einer Talkshow, dass es zwar das Klimathema schon seit 20 Jahren gebe, aus «irgendeinem Grund» sei es aber plötzlich ein weltweites Thema geworden. Aber auch wenn man jetzt ein Klimagesetz beschliesse, werde das am nächsten heissen Sommer nichts ändern. Dass sichj die SPD-Umweltministerin Schulze angesichts solcher verächtlicher Sprüche weiter für ein Klimaschutzgesetz wehrt, mag man bewundern. Letztlich ist es aber nicht viel mehr als Pfeifen im finsteren Keller, um den Mut nicht ganz verlieren. (CR)