Seit heute Montag (17. Juni) findet in Bonn die UN- Vorbereitungskonferenz auf die New Yorker UN-Klimakonferenz im September und den diesjährigen Klimagipfel in Santiago de Chile vom Dezember statt. Das wichtigste Traktandum dieser Vorbereitungskonferenz ist Frage, ob und inwieweit und unter welchen Bedingungen Länder ihre CO2-Emissionen im Ausland kompensieren dürfen. Für die Schweiz eine eminent wichtige Frage, denn sie gehört zum jenen Ländern, die vehement auf diesen Ablasshandel setzen.
Eigentlich hätte dieses Problem spätestens beim letztjährigen Klimagipfel in Kattowitz gelöst werden sollen. Als aber absehbar wurde, dass man sich nicht wird einigen können, vertagte man die Entscheidung – ein übliches Verfahren im internationalen Konferenz-Gehschacher – auf den kommenden Gipfel in Chile . Unter anderem deshalb, weil einige Länder im Schlepptau von Brasiliens Präsident Jair Bolsanaro darauf bestanden, dass jeweils sowohl der Staat, der eine CO2-Reduktion «kauft», wie auch jener, der sie «verkauft», die selbe Reduktion in ihren nationalen Klima-«Buchhaltungen» verrechnen können. Mit dieser Doppelzählung hätten jeweils gleich zwei Staaten mit ein und derselben CO2-Reduktion ihre CO2-Buchhaltung schönrechnen können.
Allerdings steckt hinter diesem offensichtlich widersinnigen Trick ein ernsthaftes Problem. Wenn ein Land (rein theoretisch) alle seine CO2-Emissionen bis auf Netto-Null «verkauft» hat, emittiert es zwar faktisch keine Treibhausgase mehr, sie stehen aber immer noch in seiner nationalen Emissions-«Buchhaltung».
Darüber hinaus aber stellen sich eine ganze Reihe weiterer höchst komplizierter Probleme. So muss sichergestellt sein, dass diese unterstützten Projekte auch tatsächlich die CO2-Emissionen in entsprechender Menge reduzieren, dass also keine Schein-Projekte finanziert werden. Auch dürfen laut den Pariser Beschlüssen nur Projekte finanziert werden, die nicht sowieso, also auch ohne diesen Zertifikatshandel umgesetzt worden wären. Auch soll dafür gesorgt werden, dass die bezahlten Gelder nicht in irgendwelchen Taschen verschwinden. Bloss: Welche nationale oder international Institution soll diese Projekte begutachten, genehmigen und ihre Umsetzung überwachen und kontrollieren? Nach welchen Kriterien und welchen Kontrollmechanismen? Während die potenziellen «Käufer»-Länder von Emissionszertifikaten wasserdichte Regeln wollen, versucht Brasilien als vermutlich wichtigster «Verkäufer», das zu verhindern und ein möglichst «flexibles» System zu etablieren, das den einzelnen Ländern viel individuellen «Spielraum» gewährt.
Zurecht sind viele Klimaschutzorganisationen generell skeptisch, wie sinnvoll solche Handelsspielchen zwischen den Staaten sind. «Marktmechanismen dürfen nicht als billiger Ausweg genutzt werden, um die Klimaziele zu Hause nicht zu erfüllen», zitiert das deutsche Onlineportal Klimareporter etwa Christoph Als, den Chef der renommierten NGO Germanwatch. «Es wäre sogar besser, sie gar nicht zu beschließen, als gewaltige Schlupflöcher wie Doppelzählungen von Emissionsminderungen zuzulassen.»
Deutlich wird auch die Süddeutsche Zeitung: Dieser Marktmechanismus öffne «riesige Hintertüren. Es entliesse die Industrieländer gegen Geld aus der Pflicht. So darf es nicht kommen. Ausgeschlossen allerdings ist es auch nicht. Denn all die Bekenntnisse könnten auch dazu dienen, dem Protest nur scheinbar nachzugeben, während alles weitergeht wie gehabt. Eine schöne Zahl hier, ein hehres Bekenntnis dort, aber Stillstand bei Gesetzen und Emissionen – so lief es oft in der jüngeren Vergangenheit. «
Auch die Schweiz will sich wenigstens teilweise «freikaufen»
Eine heikle Frage ist die in Bonn traktandierte Auslandkompensation auch für die Schweiz, die zusammen mit Neuseeland und Südkorea zu den potenziellen Käufern von Emissionszertifikaten gehört.. Kommt es zu keiner allseits anerkannten Lösung, muss die Schweiz wohl einzelne Länder für bilaterale Lösungen gewinnen.
Derzeit aber ist die Ausland-Kompensation aber eines der brisantesten umstrittenen Themen bei der Revision des CO2-Gesetzes. In seinem Entwurf schlug der Bundesrat im November vorigen Jahres vor, dass bis zu 40 Prozent der bis 2030 geplanten CO2-Reduktion im Ausland erfolgen dürfe. Die FDP und SVP sorgten im Nationalrat dafür, dass weder der Vorschlag des Bundesrates noch derjenige der Grünen, der SP und Grünliberalen, die maximal 25 Prozent Auslandkompensation erlauben wollten, angenommen wurde. Schliesslich beschloss der Rat, gar keinen fixen Inlandanteil im Gesetz festzulegen. Damit könnte (theoretisch) die ganze notwendige Reduktion durch den Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland erfolgen. Mit diesen und weiteren Änderungen gelang es den SVP- und FDP-Hardlinern, das CO2-Gesetz so zu «entschärfen», dass sich SP, GLP und Grüne zuletzt weigerten, dieser Kastratenlösung zuzustimmen.
Selbstverständlich war und ist allen Beteiligten klar, dass eine mehr oder minder grosse Auslandkompensation im Grunde nichts anderes ist als ein leicht zu durchschauendes Täuschungsmanöver, eine faule Ausrede für ein völlig anderes Anliegen: FDP und SVP wollen, dass die Schweiz nicht auf den Wohlstand verzichten soll, der momentan nur durch extrem hohe CO2-Emissionen gewährleistet wird. Für5 diese unsolidarische Lösung ist man aber bereit, in Brasilien ein paar hundert Hektaren Regenwald aufzuforsten oder einige tausend Solarkocher nach Afrika zu schicken – als eines der reichsten Länder der Welt wird man sich diesen kleinen Ablasshandel ja leisten können.
Das Klimaabkommen von Paris, das die Schweiz ebenfalls ratifiziert hat, verlangt allerdings etwas völlig anderes, nämlich dass jeder Staat gemäss seiner Verantwortung und seinen Möglichkeiten einen fairen Anteil leistet an der Verminderung der globalen Treibhausgase, so klein dieser Anteil in absoluten Zahlen auch sein mag. Ganz anders SVP und FDP; sie vertreten eine eher eigennützige Optik: Die Schweizer SUV-Fahrer finanzieren lieber ein Stück brasilianischen Regenwald oder ein Regenwasser-Filtersystem für Schulen und Haushalte in Uganda, als dass sie auf ihren Luxus verzichten.
Dass dieses Argument in einer längerfristigen Perspektive auch wirtschaftlich nicht besondern klug ist, kommt allerdings dazu: Auch wenn die Schweiz sich noch ein paar Jahre durch Auslandkompensationen davor drücken kann, ihre Emissionen wirksam und schnell zu reduzieren – irgendwann vor 2050 muss sie es dann ohnehin doch tun, bloss auf einem noch viel radikaleren, zeitlich knapperen und teureren Verminderungspfad. Dass sie zuvor über mehrere Jahre ausländische Reduktionsprojekte finanziert hat, hilft ihr dann gar nichts. Dieses ist dann, zumindest aus Schweizer Ego-Optik, «hinausgeworfenes Geld, (CR)