Eigentlich hätten am EU-Gipfel in der vergangenen Woche (20./21. Juni) wichtige klimapolitische Entscheide gefällt werden sollen. Daraus wurde aber nichts, weil vier EU-Länder sich quer legten. Die Folgen insbesondere für den UN-Sondergipfel in New York im September und für die Weltklimakonferenz im November in Santiago de Chile sind noch nicht absehbar, könnten aber verheerend sein.

Die EU-Kommission hatte sich einiges vorgenommen: Mit einem verbindlichen Entscheid, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto Null herunterzufahren, und einer Verschärfung der Klimaziele bis 2030 wollte die EU im Hinblick auf die internationalen Klimaverhandlungen im Herbst eine zentrale Rolle als Vorbild und Klima-Vorreiter spielen. Mit diesem Entschied wäre die EU die erste Volkswirtschaft der Welt geworden, die sich verbindlich zur Klimaneutralität bis 2050 verpflichtet hätte, also zu jenem Ziel, das laut einem Sonderbericht des Weltklimarats IPCC unbedingt erreicht werden muss, um – wenigstens mit einer 50-prozentige Chance – die Erderhitzung bei 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu stoppen.

Die Verbindlichkeit verschwindet in einer unverbindlichen Fussnote

Am Klimagipfel war aber nicht einmal so sehr die Klimaneutralität umstritten als vielmehr das verbindliche Datum 2050. Nach stundenlangen Verhandlungen, derentwegen laut der Frankfurter Rundschau sogar ein Abendessen für die Minister verschoben werden musste, findet sich das umstrittene Datum bloss noch in einer Fussnote. Im Haupttext, den sogenannten Schlussfolgerungen, werden die EU-Gremien nur noch aufgefordert, sich für den Übergang zu einer klimaneutralen EU einzusetzen. Eine Formulierung, wie sie in zahlreichen unverbindlichen Absichtserklärungen steht, mit der die Verhandler jeweils ausdrücken, dass sie ohnehin nicht beabsichtigen, sich daran zu halten.

Auch Deutschland hatte sich lange gegen diesen Vorschlag gewehrt, den die EU-Kommisision im vergangenen November lanciert hatte und der vor allem von Frankreich – und nach einigem Zögern – auch von den meisten anderen EU-Staaten unterstützt wurde. Dass sich vor allem Polen, aber auch Tschechien, Ungarn und Estland dagegen wehrte, ist kein Zufall; Polen hat einen hohen Anteil an Kohlestrom und müsste für die vorgesehene Energiewende mehr investieren als andere EU-Länder. Das ist zwar nicht zwingend so, weil die EU den einzelnen Ländern unterschiedliche «Absenkungspfade» zugesteht. Letztlich geht es also, wie so oft, weniger ums Klima als vielmehr um Geld. Polens Ministerpräsident Mateus Morawiecki machte schon vor der Konferenz klar, dass Polen sich nicht auf strengere EU-Klimaziele einlasse, so lange die EU keinen entsprechenden Ausgleich für Mitgliedstaaten anbiete.

Auch die Klimaziele für 2030 bleiben völlig ungenügend

Für die aktuelle politische Lage aber fast noch wichtiger als dieser gescheiterter Vorstoss ist gemäss dem deutschen Onlineportal Klimareporter, dass die Staats- und Regierungschefs sich auch nicht auf eine Verschärfung ihres Klimaziels für 2030 einigen konnten. Diese Verschärfung ist deshalb wichtig, weil die von den Ländern selbst deklarierten Reduktionsziele insgesamt nicht ausreichen, um das globale Zwischenziel für 2030 zu erreichen. Statt wie zugesagt 40 Prozent müsste die EU ihre Treibhausgas-Emissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 reduzieren.

Die Verhandlungen über solche verschärfte Reduktionsziele der einzelnen Länder sind Thema des News Yorker Klima-Gipfels im September. Bis dahin sollen laut NZZ die Bemühungen nochmals intensiviert werden, die Mitgliedländer zu ambitionierteren Zielen zu animieren. Die EU aber hat in dieser Hinsicht nichts Neues zu bieten, sondern wird mit ihren 2011, also noch vor Paris, beschlossenen, überholten Reduktionszielen kaum mehr neuen Schwung in die stockenden Verhandlungen bringen.

Das ist ein äusserst schlechtes Signal für die kommenden Klimaverhandlungen in New York und Santiago de Chile. Warum, werden sich viele Länder fragen, warum sollen wir unsere Reduktionsziele verschärfen, wenn nicht einmal eine der reichsten und potentesten Volkswirtschaften der Welt zu solchen Schritten bereit ist? Ihre Rolle als Vorreiterin einer ambitionierteren Klimaschutzpolitik hat die EU damit jedenfalls ausgespielt.

Klar also, dass die Umweltverbände völlig enttäuscht und empört sind. Greenpeace sprach von einem „schwarzen Tag für den Klimaschutz in Europa», die NGO Germanwatch stellte ernüchtert fest, die EU-Staats- und Regierungschefs hätten den Klimaschutz zwar zu einer Hauptaufgabe erklärt, seien aber schon bei der ersten Bewährungsprobe dazu gescheitert.

Erfreut zeigte sich erwartungsgemäss etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI); mit ihrem Verzicht auf Netto-Null bis 2050 hätten die Staats- und Regierungschefs verhindert, dass die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit in Europa noch grösser werde. Dass es mitunter genau die grossen Industrie- und Wirtschaftsverbände sind, welche mit ihrer Lobbyarbeit, mit Druck- und Erpressungsversuchen dafür sorgen, dass diese Kluft nicht kleiner wird. verschweigen sie natürlich geflissentlich; es passt schlecht zu ihrem Mantra der Eigenverantwortung.

Einsame Spitze in der rhetorischen Bewältigung dieses Scheiterns war wieder einmal die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Laut der Frankfurter Rundschau meinte sie, sie habe beim EU-Gipfel im März „noch nicht damit gerechnet (…), dass wir eine so breite Mehrheit für die Klimaneutralität 2050 bekommen“. Das Ergebnis sei „besser (…), als ich es erwartet habe.“ Gäbe es keine Bilder vom Klimagipfel, müsste man annehmen, die Kanzlerin sei an einer ganz anderen Klimakonferenz gewesen als die Regierungschefs der übrigen 27 EU-Mitgliedsländer. (CR)