Die Stadt Zürich hat ein happiges Problem: Der Gemeinderat fordert (im Einklang mit den Zürcher Klimaaktivisten), dass die Stadt ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 auf Netto Null reduziert. Ist das überhaupt möglich?

Die vermutlich richtige Antwort ist: Wir wissen es nicht. Stefan Häne und Martin Läubli, die beiden kompetentesten Umweltjournalisten der Schweiz, zählen in ihrer Analyse «In zehn Jahren runter auf null» alle Probleme und Schwierigkeiten auf, die dagegen sprechen, dass diese Ziel überhaupt erreichbar ist. Fazit: Ihrer Meinung nach ist diese Forderung eine Illusion.

Das Basiskonzept der Stadtzürcher Klimapolitik, die 2000-Watt-Gesellschaft, war bisher ausgerichtet auf einen Zeithorizont bis 2050 und eine Reduktion der Treibhausgasemissionen auf ungefähr 1 Tonne CO2 pro Kopf und Jahr. Nun soll das Ziel schon 20 Jahre früher erreicht werden – zusätzlich soll die Zielvorgabe von 1 Tonne pro Kopf und Jahr auf Netto Null verschärft werden. 2016 lag der CO2-Ausstoss noch bei 4,7 Tonnen pro Kopf. Doch trotz aller bisheriger Anstrengungen wird die Stadt Zürich das Zwischenziel von 4 Tonnen für 2020 kaum erreichen, zitiert der Tages-Anzeiger Rahel Gessler, die Leiterin des Fachbereichs 2000-Watt-Gesellschaft und Mitglied der Geschäftsleitung in der Abteilung Umwelt- und Gesundheitsschutz der Stadt Zürich.

Völlig zu Recht weisen Häne und Läubli darauf hin, dass die Steuerungsmöglichkeiten der Stadt Zürich relativ gering sind, da die wirklich entscheidenden Massnahmen auf Kantons- und Bundesebene getroffen werden. Zudem macht es wenig Sinn, dass die städtische Klimapolitik sich – etwa in Bezug auf den Verkehr – auf das Stadtgebiet beschränken muss: Auf die Emissionen, welche der Pendlerverkehr «von aussen» in die Stadt hineinträgt, hat die Stadt praktisch keinen Einfluss.

Das Fazit von Silvia Banff Frost, der Energiebeauftragten der Stadt Zürich , ist völlig klar: «Ohne die entsprechenden Rahmenbedingungen auf Bundes- und Kantonsebene können wir netto null bis 2030 nicht erreichen.». Ob und wie sich diese extrem komplexen Probleme lösen lassen, ist ungewiss. Der Gemeinderat hat der städtischen Verwaltung den Auftrag erteilt, diese Fragen abzuklären und brauchbare Vorschläge zu evaluieren. Das zumindest sollte man abwarten, bis man entscheiden kann, ob die links-grün-alternativen Forderungen realistisch oder illusionär sind. Da greifen Läubli und Häne ein Problem auf, dem sich auch die Zürcher Klimaaktivisten und die rot-grünen Politikerinnen und Politiker stellen müssen.

Links und rechts – Hans wie Heiri?

Ärgerlich ist nicht dieser Befunde, sondern der Kommentar von Stefan Häne zu dieser Analyse. Dass er diese «linke Forderung» schon als pure Illusion abtut, noch bevor die Stadtverwaltung ihre Fakten, Abwägungen und möglichen Konzepte auf den Tisch gelegt hat, gehört ins Kapitel voreiliger Journalismus. Ärgerlich ist etwas anderes, nämlich dass Häne es offenbar nötig findet, gegen jene Linke und Grüne nachzutreten, die nicht immer schon für den Kompromiss sind, bevor sie überhaupt klare Forderungen gestellt haben.. «Die links-grünen Politiker», tadelt Häne, «wecken falsche Erwartungen – und unterscheiden sich damit in nichts von jener Partei, der sie unablässig Populismus vorwerfen: der SVP.»

Ist das noch die Tagesanzeiger-spezifische «Ausgewogenheit oder schon der hinterrückse Tritt in Schienbein? Denn die fundamentalen Unterschiede sind selbst für Laien spielend leicht erkennbar: Die Einen wollen aus berechtigter Sorge um ihre Zukunft vielleicht etwas zu viel, die Anderen aber am Liebsten gar nichts. Die Einen orientieren sich mit ihren Forderungen an den Erkenntnissen der Klimaswissenschaftler, die der Politik ein Zeitfenster von nicht viel mehr als zehn Jahren geben, um die Katastrophe zu verhindern. Die Anderen haben noch nicht einmal begriffen, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern. Die Einen haben begriffen, dass der Bremsweg eine physikalische Grösse ist und wir nur entscheiden können, ob wir zu früh oder zu spät auf die Bremse treten. Die Anderen meinen immer noch, dass die Physik sich nach den Wünschen der SVP richten wird. Die Einen mit den Anderen in den gleichen Topf zu schmeissen, ist deshalb demagogisch, egal, was man von den Forderungen der Klimaaktivisten und den rotgrünalternativen Politikerinnen und Politikern hält. (CR)