Vor drei Monaten fragte die NZZ, wie klimaschädlich denn Streaming sei. Allerdings missbrauchte die Zeitung das Thema vor allem, um gegen die Klimajugendlichen zu polemisieren. Jetzt versuchte es auch die Tamedia-Redaktion und verhedderte sich ebenfalls in der Thematik, wenn auch ganz ohne polemische Untertöne gegen die Klimajugend.
Die Artikel der NZZ und der Tamedia-Redaktion beziehen sich beide auf die gleiche Studie der französischen Denkfabrik «The Shift Project», die den ökologischen Fussabdruck der ICT-Branche zu messen versucht. Sie kommt zum Schluss, dass die umweltpolitischen Folgen der digitalen Wirtschaft konstant unterschätzt werden. So mache der Anteil der ICT-Branche an den globalen Treibhausgasemissionen rund 3,7 Prozent aus. Das sei fast doppelt so viel wie der Beitrag der zivilen Luftfahrt (2 Prozent) und knapp die Hälfte des Ausstosses aller Personenfahrzeuge und Motorräder (8 Prozent). Und: Setzt sich der Trend fort und steigt das Datenvolumen im Internet weiterhin um zirka 30 Prozent pro Jahr, wäre die ICT-Branche schon 2025 für rund 8 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Unsinnige Schwarz-Peter-Spiele
Die Tamedia-Redaktion geht erstaunlicherweise gar nicht im Detail auf diese Zahlen ein, die ja eigentlich die Basis für alle weiteren Diskussionen sein müssten, sondern bleibt in ihrem Interview mit Lorenz Hilty, dem Leiter der Forschungsgruppe Informatik und Nachhaltigkeit an der Universität Zürich, gleich von Anfang an im Grundsätzlichen.
Und Hilty, als wäre er etwas überrumpelt, lässt sich auf ein fachsimpelndes Detail-Niveau ein, rechnet vor, wieviele Gramm CO2 eine Stunde Netflix-Film (28 Gramm) und wieviele Kilogramm CO2 eine Stunde Flug (130 Kilogramm) verbrauchen. Und er wirft er NZZ Unfairness vor, weil sie den beiden Sektoren unterschiedliche Berechnungsmethoden zugrunde lege. Dass Hilty im Eifer des Gefechts seine IT-Branche gegenüber dem Flugverkehr in Schutz nehmen will und die NZZ anklagt, obwohl die allfällige «Unfairness» der Studie vorzuwerfen wäre, ist ein verzeihlicher kleiner Fehler. Dass Hilty sich (zu Recht) dagegen verwahrt, die verschiedenen Sektoren gegeneinander auszuspielen, dann aber genau dies auch selber macht, gehört möglicherweise zu den Kollateralschäden flüchtig geführter Interviews.
Wie klimaschädlich ist Energie – eine falsche Frage
Wesentlich ärgerlicher und für die Diskussion folgenreicher ist ein Irrtum, der in der ganzen Klimadebatte immer wieder für Verwirrung sorgt (siehe auch hier). Nämlich: Wie klimaschädlich oder klimafreundlich etwa Streaming oder die Zürcher 2000-Watt-Gesellschaft sind, hängt vom Strommix ab. Wenn es der Stadt Zürich gelingen würde, ihre Energieversorgung vollständig auf erneuerbare Energie umzustellen, dürfte Zürich (theoretisch jedenfalls) gut und gern auch eine 3000- oder 4000-Watt-Gesellschaft sein. Und wenn YouTube, Streaming oder das sogenannte Internet der Dinge vollständig durch erneuerbare Energie gespeist würden – und die Produktion der entsprechenden Hardware ebenfalls, spräche zumindest aus klimapolitischer Sicht nichts dagegen, dass auch die Klimaaktivisten 24 Stunden Netflix schauen.
In kaum einer dieser Studien (oder ihrer medialen Umsetzung) wird aber angegeben, von welchem Strommix die Berechnungen ausgehen. Und erst recht problematisch ist das für entsprechende Zukunftsprognosen. Insofern steckt in diesen Studien nicht bloss recht viel Kaffeesatzleserei; sie lassen sich auch leicht missbrauchen für Zwecke, die nur wenig mit dem Klima zu tun haben, aber der Diffamierung der Jugendlichen oder des ganzen Netflix-Spotify-Youtube-Konsums dienen. (CR)