Mit einem sogenannten «Klima-Marshall-Plan» haben die Schweizer Sozialdemokraten im Juli im Hinblick auf die Wahlen im Herbst einen guten Anlauf genommen. Zugleich bereiten sie mit der seltsamen Behauptung, die Klimaschutzmassnahmen würden den Mittelstand nicht belasten, ihr Scheitern vor. Denn dieses Sommermärchen glaubt den Sozialdemokraten wohl zu Recht kaum jemand.
Dass die Sozialdemokraten nicht bloss wegen dem Hitzesommer schwitzen, sondern vor allem auch wegen der kommenden Wahlen, versteht sich: Sie werden nicht bloss von den Grünen (und ein bisschen auch von den Grünliberalen) bedrängt, die ihr Grünes Programm bisher viel besser verkauften. Auch von rechts droht neuerdings Gefahr, seit die FDP mit einem angegrünten Klimaprogramm Wahlkampf macht. Anfangs Juli hat die SP in einem sogenannten «Klima-Marshallplan» 40 konkrete Klimamassnahmen aufgelistet, die zusammen fast schon eine Art Konzept vermuten liessen.
Auch was die Finanzierung dieser Massnahmen anbelangt, nannte die SP ein paar konkrete Zahlen: Rund drei Milliarden soll der Bund jedes Jahr zusätzlich investieren. So etwa in die Elektrifizierung von Fahrzeugen und Verkehrsinfrastruktur (500 Millionen Franken), den Ausbau von Solarstrom (500 Millionen Franken) oder das sofortige Verbot fossiler Heizungen in neuen Gebäuden. Am teuersten wäre die Aufstockung des Gebäudesanierungsprogramms um 800 Millionen Franken auf eine Milliarde Franken pro Jahr. Mit all diesen Massnahmen, so heisst es im SP-Klimaplan, könnte die Schweiz es schaffen, bis 2050 die Nettoemissionen auf Null zu reduzieren.
Der Schweizer Mittelstand wird finanziell nicht belastet. Wirklich?
«Da Klimaschutz und Umweltmassnahmen im Ruf stehen, das Leben teurer zu machen» schreibt die NZZ jetzt etwas hämisch, «sah sich die SP genötigt, ihrem ‹Klima-Marshall-Plan› gleich auch noch eine Studie zur Sozialverträglichkeit der 40 vorgeschlagenen Klima-Massnahmen beizulegen.» Und tatsächlich, auf einzelne Haushalte heruntergebrochen, kommt diese Auftragsstudie des Basler Beratungsbüros B, S, S. laut NZZ zum Schluss, dass «der Schweizer Mittelstand durch die neusten Ideen der SP finanziell nicht belastet würde. Im Gegenteil, die Bevölkerung würde auf lange Sicht gar profitieren.» Das meint laut NZZ jedenfalls SP-Nationalrat Beat Jans: «Die Umstellung auf einheimische Energiequellen wird dazu führen, dass die Energiekosten in der Schweiz sinken, deutlich weniger Geld ins Ausland abfliesst und Tausende Jobs geschaffen werden.»
Die NZZ meint dazu: «Alles wunderbar, könnte man meinen.» Aber: «Dass ausgebauter Klimaschutz in der realpolitischen Umsetzung vielfach höhere Kosten für den einzelnen Verbraucher bringt, ist wohl trotz allem nicht zu vermeiden. (…) Wenngleich man es nicht gerne öffentlich einräumt, ist sich auch die SP-Spitze bewusst: ‹In der Übergangsphase kommen wir sicher nicht ohne einen höheren Benzinpreis aus», meint beispielsweise SP-Präsident Levrat im Gespräch mit der NZZ nach mehrmaligem Nachhaken.»
Steckt die ganze Wahrheit in farbigen Grafiken?
Tatsächlich wirkt die Studie in Bezug auf Umfang und Methode seltsam rudimentär. Soweit ersichtlich, fehlen Zahlen für klimabedingte Kosten der Industrie, der Landwirtschaft und der Infrastruktur – leider hat die SP die Studie selber nicht veröffentlicht – auf der Webseite der SP findet man lediglich eine riesige Menge schöner farbiger Grafiken, die alle möglichen finanziellen Effekte der direkten Energieausgaben, einer CO2-Abgabe oder des Gebäudeprogramms auf drei verschiedene Familien- und Einkommensgruppen aufzeigt. Dabei werden viele explizite und implizite Abnahmen getroffen, die man einzeln zusammensuchen müsste, wenn man die Zahlenspiele selber nachvollziehen möchte; auch fehlt eine verständliche schlüssige Zusammenfassung dieses Zahlenbergs.
Auch wer die Wissenschaftlichkeit der einzelnen Ergebnisse der Studie nicht anzweifelt, dem sticht doch die Beschränktheit der Erhebung ins Auge. Die Kosten der Klimawende beschränken sich ja nicht bloss auf die Energiekosten, die Betriebskosten eines Autos und die Kosten für die Sanierung einer Wohnung oder eines Hauses.
Solche beschönigenden Zahlenspiele sind hochgefährlich. Erweisen sie sich als unzuverlässig oder gar falsch, verwandelt sich der ganze Klima-Marshallplan in einen wertlosen Papierhaufen, mit dem man im Wahlkampf kaum überzeugend punkten kann.
«Vor uns liegt ein Jahrhundertprojekt»
Worum es bei der Klimawende gehen müsste, skizziert etwa der deutsche SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, dessen Kernaussagen auch auf die Schweiz zutreffen. «Vor uns liegt ein Jahrhundertprojekt», sagt Miersch, «wenn Deutschland CO2-neutral werden soll, bedeutet das, dass wir unsere gesamte Gesellschaft umbauen müssen. Wir müssen zurück zum Bekenntnis zur Daseinsvorsorge. Nicht der Markt, sondern der Staat – das heisst die Gemeinschaft – ist jetzt gefragt. Wir reden über unsere Wirtschaft, den Verkehr, die Art wie wir leben. Ohne die komplette Umstellung auf Erneuerbare Energien, können wir Klimaneutralität bis 2050 niemals erreichen.» Und: «Wir müssen das alles viel grösser denken. Es geht um ein Gesamtkonzept. Wir werden als Staat viele Milliarden in die Hand nehmen müssen, um die Infrastruktur so auszubauen, dass klimaschonende Mobilität für jeden möglich wird. Gleiches gilt für klimaneutrales Wohnen.»
Dass dieser Umbau der ganzen Gesellschaft – und darum geht es – sehr teuer wird, bestreitet Miersch zu Recht nicht. Wer glaubwürdig bleiben will, muss seinen Wählern reinen Wein einschenken, auch wenn es unbequeme Wahrheiten sind. Miersch: «Nichts tun wäre viel teurer. Wir werden insgesamt gesehen einen dreistelligen Milliardenbetrag in die Hand nehmen müssen, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen. Aktuell investieren sowohl der Staat als auch die Unternehmen viel zu wenig.» Dazu macht Miersch einen bedenkenswerten Vorschlag: «Ich schlage vor, den Bürgern die Möglichkeit zu geben, sich an der Finanzierung zu beteiligen, etwa durch Öko-Schatzbriefe. Wer Geld übrig hat, kann es in die Energiewende Deutschland investieren. Dann bekämen die Menschen für ihr Erspartes eine Rendite – und sie würden sich stärker mit der Klimawende identifizieren.» (CR)