«Jetzt redet der Swiss-Chef», titelte die Sonntagszeitung.ch, als ob die Luftverkehrs-Lobby in den vergangenen Wochen in den Schweizer Medien zu kurz gekommen wäre. Zu sagen hat der Swiss-Chef Thomas Klühr allerdings nichts Neues.

Seit die FDP im Ständerat möglicherweise für eine kleine Flugticketabgabe eintritt, dreht die Flug-Lobby, wir haben es bereits einmal aufgelistet, im roten Bereich: Ex-Linienpilot und FDP-Nationalrat Paul Kurrus, der Zürcher Flughafen-Chef Stephan Widrig, der Lufthansa-Konzernchef Carsten Spohr und der Swiss-Manager Jean-Pierre Tappy durften in der NZZ grossflächig gegen die Abgabe wettern, Auch bei den Tamedia- und AZ-Blättern, bei Ringier, Watson und anderen Zeitungen kamen die Gegner einer Flugticketabgabe nicht zu kurz. Auch Swiss-Chef Thomas Klühr wurde eifrig zitiert mit seinen skurrilen Rechnungen, dass die Emissionen der Swiss zwar gestiegen, aber eigentlich doch gesunken seien, wenn man es nur richtig betrachte. Und dass die Swiss das Klima am besten schütze, wenn sie ganz viele neue Flugzeuge anschaffe, weil diese doch etwas sparsamer seien im Verbrauch von Kerosin.

» Eine effiziente Flotte ist die mit Abstand wirksamste Massnahme», meinte er auch im «Jetzt-spricht-der Boss»-Interview in der Sonntagszeitung. «Wir haben über ein Jahrzehnt 8 Milliarden Franken in eine der modernsten Flotten Europas investiert. Damit konnten wir in den letzten 15 Jahren den Treibstoffausstoss um 30 Prozent senken. In den letzten drei Jahren haben wir es unter anderem dank der Einflottung der C-Series geschafft, CO2-neutral zu wachsen.» So formuliert, sind Klührs Rechenkunststücke gelinde gesagt: sehr eigenwillig, im Klartext: irreführend, falsch. Denn in Wahrheit, das zeigt eine von Swiss selber veröffentlichte Grafik, ist der Treibstoffverbrauch zwischen 2003 und 2018 nicht um 30 Prozent gesunken, sondern um 30 Prozent gestiegen; gesunken ist lediglich der Treibstoffverbrauch pro Person – bei einer Steigerung der Transportleistung um 107 Prozent.

Quelle: Swiss

Auch nicht brandneu ist das Argument, dass es weiter Inlandflüge geben müsse, weil sonst die potenziellen Swiss-Kunden mit anderen Fluggesellschaften von nahen ausländischen Flughäfen abfliegen würden. Und selbstverständlich spielt Klühr auch die inzwischen etwas abgenudelte Platte von der völkerverbindenden Rolle des Fliegens: «Ich denke, dass unsere Branche es versäumt hat, die Vorzüge der Luftfahrt herauszustreichen. Das Fliegen trägt wesentlich zum Austausch zwischen Menschen, Kulturen und Gütern bei. (…) Wenn wir an einer globalisierten Welt festhalten wollen, braucht es die Luftfahrt.» Und schliesslich: «Ich hoffe einfach, dass am Ende die Vernunft siegt.» Die «ökologische Vernunft» hat er da vermutlich nicht gemeint …

400-Prozent-Sieg oder 99-Prozent-Misserfolg?

Zu den dürftigsten Argumenten gegen eine Flugticketabgabe gehören die Plädoyers für eine freiwillige CO2-Kompensation. Auch der Tages-Anzeiger verwendet wieder einmal fast eine ganze Zeitungsseite, um ein Loblied auf diesen billigen Ablasshandel zu singen. «Monate der Klimastreiks und politischen Debatten haben der Fliegerei nichts anhaben können. Trotzdem ist die Flugscham spürbar. Nicht bei der Swiss, dafür bei den Anbietern von CO2-Kompensationen», schreibt der Tages-Anzeiger und jubelt: «Über den Webrechner der Zürcher Stiftung (Myclimate) sind bis Ende Juli 2019 rund 400 Prozent mehr CO2 wettgemacht worden als im selben Zeitraum 2018. Und schon 2018 war ein absolutes Rekordjahr.»

Zu diesem Loblied gehört, dass lang und breit über die Kochöfeli in Madagaskar berichtet wird, welche unter anderem aus den CO2-Kompensationen von Myclimate finanziert werden. Nichts dagegen, aber: Bei aller Freude über diese wunderbaren guten Taten im Namen der Klimarettung – was der Tages-Anzeiger als 400-Prozent-Erfolg verkauft, ist in Wahrheit ein 99-Prozent-Misserfolg. Denn nur etwas mehr als ein Prozent der Flugkunden bezahlen diese freiwillige Kompensation, mit anderen Worten: 99 Prozent scheren sich nicht im Geringsten darum. Das zum Thema Eigenverantwortung.

Dazu kommt: Was als Kompensation angepriesen wird, ist zum Teil nicht mehr als ein Trinkgeld. Zwischen 2.75 Franken (!) und 67 Franken bezahlt man für einen Economy-Flug nach London, ein Flug nach Los Angeles verteuert sich um 33.35 Franken (!) und 144.05 Franken. Bei einer Kompensation der tatsächlichen CO2-Kosten – das deutsche Bundesumweltamt kommt aufgrund sorgfältiger Berechnungen auf 180 Euro pro Tonne CO2 – müsste die Kompensation für einen Flug nach London rund 80 Franken, für einen Flug nach Los Angeles rund 350 Franken kosten. Davon sind die tatsächlichen Preise meilenweit entfernt,

Ein Grund für diese riesigen Diskrepanzen ist, dass die Anbieter ganz Verschiedenes ganz verschieden berechnen. So ist es beispielsweise günstiger, schreibt der Tages-Anzeiger, «in Thailand Abwasser von klimaschädlichen Gasen zu befreien (10 Franken pro Tonne CO2), als in Kolumbien Wälder aufzuforsten (19 Franken pro Tonne CO2).  Am teuersten ist ein Engagement in der Schweiz. Myclimate unterstützt beispielsweise die Renaturierung des Hochmoors im Glarner Schwändital.»

Das alles ist, übers Ganze gesehen, Symbolpolitik mit Voodoo-Ökonomie. Dass ausgerechnet einer der früheren Klimavorkämpfer, der heutige grüne Zürcher Nationalrat Bastien Girod, für «South Pole», den Billigen Jakob unter den Klima-Ablasshändlern, arbeitet, ist nur eine kleine Nebenpointe dieser kläglichen Geschichte. Im Tages-Anzeiger schwärmt er: «Es geht zurzeit darum, gemeinsam den Markt zu vergrössern. Das Potenzial ist riesig.» Unverblümter könnte man es kaum sagen.

Eine Frage, die alle Befürworter einer freiwilligen CO2-Kompensation – und dazu gehören offensichtlich alle Flug-Lobbyisten – bisher nicht plausibel beantwortet haben, lautet allerdings: Wenn die offenbar so grossartige CO2-Kompensation auf freiwilliger Basis nicht funktioniert, warum sorgt man dann nicht dafür, dass sie funktioniert? Das wäre dann eine ganz normale obligatorische Flugticketabgabe, berechnet auf der Grundlage des Kerosinverbrauchs und der tatsächlichen Kosten der CO2-Emissionen. Aber ganz so ernst haben es die Flug-Lobbyisten mit ihren Beteuerungen, dass ihnen das Klima wirklich, wirklich sehr am Herzen liege, vermutlich doch nicht gemeint. (CR)