Natürlich war auch die Flugticketabgabe ein Thema, als die Umweltkommission des Ständerates (UREK-S) Mitte August (15./16.August) über die Revision des CO2-Gesetzes diskutierte. Die vorgeschlagene Lösung hilft der FDP im Wahlkampf, sich als grüne Partei zu verkaufen, und sie ist für die Fluglobby mit einigem Murren verkraftbar. Nur dem Klima ist damit nicht geholfen.
Noch im Dezember wurde die Abgabe nicht nur von der SVP, sondern auch von der FDP abgelehnt; das sorgte dafür, dass die Revision des CO2-Gesetzes im Nationalrat schliesslich bachab geschickt wurde. Jetzt tun die bürgerlichen Parteien so, als wäre mit einem grünen Ja der FDP die ganze Schweizer Klimapolitik wieder auf bestem Weg, während die Fluglobby vorläufig noch so tut, als würde eine Flugticketabgabe das ganze Land ins wirtschaftliche Elend stürzen. Beides ist natürlich falsch, denn die entscheidende Frage ist nicht, ob die Abgabe kommt oder nicht, sondern ob sie genügend hoch ausfällt, dass sie überhaupt eine Wirkung erzielt. Und ob sie den Fluggesellschaften und Flughäfen genug Zeit einräumt, um – diese Wahrheit muss Konsens werden – den Luftverkehr auf einem beträchtlich tieferen Niveau neu zu organisieren.
Die Luftverkehrs-Lobby jammert, was das Zeug hält
Gegen die Abgabe, wir haben bereits darüber berichtet, macht vor allem die mächtige Flug-Lobby immer noch heftig Stimmung. Und dies mit freundlicher Unterstützung der Tamedia-Zeitungen und der NZZ, die den Lobbyisten grosszügig Platz einräumen – in der NZZ kurz nacheinander Ex-Linienpilot und FDP-Nationalrat Paul Kurrus, dem Zürcher Flughafen-Chef Stephan Widrig, dem Lufthansa-Konzernchef Carsten Spohr und dem Swiss-Manager Jean-Pierre Tappy; in den Tamedia-Blättern vor zwei Wochen ganzseitig der Swiss-Chef Thomas Klühr, am vergangenen Mittwoch, ebenfalls ganzseitig, wieder einmal Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Und selbstverständlich war NZZ-Redaktor Werner Enz am vergangenen Mittwoch (21. August) auch flugs mit einer halben Seite zur Stelle, als der Branchenverband Iata eine «Studie» vorstellte, die als einziges Argument gegen die Flugticketabgabe den Abbau von «mindestens 3000 Arbeitsplätzen» prognostiziert. Dass solche «Prognosen» meist so zufällig sind wie astrologische Prophezeiungen, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen. Für jedes beliebige Anliegen findet sich bekanntlich ein Professor, dessen Studie genau das gewünschte Resultat erbringt.
Für die Befürworter der Flugticketabgabe aber hatten die Tamedia-Zeitungen bisher partout keinen Platz, in der NZZ kam zumindest ein Mal der WWF-Flugverkehrsexperte Patrick Hofstetter in einem Streitgespräch mit Swiss-Manager Tappy zu Wort. Inwieweit die Flug-Lobby allerdings nur so viel Lärm macht, damit die Abgabe wenigstens möglichst tief ausfällt, kann man nur vermuten.
Zwischen 30 und 120 Franken
Nun hat sich die Umweltkommission dennoch auf eine Flugticketabgabe geeinigt. Allerdings, viel mehr als eine Alibiübung, die beweisen soll, dass die FDP jetzt ganz toll grün ist, ist daraus nicht geworden. Auf Europaflügen soll der Klimazuschlag mindestens 30 Franken betragen; auf Langstreckenflügen ist eine Abgabe von maximal 120 Franken vorgesehen. Da die meisten lokalen Flugpassagiere irgendwann auch wieder nach Zürich zurückkehren, für die Rückflüge aber keine Abgabe bezahlt werden muss, kann man die Abgabe pro Flug faktisch halbieren. Überdies sollen alle Transit- und Umsteigeflüge von der Flugticketabgabe befreit sein, damit der Flughafen Zürich als längst überlasteter Hub noch etwas mehr überlastet wird. Das heisst: Fast ein Drittel aller Flugpassagiere müssen ohnehin keine Abgabe bezahlen.
Mit diesen Entscheiden folgt die Kommission ziemlich genau den Vorschlägen des Zürcher FDP-Ständerates Ruedi Noser, der als Vorstandsmitglied der Zürcher Handelskammer schon früh dafür plädierte, dass die Abgabe «wirtschaftsverträglich» sein müsse und der Umsteigeverkehr als volkswirtschaftlichen Gründen auszuklammern sei. (Dass die Abgabe eventuell auch «konsumentenverträglich» sein müsste, kam ihm offenbar gar nicht in den Sinn.)
Ist doch klar: Solange Fliegen so billig ist, wird immer mehr geflogen
Die entscheidende Frage aber ist, was diese Abgabe dem Klima bringt. Die Antwort ist klar: Fast nichts. Fast alle Experten sind sich einig, dass diese Aufschläge – erst recht in der reichen Schweiz – kaum jemanden von einem Wochenendtrip nach Barcelona oder von Ferien auf Sri Lanka abhalten. Was aber wären denn Abgaben, die dafür sorgen, dass die Treibhausgasemissionen des Flugverkehrs tatsächlich im notwendigen Mass sinken.
Zu diesem Thema gibt es zahlreiche Studien. Sie zielen zwar alle auf eine alle Sektoren, also auch den Luftverkehr, umfassende, einheitliche CO2-Steuer; da aber eine CO2-Steuer die gleichen Ziele verfolgt wie die Flugticketabgabe, können die Vorschläge durchaus auch auf beide Abgaben angewendet werden. Ein von der deutschen Umweltministerin Svenja Schulze beauftragtes Gutachten des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung geht von einem Einstieg bei 35 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2020 aus und lässt den Satz dann bis 2023 auf etwa 80 Euro und bis 2030 auf 180 Euro pro Tonne ansteigen. Das sei, meinen die Gutachter, sowohl wirkungsvoll in Bezug auf die Reduktion der Emissionen wie sozialverträglich, wenn entsprechende zusätzliche Massnahmen ergriffen würden. Die„Carbon Pricing Leadership Coalition“, ein von der Weltbank initiierter Zusammenschluss von bis jetzt 20 Ländern, plädiert für einen Preis von 35 bis 70 Euro pro Tonne, der bis 2030 auf 44 bis 88 Euro pro Tonne ansteigen soll. Eine Gruppe hochkarätiger Ökonomen um den früheren Chefökonomen der Weltbank Nicholas Stern und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz schlugen bereits 2017 einen CO2-Preis von 40 bis 80 Dollar für 2020 und eine Steigerung auf 100 Dollar bis 2030 vor.
Kostenwahrheit – eine Lieblingsforderung der FDP
Wenig Freude hatte vermutlich die FDP, wenn man das von ihr immer wieder geforderte Prinzip der «Kostenwahrheit» tatsächlich auf die Flugticketabgabe anwenden würde. In einer im November 2018 veröffentlichten Kostenschätzung geht das deutsche Umweltbundesamt von Kosten und Schäden von rund 180 Euro pro Tonne Kohlendioxid aus. Die deutsche Versicherung Munich RE kommt auf 115 Euro, der Internationale Währungsfonds IWF immerhin noch 60 Euro pro Tonne. Die grossen Unterschiede rühren vor allem daher, dass die verschiedenen Institut die Begriffe Kosten und Schäden unterschiedlich enger oder weiter fassen. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) in Bern schätzt in einem Bericht die sogenannten externen Umweltkosten auf 2,6 Rappen pro geflogenem Kilometer.
Die meisten dieser Ansätze würden vor allem Langstreckenflüge massiv verteuern, ein Flug nach San Francisco von 120 auf 244 (Bafu) bis 400 Franken (UBA), ein Flug nach dem neuseeländischen Christchurch gar auf 486 (Bafu) bis 650 Franken (UBA).
So gross die Unterschiede auch sind, so sind einige Dinge doch klar:
- Die in der Umweltkommission diskutierte Flugticketabgabe von 30 Franken für Europaflüge und maximal 120 Franken für Langstreckenflüge ist viel zu niedrig, um die Passagierzahlen so zu senken, dass das angestrebte Klimaziel erreicht wird.
- Eine fixe Obergrenze für die Abgabe festzulegen, mag die Fluggesellschaften etwas besänftigen, ist aber dennoch unsinnig. Fast alle Experten sind sich einig, dass die Preise über die kommenden Jahre relativ schnell ansteigen müssen. Und auch das: Je niedriger die Abgabe am Anfang ist, desto steiler wird sie irgendwann später ansteigen müssen, weil die Kosten und Schäden immer grösser werden.
- Eine Flugticketabgabe ist besser als nichts, aber nur die zweitbeste Lösung. Es ist unverständlich, dass die Umweltkommission nicht auf eine CO2-Steuer oder -Lenkungsabgabe setzt, wie es erstens fast alle Experten fordern, die zweitens ohnehin weltweit oder zumindest EU-weit kommen wird, drittens die Emissionsreduktionen der verschiedenen Sektoren vergleichbar macht, und viertens fairer, transparenter, flexibler und einfacher ist.
Irgendwann, aber spätestens nach Annahme der Gletscherinitiative, werden sich die Politikerinnen und Politiker definitiv entscheiden müssen, ob ihnen das Klima oder das Wachstum der Flugbranche wichtiger ist. Beides zugleich ist nicht zu haben. Denn die CO2-Emissionen im Luftverkehr können in den nächsten Jahren nur reduziert werden, wenn die Zahl der Flugpassagiere sinkt. Die von der Flugbranche und ihren Lobbyisten immer wieder ins Spiel gebrachten technischen Innovationen, die Bio- und synthetischen Treibstoffe etc. sind zumindest für das nächste Jahrzehnt leeres Versprechen . Sie kommen, wenn überhaupt, schlicht zu spät.
Und das von der Flug-Lobby als Wundermittel gepriesene Corsia-System ist – nüchtern betrachtet – nichts als ein Placebo: Die derzeitigen fast 900 Millionen Tonnen CO2 müssen auch in Zukunft weder versteuert noch reduziert werden. Ab 2021 sollen die zusätzlichen Emissionen mit Zertifikaten kompensiert werden. Allerdings gewährt Corsia den Fluggesellschaften eine grosszügige Schonfrist: Bis 2016, also während fünf Jahren, ist die Teilnahme an Corsia freiwillig. Kurz: Die CO2-Emissionen werden – das ist so gewollt – weiter ansteigen. Mit einer wirklichen Reduktion der Emissionen hat Corsia nicht das Geringste zu tun.
Bleibt eine letzte Frage: Wenn, wie absehbar, die Klimakrise sich zunehmend schneller verschärft als erwartet und in zwei, drei Jahren bei weitem schärfere Klimaschutzmassnahmen zwingend nötig werden, warum fällt man dann nicht heute schon einen mutigen Entscheid, sondern humpelt wie an Krücken der Entwicklung hinterher. Einen vorausschauenden Entscheid mit, ja leider, harten und teuren Massnahmen und klaren Reduktionsszenarien, damit die Flugbranche weiss, woran sie ist? Wir, die Fluggesellschaften und Flughäfen gewinnen dadurch einige Jahre Zeit, sich darauf einzurichten. Und Planungen abzubrechen, die auf ein weiteres Wachstum der Flugbranche abzielen und dann doch nicht gebraucht werden. (CR)
Kleines Postskriptum: Es ist bisher viel geredet worden von der Flugticketabgabe. Kaum ein Thema aber ist, weder im Bundeshaus noch in den Medien, der Luftfrachtverkehr, der weltweit immerhin über 40 Millionen Tonnen ausmacht. Er würde bei einer CO2-Steuer selbstverständlich mit einbezogen, weil es dann keine Rolle spielt, ob ein Flugzeug Personen oder Güter transportiert.