Heisser Herbst im Bundesbern: Gleich drei Mal steht das Klima in den nächsten Wochen im Bundeshaus oben auf der Traktandenliste der Aufmerksamkeit: Der Bundesrat will die Klimaziele verschärfen. Der Ständerat diskutiert in der Herbstsession über die Revision des CO2-Gesetzes. Und der Nationalrat entscheidet, wie sich die Zeit überbrücken lässt, wenn Ende 2020 die derzeitige Periode des CO2-Gesetzes ausläuft, aber das neue CO2-Gesetz noch nicht in Kraft ist.
Der Bundesrat also. Sein Entscheid, die Vorgaben für den Klimaschutz zu verschärfen, ist nicht ganz freiwillig. Zum einen haben der Pro-Clim-Bericht «Brennpunkt Klima Schweiz» vom November 2016 und der IPCC-Sonderreport «Global Warming of 1.5 ºC» vom Oktober 2018 unmissverständlich aufgezeigt, dass die bisherigen Klimaziele der Schweiz bei weitem nicht ausreichen. Zum anderen hat sich die Schweiz 2015 in Paris in letzter Sekunde der sogenannten «Koalition der Hochambitionierten» angeschlossen, einem informellen Zusammenschluss von rund 90 Ländern, unter anderem Deutschland, die EU, Mexiko und Dutzenden von Entwicklungsländern. Diese Koalitanion ist zwar bloss ein Papiertiger – die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) nannte sie höhnisch «die Streber» -, aber ganz ohne ein paar neue Ankündigungen will der Bundesrat vermutlich doch nicht an der Klimakonferenz in New York vom 21. bis 23. September 2019 antraben, nachdem UN-Gegeneralstekretär Antonio Guterres die Länder in einem dramatischen Aufruf aufgefordert hat, nun wirklich mit dem Klimaschutz vorwärts zu machen.
Der Bundesrat also hat «auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse», wie der Tages-Anzeiger schreibt, entschieden, das Klimaziel zu verschärfen: Die Schweiz soll bis 2050 klimaneutral werden. Netto-Null also. Damit entspreche die Schweiz dem international vereinbarten Ziel, die globale Klimaerwärmung auf maximal 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, schreibt das Umweltdepartement (Uvek). Der Entscheid für Netto-Null bis 2050 entspricht übrigens auch den Zielen der Gletscherinitiative.
«Wir müssen die Treibhausgasemissionen stärker und schneller eindämmen», sagte Umweltministerin Simonetta Sommaruga laut Tages-Anzeiger; die Schweiz habe ein ureigenes Interesse daran. Ausserdem habe sie als innovatives Land beste Voraussetzungen dafür, das Ziel zu erreichen. Mit dem Entscheid schaffe der Bundesrat Klarheit und Planungssicherheit. Auch der Ruf der Schweiz profitiere davon, sie werde so als klimafreundliches Land wahrgenommen.
«Nume nid geschprängt!»
Ganz so weit ist es allerdings noch lange nicht. Denn der Bundesrat nimmt sich Zeit. Obwohl seit Jahren bekannt ist, dass die derzeitigen Massnahmen längst nicht ausreichen, obwohl der Proclim-Bericht seit zweieinhalb Jahren vorliegt, wurde der Bundesrat erst vor kurzem aktiv. Übrigens auch deshalb, weil alle Länder bis Ende 2020 beim Uno-Klimasekretariat ohnehin ihre langfristige Klimastrategien einreichen müssen. Bis Ende 2020 wird das Uvek nun die Klimastrategie 2050 erarbeiten. Alles weitere ist offenbar noch offen; über konkrete Maßnahmen oder wenigstens über die Richtung von konkreten Massnahmen, ist noch nichts entschieden. So etwa die Frage, ob ein Teil der Emissionen weiterhin im Ausland kompensiert werden darf. Simonetta Sommaruga gab laut Tages-Anzeiger bloss zu bedenken, dass dies immer schwieriger und teurer werde, weil mit dem Abkommen von Paris alle Staaten ihren Ausstoss reduzieren müssten. Die Umweltministerin zeigte sich aber überzeugt, dass es in der Schweiz noch Potenzial gebe. So behauptet das Uvek etwas gar kühn, «mit den heute bekannten Technologien und dem Einsatz erneuerbarer Energien könnten die CO2-Emissionen in den Bereichen Verkehr, Gebäude und Industrie um bis zu 95 Prozent gesenkt werden; auch in der Landwirtschaft gebe es Verminderungspotenzial.»
Dass die NZZ den Entscheid des Bundesrates für völlig falsch und indiskutabel hält, machen die beiden NZZ-Redaktoren Fabian Schäfer und Christof Forster von der ersten Zeile an klar. Sie ärgern sich, dass – «mutmasslich eine Premiere in der Geschichte der direkten Demokratie der Schweiz» – die Landesregierung die Hauptforderung einer Volksinitiative umsetze, für die noch nicht einmal die notwendigen Unterschriften gesammelt worden sind.
Für einmal nicht zu Unrecht bemängelt die NZZ, dass Simonetta Sommaruga im Gegensatz zur Gletscherinitiative, welche in Bezug auf die konkreten Massnahmen einige deutliche Pflöcke einschlägt, völlig vage bleibt. So wollte die Bundesrätin laut NZZ vor den Medien nicht einmal bestätigen, dass das Autofahren teurer werden muss, damit die Schweiz das neue Klimaziel erreichen kann. «Sie hielt aber vielsagend fest, es sei bekannt, in welchen Bereichen wie viele Emissionen entstünden. Beim Verkehr, der für rund einen Drittel der Treibhausgase verantwortlich sei, habe sich die Situation im Unterschied zur Industrie oder zu den Gebäuden sogar noch verschlechtert.» Sommarugas «Zurückhaltung» ist in der Tat irritierend, denn dass die Treibstoffpreise, dass Benzin und Diesel teurer werden, ist längst sogar von den bürgerlichen Parteien akzeptiert.
Alles bleibt im Unklaren und Vagen
Noch viel schärfer geht Helmut Stalder, einer der kompetentesten Energie – und Umweltjournalisten der Schweiz, mit dem bundestätlichen Entscheid zu Gericht. Schon die bisherigen Klimaziele, den Ausstoss der Treibhausgase bis 2030 zu halbieren und die Emissionen bis 2050 um 70 bis 85 Prozent zu senken, seien ambitiös und würden vom nationalen Parlament und den Kantonen nicht einmal in Ansätzen umgesetzt. Mit der neuen Vorgabe, bis 2050 nicht mehr Treibhausgase auszustossen, als natürliche und künstliche Speicher aufnehmen können, setze sich der Bundesrat ein noch ehrgeizigeres Ziel. Aber: So gut die Bundesrätin das Anliegen auch begründe, so frage sich doch, was die Deklamation eines solchen Ziels bewirken könne. «Sommaruga spricht von einem ‹Indikativen Ziel›, also einer Absichtserklärung, der keine unmittelbaren Verpflichtungen folgen, die aber der Bevölkerung und der Wirtschaft den Weg weist. (…) Jeder, der sich danach ausrichtet, soll die Gewissheit haben, dass er auf dem richtigen Weg ist. Das ist zwar gut gemeint, aber eine recht naive Vorstellung, wie in der Politik etwas in Gang kommt. Solche Ziele sind wie ferne Sterne, die bestenfalls der Navigation dienen. Und für die Regierungen aller Länder sind sie ein probates Mittel, weit weg von den Realitäten ihre Aktivitäten und ihre Ernsthaftigkeit zu demonstrieren. Ohne konkrete Massnahmen auf dem harten Pflaster der Wirklichkeit sind hochfliegende Ziele jedoch nur Visionen ohne Wirkung.»
Stalder hat recht. Man erinnert sich noch, wie Doris Leuthard, die damalige Umweltministerin, nach dem Abschluss des Pariser Klimaabkommens, in den Medien die tollen Versprechen der Schweiz bejubelte und hinter den Kulissen dem Journalisten Marcel Hänggi lachend zu verstehen gab, dass sie selber nicht im Geringsten daran glaube. Nun ist Simonetta Sommaruga zwar eine ernsthaftere Politikerin, die weniger fürs Schaufenster agiert und glaubwürdiger politisiert als ihre leichtgewichtige Vorgängerin, aber mit vagen Ankündigungen, die zwar schön klingen, aber nicht zugleich im Klartext auch angeben, wo die realpolitischen Brandherde liegen und dass die Umsetzung der Massnahmen (die übrigens alle auf dem Tisch liegen), sehr teuer und schmerzhaft sein wird, sorgt der Bundesrat weder für Klarheit noch für Planungssicherheit, wie Sommaruga behauptet.
Gefordert ist jetzt, auch da hat Stalder recht, » ernsthaftes politisches Handwerk, um die tauglichen Instrumente zu finden und mehrheitsfähig zu machen: beim CO2-Gesetz im Herbst im Parlament mit griffigen Massnahmen besonders beim Verkehr, in den Kantonen mit der Umsetzung der Vorschriften für Gebäudeheizungen, in der Energieversorgung mit besseren Rahmenbedingungen für die erneuerbare Stromproduktion.»
Klartext des Bundesrates wäre umso wichtiger, als dass das neue Klimaziel spätestens dann, wenn die Massnahmen dazu bekannt werden, auf heftigen Widerstand (wohl auch der NZZ) stossen wird. Falls die konkreten Massnahmen des bundesrätlichen Klimaziels aber erst Ende 2020 veröffentlicht werden, also nach den Debatte zum CO2-Gesetz im Stände- und Nationalrat, dann sorgt das nicht für mehr Klarheit und Transparenz, sondern im Gegenteil für Unklarheit und Ratloigkeit, weil die zu treffenden Massnahmen bis 2030 ja durchaus davon abhängen, wie es nach 2030 weitergeht – etwa bei langfristigen Infrastrukturen wie Autobahnen, Flughäfen, dem Netzausbau oder der Energieversorgung. (CR)
Die Teile 2 und 3 zur CO2-Debatte im Ständerat und den Verhandlungen im Nationalrat folgen.