Aber doch bitte nicht so wahnsinnig schnell! (Quelle: ProClim / Biedermann)

Heisser Herbst im Bundesbern: Gleich drei Mal steht das Klima in den nächsten Wochen im Bundeshaus oben auf der Traktandenliste der Aufmerksamkeit: Der Bundesrat will die Klimaziele verschärfen. Der Ständerat diskutiert in der Herbstsession über die Revision des CO2-Gesetzes. Und der Nationalrat entscheidet, wie sich die Zeit überbrücken lässt, wenn Ende 2020 die derzeitige Periode des CO2-Gesetzes ausläuft, aber das neue CO2-Gesetz noch nicht in Kraft ist.

Der Nationalrat also: Das Problem ist klar und die Lösung scheint auf den ersten Blick einfach zu sein: Die Massnahmen im derzeit gültigen CO2-Gesetz sind bis Ende 2020 befristet. Weil das neue CO2-Gesetz, das vom Nationalrat im vergangenen Herbst gebodigt wurde und derzeit im Ständerat verhandelt wird, mit Sicherheit am 1. Januar 2021 nicht in Kraft treten kann, entsteht eine Gesetzeslücke: Alle im Gesetz festgelegten Massnahmen ausser denjenigen, die auf internationalen Verträgen basieren, haben dann keine gesetzliche Grundlage mehr.

Die Lösung scheint einfach: Entweder – die schlechtere Lösung – man drückt gleichsam ein Auge zu und lässt das derzeitige CO2-Gesetz weiterlaufen, bis das neue Gesetz für die Periode 2021 – 2030 in Kraft tritt. Oder – die klügere Lösung – man beschliesst, dass diejenigen Teile des Gesetzes, die jährlich abnehmende Emissionen festlegen, so ergänzt werden, dass die Emissionen weiter so sinken, dass man einigermassen «auf Kurs 2030» bleibt und man in der kommenden Periode nicht zuerst gleichsam liegengebliebene Restanzen abarbeiten muss.

Die Mutter aller Klimaprobleme

So weit, so gut. Leider ist die parlamentarische Realität bei weitem komplizierter. Dies unter anderem auch deshalb, weil eine solche Zwischenlösung sowohl Änderungen beim derzeitigen CO2-Gesetz wie beim Mineralölsteuer-Gesetz (MinöStG) und beim Umweltgesetz nach sich zieht. Viel schwieriger zu lösen ist aber ein anderes Problem, fast schon die «Mutter aller Probleme» der Schweizer Klimapolitik: Wann immer im Parlament über das Klima diskutiert wird und Entscheidungen anstehen, reden die bürgerlichen Parteien zuerst einmal übers Geld.

Zum Beispiel: In der vorberatenden Nationalratskommission (UREK-N) hat laut Tages-Anzeiger eine Mehrheit aus SVP und FDP durchgesetzt, dass die bisherigen Klimaschutzinstrumente mit wenigen kleinen Änderungen einfach so lange weiter in Kraft bleiben, bis das neue CO2-Gesetz rechtsverbindlich ist; spätestens aber bis am 31. Dezember 2021. 

Eine Kommissions-Minderheiten aus CVP-, BDP-, GLP-, SP- und Grünen-Parlamentarierinnen und -Parlamentariern verlangt dagegen, dass die bestehende Massnahmen über 2021 hinaus weitergeführt, also gleichsam im Hinblick auf das Klimaziel 2030 «extrapoliert» werden. So sollen die Treibhausgasemissionen ab 2021 jedes Jahr um 3 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 sinken; davon sollen 1,25 Prozent mit im Ausland kompensiert werden dürfen. Das kostet zwar mehr Gekd, aber damit läge man genau auf dem Kurs, die CO2-Emissionen bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Die SVP und FDP dagegen halten eine Verminderung um 1,5 Prozent für ausreichend, und dies nur einmal, im Jahr 2021. Damit käme man deutlich in Verzug gegenüber dem geplanten Reduktionspfad.

Sparen, damit es nachher teurer wird?

«Mitte-links versucht, über die Hintertür die Klimapolitik zu verschärfen», zitiert der Tages-Anzeiger den strammen FDP-Hardliner Peter Schilliger, Nationalrat aus Luzern; mit dieser «Zweckentfremdung» riskiere Mitte-links nicht nur den Absturz des neuen CO2-Gesetzes, sondern nehme auch in Kauf, dass eine langwierige Beratung, ein rechtzeitiges Inkrafttreten dieser Überbrückungslösung gefährde.  Das sind vorgeschobene Argumente, denn: Welcher Zweck denn durch welche Hintertüre entfremdet würde, und warum damit der Absturz des CO2-Gesetzes riskiert würde, wird wohl auch Nationalrat Schilliger kaum erklären können. Plausibler ist aber, dass mit dem schwachen FDP-Vorschlag (die SVP ist sowieso immer dagegen) sowohl das Ziel für 2030 wie das revidierte Pariser Ziel – Netto-Null bis 2050 – sehr viel schwerer erreicht werden kann. Und letztlich sehr viel teurer zu stehen kommt.

Die Grünen wollen auf dem Pariser Klimakurs bleiben

Strittig ist aber auch die CO2-Abgabe auf Brennstoffe. Diese beträgt heute 96 Franken pro Tonne. Der Bundesrat kann diesen Satz in eigener Kompetenz auf maximal 120 Franken erhöhen, wenn die Brenntoffimporteure ihre CO2-Zwischenziele nicht erreichen. Eine Kommissionsminderheit schlägt indes vor, dass der Maximalsatz automatisch jedes Jahr um 10 Franken steigen soll – zumindest so lange, bis das neue CO2-Gesetz gilt. «Wir wollen damit sicherstellen», so der grüne Zürcher Nationalrat Bastian Girod laut Tages.Anzeiger, «dass die Schweiz auf Kurs des Pariser Klimaabkommens bleibt.»

Aber auch das passt mehreren bürgerlichen Kommissionsmitgliedern nicht, weil es ihnen eigentlich weniger ums Klima als vielmehr ums Geld geht. Die jährliche automatische Erhöhung der Brennstoffabgabe hätte einige finanzielle Auswirkungen auf mehrere Massnahmen etwa im Bereich des Gebäudeprogramms und der kantonalen Massnahmen im Gebäudebereich, auf den Emissionshandel sowie auf jene Unternehmen, die sich durch Verminderungsverpflichtungen von der CO2-Abgabe vorläufig «freikaufen» können.

Nur 2,6 Rappen Benzinpreiserhöhung statt 26 Rappen

Und schliesslich geht es bei dieser Überbrückungsdebatte neben zahlreichen weiteren kleineren Anpassungen (etwa der gleichen Besteuerung von Benzin und Diesel etc.) um die Steuererleichterungen für umweltschonende Treibstoffe Erdgas, Flüssiggas und biogenen Treibstoff, deren Förderung im Juni 2020 ausläuft und im neuen CO2-Gesetz neu geregelt werden soll. Das Problem ist hier, dass die Steuererleichterungen zu Mindereinnahmen führen, die durch eine Erhöhung der Benzinsteuer kompensiert werden sollen. Da diese Steuerausfälle in den letzten Jahren «nur bedingt» kompensiert wurden und bis Mitte 2020 bereits rund 900 Millionen ausmachen werden, würde eine Verlängerung der Steuererleichterung auf der bisherigen Basis den Benzinpreis massiv (bis zu 26 Rappen pro Liter) verteuern. Mit der von der Kommission vorgeschlagenen und vom Bundesrat unterstützten Lösung wird sich zwar für das Klima eher wenig ändern, aber mit eingem Ach und Krach schafft man es, dass der Preisaufschlag für Benzin und Dieselöl sich nach aktuellen Berechnungen auf rund 2,6 Rappen pro Liter Benzin und Diesel reduziert.

Wer sitzt im Führerstand, wer im Bremserhäuschen?

Kurz: Wenn der Nationalrat voraussichtlich in der ersten Woche der Herbstsession (9. – 27 September), also noch vor den Wahlen, über diese Überbrückungs-Massnahmen diskutiert, wird man vermutlich weniger darauf schauen, welche der kleinen und etwas grösseren Änderungen zahlreicher Artikel der drei Gesetze beschlossen werden; ihre Auswirkungen auf die Klimaziele sind letztlich eher gering. Umso mehr aber sollte man darauf achten, welche Politikerinnen und Politiker, die zur Wiederwahl antreten, sich als Lokomotivführer oder aber als Bremser profilieren werden. Denn sie werden es sein (oder eben nicht), die vermutlich Ende des kommenden Jahres, mitentscheiden, inwieweit das zukünftige CO2-Gesetz wirklich ernst macht mit der Klimapolitik oder ob das Parlament weiter mehr Lärm als Wirkung erzeugt. Solange die bürgerlichen Parteien (und Teile der SP und GLP) immer noch so tun, als ob Klimapolitik im Ausverkauf zum halben Preis oder gar fast gratis zu haben sei, und solange sie so tun, als könne man dem Volk die Wahrheit nicht zumuten, dass es sehr teuer wird, die Versäumnisse von dreissig, vierzig Jahren auszubügeln, so lange wird die Schweiz ihre Klimaverantwortung nicht wahrnehmen und ihren Beitrag zum Klimaschutz nicht leisten. (CR)