In den kommenden paar Tagen fallen einige klimapolitisch wichtige Entscheide:
In New York entscheiden die Staats- und Regierungschefs der UN-Mitgliedsländer, ob sie endlich wirklich vorwärtsmachen wollen, ob sie bereit sind, ihre nationalen Partikularinteressen zurückzustecken zugunsten einer weltweit wirksamen, auch mit den ärmsten und Entwicklungsländern solidarischen Klimapolitik. Ob sie bereit sind, alles zu unternehmen, um das vor fünf Jahren in Paris gemeinsam beschlossene Klimaabkommen umzusetzen.
In Bern entscheiden 46 mehr oder weniger alte Männer und Frauen, die fast alle nicht mehr erleben werden, wie die Schweiz in 30, 40 Jahren aussehen wird, darüber, ob ihnen der Reichtum, der luxurierend hohe Lebensstandard und das momentane Wirtschaftswachstum wichtiger sind als die Zukunft ihrer Kinder und Enkel.
Umgekehrt entscheiden weltweit Hunderttausende von jungen Menschen, wie lange sie noch Geduld haben mit den alten Männern und Frauen auf den Regierungsbänken und in den Parteizentralen, denen es bis heute offensichtlich ziemlich egal ist, dass die heute Jugendlichen ausbaden müssen, was sie, die Alten, ihnen aus Egoismus, Geldgier oder intellektueller Unredlichkeit eingebrockt haben.
Es ist völlig egal, ob die FDP-Präsidentin Petra Gössi auf einem Gletscherspaziergang die grüne DNA ihrer Partei wiederentdeckt hat, nachdem sie während acht Jahren fast alle klimapolitischen Vorstösse bekämpft hat, oder ob es eher ein Blick in die Meinungsumfragen war, der ihrem grünen Gewissen auf die Sprünge geholfen hat. Und es ist auch egal, ob Roger Köppel und seine Kampfgenossen sich einfach aus Machtkalkül den Blinden und Tauben im Land anbiedern oder ob sie einfach nicht in der Lage sind zuzugeben, dass sie sich geirrt haben. Und erst recht ist es völlig egal, ob man auf technologische Innovationen und Wunder hofftt, die vielleicht in zehn, zwanzig Jahren grossflächig eingesetzt werden können – oder wenn man Pech hat, dann eben nicht. Oder ob man einfach beide Augen zudrückt und so tut, als würde so das lästige Problem von alleine verschwinden.
Tatsache ist: Die Klimaerhitzung droht nicht, sondern sie ist längst da. Jetzt, hier und heute. In der Schweiz sind wir von den schlimmsten Folgen bisher verschont geblieben, in anderen Weltregionen, in Afrika, in Südostasien, in der Karibik aber kämpfen jetzt, in diesen Monaten und Jahren, Millionen von Menschen bereits ums nackte Überleben, weil der Meeresspiegelanstieg, die Überschwemmungen, die Dürre, die Hurricane, die Wassernot ihre Existenzgrundlage zerstören und ihre Heimat einfach verschwindet.
Seit 40 Jahren sagen uns die Klimaforscher die Wahrheit. Aber trotzdem tun wir kaum etwas.
Seit rund vierzig Jahren wissen wir in etwa, was unseren Kindern und Enkeln blüht. Und von Sachstandsbericht zu Sachstandsbericht des Weltklimarat wissen wir es genauer. Die vielen tausend Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die daran mitarbeiten, alles keine verrückt gewordenen Hysteriker, haben sich bis jetzt nur in winzigen Details geirrt. Sie haben in der Interpretation ihrer Modelle und Klimasimulationen eher unter- als übertrieben. Und sie können ihre Aussagen im Gegensatz zu den Klimaskeptikern untermauern mit empirischen Daten und Laborexperimenten. Mit sogenannten Proxy-Daten aus der Klimageschichte. Und sie können die wichtigsten Prozesse und Zusammenhänge auch theoretisch einwandfrei erklären. Kurz: Es besteht kaum ein Zweifel, dass sie recht haben.
Neueste Forschungen deuten aber darauf hin, dass die reale Klimaentwicklung eher den «pessimistischeren» Modellen folgt, dass die hochkomplexen, sich gegenseitig verstärkenden Rückkoppelungen die Klimaerhitzung mehr beschleunigen als erwartet. Und dass die sogenannten «tipping points» oder Kippelemente, die verhindern, dass Entwicklungen wieder rückgängig gemacht werden können. früher eintreten als erwartet.
Seit Jahrzehnten sagen uns die Klimaforscher diese ungeschminkte Wahrheit. Und sie sagen auch, was zu tun wäre, damit diese Szenarien nicht eintreten. Auch die Politiker schwören seit Jahrzehnten von Klimakonferenz zu Klimakonferenz, wie wild sie entschlossen sind, das Notwendige zu tun. Bloss tun sie es nicht. Tausende von Diplomaten reden, diskutieren und verhandeln permanent und sind kaum mehr als ein paar Trippelschritte weitergekommen. In Hunderten von Konferenzen und Tausenden von Konferenzstunden feilschen sie, kämpfen um Nebensätze und diplomatische Leerformeln, die jedes Land völlig unterschiedlich zu seinen Gunsten auslegen kann. Nur damit sie nicht tun müssen, was sie versprochen haben: nämlich eine Klimakatastrophe abzuwenden, damit die kommenden Generationen in einer Welt leben können, die nicht von Katastrophen, von Dürren, Überschwemmungen, von Not, Elend, schreiender Ungerechtigkeit und Klimakriegen geprägt ist. Es geht dann nicht mehr um Eigennutz und Wohlstand, nicht um einen SUV in der Garage und Kurztrips nach New York und Mallorca, sondern ums Überleben.
Die Klimaerhitzung folgt nicht unseren Hoffnungen und Wünschen
Das alles wissen wir und tun trotzdem nichts. Oder viel zu wenig, um dies zu verhindern. Wir hoffen, dass es zuletzt doch nicht ganz so schlimm kommt, obwohl wir wissen, dass die Klimaerhitzung nicht auf unsere Hoffnungen Rücksicht nimmt, sondern unveränderlichen Naturgesetzen folgt. Und gäbe es nicht die Klimabewegung, die Hunderttausenden von Jugendlichen, die unsere Ausreden nicht mehr hören können, die es nicht mehr hinnehmen, dass wir sie permanent belügen, obwohl wir es besser wissen, dann würden wir uns auch weiterhin mit unseren Ausflüchten betäuben und weiterwursteln, weil es ja nicht wir sind, die für unsere Lügen, unser Nichts- oder Zuwenig-Tun bestraft werden
Denn alle, die Staats- und Regierungschefs in New York, und die 46 alten Männern und Frauen in Bern, sie alle wissen, dass ihre Vorschläge, ihre Klimaschutzprogramme und ihre Massnahmenkataloge bei weitem nicht ausreichen, um das Pariser 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Die Experten, die Klimaforscher und Klimaökonomen belegen und beweisen es. Und dennoch tun alle so, als wären wir auf gutem Weg. Es ist unfassbar.
Und zugleich warnen Medien und Politiker, ausgerechnet sie, die Klimakids der Friday for Future-Bewegung , zuviel Moral sei verantwortungslos, als ob die Welt an zuviel Moral leiden würde und nicht an zu viel Unmoral.. Und ausgerechnet sie, die mit ihrer radikalen Verweigerung, wirklich zu handeln, den Jugendlichen ihre Zukunft nehmen, warnen die Klimakids vor zu viel Radikalität, wenn diese sich mit ein paar Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die Heuchelei, die Gleichgültigkeit und die Unmoral zur Wehr setzen.
Klarheit schaffen, Verantwortung übernehmen
Die Staats- und Regierungschefs der UN-Mitgliedsländer werden am Dienstag ihre wohlformulierten Redemanuskripte in ihre Aktenköfferchen einpacken und in ihren Regierungsjets nach Hause fliegen, ohne dass sich etwas ändern wird. In Bern aber haben die 46 alten Männer und Frauen die Gelegenheit, in den kommenden Tagen zu beweisen, dass sie die Klimakids wirklich ernst nehmen, dass sie gegenüber den kommenden Generationen und den jetzt schon leidenden Millionen in Afrika, Asien und der Karibik, die am wenigstens schuld sind an der Klimaerhitzung, Verantwortung übernehmen wollen.
Mit den Vorschlägen der vorberatenden Kommission aber können sie diese Vorsätze nicht erfüllen. Und: Zur Ehrlichkeit würde auch gehören, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier sich nicht hinter der faulen Ausrede verstecken, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger würden Massnahmen ohnehin ablehnen, die «weh tun». Wenn sie der Ansicht sind, dass es schärfere Massnahmen braucht – und hinter vorgehaltener Hand geben das fast alle auch zu -, dann sollen sie dazu stehen und auch dafür einstehen und kämpfen. Denn zur Debatte steht ja nicht die Alternative Freie Fahrt und freier Flug für freie Bürger oder Ökodiktatur und Horror. Zur Debatte stehen die Alternativen Klimakatastrophe oder eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder und Enkel. Darüber könnte der Ständerat in den nächsten Tagen ein bisschen mehr Klarheit schaffen.
Christian Rentsch