Lauter potenzielle Terroristen? Die NZZ wehret wieder einmal den Anfängen. Wie schon oft in diesem Jahr: Vergeblich, denn es werden immer mehr. (Quelle: Nina Rentsch)

Gerade ein bisschen zu spät, nämlich erst knapp bevor die grosse Klima-Demo in Bern begann, erteilte NZZ-Redaktor Peter Rásonyi in einem Leitartikel den erwachsenen Unterstützern der Friday for Future-Bewegung einen Rüffel. Und sein Kollege vom Berliner NZZ-Büro, Marc Felix Serrao, übte sich gleichentags im Nachtreten. (Ergänzt am 1. Oktober durch einen Nachtrag.)

Das argumentatorische Strickmuster von Peter Rásonyi ist eher von der schlichteren Art: Er lobt die Klimaaktivistin Greta Thunberg und ihren Idealismus über allen grünen Klee und macht sie dann zum kindlichen Opfer verantwortungsloser Erwachsener, welche die Klimabewegung mit unrealistischen Ideen füttern und zu überrissenen Forderungen anstacheln würden. Weil diese aber nicht erfüllt werden könnten, drohe die Gefahr einer Radikalisierung der Bewegung.

«Greta Thunberg», so legt er los, «hat die Klimapolitik in diesem Jahr bestimmt wie keine andere Person auf dieser Welt. Das ist eine ungeheure Leistung für eine 16-jährige Schülerin aus Stockholm.» Und er geht noch einen Schritt weiter: «Thunbergs atemraubender Aufstieg ist gut für das Weltklima. Sie hat eine ganze Generation von jungen Menschen in Europa auf das Problem der Klimaerwärmung aufmerksam gemacht. Dies dürfte der Umwelt nachhaltig zugutekommen.» Damit soll es aber auch genug sein. «Kritik an Greta Thunberg zu üben, ist töricht.» Aber: «Sie ist ein Kind, das für seine Aussagen und Theorien nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. (…) Kritische Fragen müssen sich allerdings all die Erwachsenen gefallen lassen, die Thunberg in ihrem radikalen Tun unterstützen, sie mit unrealistischen Ideen inspirieren und selbst von ihrem Ruhm profitieren.»

Greta Thunberg als Opfer verantwortungsloser Erwachsener

In ein arges Dilemma gerät Rásonyi allerdings, wenn er erklären will, vor welchen unrealistischen Ideen die «vernünftigen» Erwachsenen die noch nicht ganz zurechnungsfähigen Jugendlichen denn bewahren sollen. Denn inzwischen kann kaum mehr eine seriöse Zeitung die immer bedrohlicheren Aussagen des Weltklimarates als hysterische Hirngespinsterei abtun, dass das im Pariser Klimavertrag vereinbarte Ziel deutlich verfehlt werdeAuch Rásonyi muss zugeben: «Die daraus folgenden Schäden wie Überschwemmungen, Dürren, Stürme sowie die Armutsmigration wären noch grösser als bisher gedacht.» Da fallen einem auch bei kühlem Verstand nur radikale Massnahmen ein. Aber leider, so Rásonyi, sei die Halbierung der Emissionen in gut zehn Jahren, extrem anspruchsvoll und politisch fast unmöglich.

Thunbergs wütender Auftritt bei den Vereinten Nationen könnte deshalb, so Rásonyi, zu einer Radikalisierung einer ganzen Generation junger Menschen führen, «zumal dann, wenn sie Erwartungen weckt, die von der Erwachsenenwelt nicht erfüllt werden können». Als Beispiel führt Rásonyi die in Grossbritanniem entstandene Protestbewegung Extinction Rebellion an. Diese hat kurzzeitig da und dort einen Flughafen, einige Verkehrsknotenpunkte in London oder Eingänge zu zwei Banken in Basel und Zürich blockierte; das sind zwar illegale, aber letztlich durchaus harmlose Aktionen des zivilen Ungehorsams. Bis jetzt aber hat sich Extinction Rebellion unmissverständlich und glaubwürdig gegen jede Gewaltanwendung ausgesprochen.

Wer ein halbwegs intaktes Gedächtnis hat, dem ist vielleicht erinnerlich, dass es in den letzten Jahrzehnten immer wieder solche Aktionen brauchte, um dringend notwendige Bewusstseinsveränderungen und politische Entscheidungen herbeizuführen, von der weltweiten Anti-Vietnamkriegs- und der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung über die 68er- und Anti-AKW-Bewegung bis zu den aktuellen Protesten in Hongkong, in der Türkei, in Ägypten und anderen Ländern – alles aus Sicht des jeweiligen Staates Rechtsbrüche, Verstösse gegen Recht und Ordnung.

Rásonyis «realistische» Klimapolitik: Warten, bis der Lernprozess wirkt

Was aber hat Rásonyis Erwachsenenwelt den idealistischen, aber dummen Jungen denn als vernünftige Alternative anzubieten? Erstens einen «Lernprozess» der zwar schon seit drei Jahrzehnten (!) andauert, aber nach Einschätzung aller Experten und Wissenschafter – aber auch nach Rásonyis eigener Meinung – längst nicht zum notwendige Resultat geführt hat. Zweitens – nach 24 internationalen Klimagipfeln, Hunderten von internationalen Klimakonferenzen und Tausenden von internationalen Klimaverhandlungen – den Wunsch nach «einer stärkeren globalen Ausrichtung der Klimapolitik». Zudem soll der Klimaschutz drittens weltweit für alle attraktiv sein – die Millionen der jetzt schon von Dürren, Überschwemmungen, Hurricane und Extremwettern Betroffenen werden das etwas anders sehen. Politisch akzeptabel, so viertens, werde der Klimaschutz laut Rásonyi erst dann, «wenn er mit wachsendem Wohlstand kompatibel ist». Das beste Mittel dafür seien fünftens, verstärkte Investitionen in die Forschung und die Entwicklung neuer Technologien sowie die Anwendung marktwirtschaftlicher Lenkungsinstrumente mit globaler Wirkung.»

Ob Rásonyis etwas gar dürftiges Angebot, das nach dem abgestandenen Motto «Ja, wir nehmen euch ernst, tun aber trotzdem nichts» funktioniert, bei den Klimajugendlichen und den ermahnten Erwachsenen Begeisterung auslöst, die Erwachsenen gar dazu bringt, den Jugendlichen zu raten, doch bitte so zu werden wie die Gössis, die Nosers und die Rásonyis, ist eher zweifelhaft.

Nur 332 Klicks für eine Sensation

Wie gross derzeit der Drang der NZZ-Redaktoren nach Bekenntnissen zum neoliberalen Kurs des Chefredaktors Gujer ist, zeigt ein Kommentar von Marc Felix Serrao, dem Berliner Büroleiter der NZZ, der am gleichen Tag erschien wie Rásonyis Leitartikel. Dass Serrao gleich im ersten Satz die Klimaaktivisten als Deppen diffamiert, die sich «die Welt wie einen antikapitalistischen Cartoon vorstellen, in dem raffgierige Manager in Geld baden und freudig Abgase in die Atmosphäre blasen», lässt schon ahnen, dass Argumentieren wohl nicht so ganz Serraos Stärke ist. Ihn ärgert, dass die Medien (ausser natürlich der NZZ) die Ankündigung von Oliver Bäte, dem Chef der Allianz- Versicherung, am New Yorker Gipfel nicht gebührend gewürdigt haben. Dort hätten nämlich «ein Dutzend global aktiver Versicherer und Vermögensverwalter versprochen, ihre gesamten Portfolios bis spätestens 2050 «klimaneutral» zu gestalten. Wenn das nicht eine Sensation sei! In Wirklichkeit ist dieses «Versprechen» allerdings eher eine Luftnummer, denn: Wenn bis 2050 fast die ganze Welt klimaneutral sein soll, wird es bald und spätestens eben bis 2050 ohnehin keine lukrativen Anlagen in CO2-intensive Unternehmen mehr geben. Der Fall erledigt sich dann mit oder ohne Versprechen gleichsam von selbst.

Ganze 332 Mal, ärgert sich Serrao, sei das Video mit Bätes Ankündigung im Youtube-Kanal des Unternehmens angeklickt worden. Dagegen habe es die Brandrede von Greta Thunberg weltweit in unzählige Nachrichtensendungen und auf die Titelseiten führender Medien geschafft. Zwar könne man der 16-jährigen Aktivistin «und ihrem Netzwerk von erwachsenen PR-Profis» keinen Vorwurf machen. Das «Team Thunberg habe «die Mechanismen der Medienindustrie durchschaut, und es spiele virtuos auf der Klaviatur der Bilder und Slogans». Das Problem sei aber weniger die junge Schwedin als vielmehr jene Öffentlichkeit, die in weiten Teilen jedes Mass und Distanzgefühl verloren habe: «Es sind erwachsene Menschen, die dem Mädchen grosse und immer grössere Podeste bauen und jede ihrer Aussagen wie eine Offenbarung behandeln.»

Klimapolitik: «Das ist eine Sache für Profis»

Der einzige deutsche Politiker, der den Mut gefunden habe, sich gegen diesen Kinder-Hype zu wehren, sei der FDP-Chef Christian Lindner. Von Kindern und Jugendlichen, so der tapfere Lindner, könne man nicht erwarten, «dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis.»

Dumm bloss, dass die «Profis» es in den vergangenen dreissig Jahren auch nicht geschafft haben, das Problem zu lösen. Und dass ohne Greta Thunberg und die Friday for Future-Bewegung die «Profis» auch weiterhin wie bisher weiterwursteln würden.

Wenn aber wirklich jemand etwas verändern könne, so der NZZ-Korrespondent, dann «nur ein breites Bündnis aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik – und allen voran: Wirtschaft: «Denn all die Produkte und Dienstleistungen, die künftig klimaneutral sein sollen, werden nicht vom Himmel fallen. Sie müssen erfunden, zur Marktreife gebracht und dann – mit Profit – verkauft werden. Wie das geht, das wissen weder Greta Thunberg noch die «Scientists for Future» und die allermeisten Parlamentarier auch nicht.»

Bisher sass die Wirtschaft eher im Bremerhäuschen der Klimapolitik

Allerdings hat sich «die Wirtschaft» bisher in Umwelt- und Klimafragen nicht gerade als Vorkämpferin hervorgetan, weder beim Einbau von Katalysatoren bei Dieselfahrzeugen, beim Ersatz von FCKW-Kühlmitteln durch andere, etwas weniger schädliche Ersatzstoffe noch beim Übereinkommen zum Schutz des Rheins nach der Brandkatastrophe von Schweizerhalle, weder beim Verbot von Asbest, beim Streit um Stickoxid-Grenzwerte nach Fahrverboten in zahlreichen deutschen Städten noch bei der Diskussion um den Grenzwert von CO2-Emissionen bei Pkw.

Immer reagierte «die Wirtschaft» nach dem gleichen Muster: Zuerst erklärt sie kategorisch, dass dies ganz und gar unmöglich sei, zumindest in so kurzer Zeit, dann versucht sie, die neuen Regelungen nach ihrem Gusto mit Ausnahmebestimmungen und anderen Tricks aufzuweichen oder, wenn dies nicht funktioniert, die Verbote mit anderen «kreativen», nicht selten illegalen Mitteln zu umgehen. Dass «die Wirtschaft» jetzt plötzlich zur Speerspitze der Klimaschutzbewegung werden soll, klingt allerdings weit weniger plausibel als die Vermutung, dass die «Kinder und Jugendlichen» den «Profis» noch lange und immer wieder kräftig den Marsch blasen müssen, bis diese wirklich bereit sind, unter Druck alles Notwendige zu unternehmen, damit das 1,5-Grad-Ziel erreicht wird. Bis heute scheinen die «Profis» dies immer noch nicht ganz begriffen zu haben: Es geht nicht um den nächsten Geschäftsabschluss, die nächsten Boni-Millionen, die nächste Villa, und auch nicht darum, die nächste Milliardenstrafe, den nächsten Gefängnisaufenthalt abzuwenden, weil man sich wieder einmal hat erwischen lassen, sondern darum, den künftigen Generationen eine Welt zu erhalten, die nicht bloss für die «Profis», sondern auch für die übrigen acht oder neun Milliarden Menschen lebenswert ist. Das jedenfalls haben die «Kindern», haben Greta Thunberg und die Bewegung der Klimakids, besser verstanden als die «Profis» von Lindner, Serrao, von Volkswagen, Daimler, Porsche und BMW, von Glencore, Monsanto, Aramco, E.ON, Gazprom und Co. (CR)

Ein Nachtrag

Aber klar, wenn die NZZ gegen Greta Thunberg und die Gefahr einer Radikalisierung der Klimaschutzbewegung loswettert, dürfen die Tamedia-Blätter nicht schweigen. So machten sich denn gleich drei Autorinnen auf die Suche nach vermeintlichen Bösewichten, ohne allerdings so richtig fündig zu werden. Weder blieb die kurzzeitig grüngefärbte Limmat auf ewig bunt – oder wenigstens so lange, bis die Politiker wirksame Klimaschutzmassnahmen nicht bloss ankündigen, sondern tatsächlich umsetzen -, noch flogen in Bern Steine. Immerhin sichteten die investigativen Journalistinnen in der Nähe der Reithalle ein Plakat mit dem Logo von Extinction Rebellion und – höchst verdächtig – war dort auch die Musik etwas lauter als anderswo. Zudem stöberten die drei Autorinnen im luzernischen Meggen einen 41jährigen Jugendlichen von Extinction Rebellion auf, der aber auch nichts Umstürzlerisches von sich gab.

«Gewalt würde die Bewegung diskreditieren», meinte der junge Meggener, der laut TA «an vorderster Front fürs Klima kämpft»; er war auch an der Kunstblutaktion in Bern beteiligt. Noch langweiliger – den Journalistinnen gelang es nicht einmal, ein Konflikt zwischen der Klimajugend und Extinction Rebellion herauszukitzeln. Nein, zwischen XR und Fridays for Future bestehe eine gute Zusammenarbeit, meinte ein Vertreter von Klimastreik Schweiz, man spreche sich vor Aktionen ab. Ohnehin: «Radikal ist nicht XR. Radikal ist, wie schlimm es um unsere Welt steht und wie wenig dagegen gemacht wird.»

Nicht einmal der angefragt Kommunikationswissenschafter der Universität Zürich gab sich dazu her, den jungen Klimarebellen etwas Böses in die Schuhe zu schieben: «Das ist eine professionelle Gruppe, die weiss, wie Medien funktionieren.»  Zwar nutze sich der Effekt solcher Aktionen schnell ab; und «um weiter Aufmerksamkeit zu erhalten, müssten sie sich immer radikalere Aktionen ausdenken.» Aber, so berichten die drei Autorinnen, «davon geht der Wissenschaftler nicht aus, weil die Aktivisten Gewalt in allen Varianten deutlich ablehnen.»

Den einzigen Parlamentarier aus dem grünroten Spektrum, der solche Aktionen ablehnt, fanden die TA-Autorinnen im GLP-Nationalrat Beat Flach. «Mir ist nicht klar», sagte er dem Tages-Anzeiger, «was sie uns mit Aktionen wie der grünen Limmat mitteilen wollen.» Das ist aber vermutlich eher ein intellektuelles als ein politisches Problem. Und FDP-Ständerat Damian Müller stört laut Tages-Anzeiger, dass die Aktivisten den Politikern vorwerfen, nichts fürs Klima zu unternehmen. Das neue CO2-Gesetz sei doch ein Meilenstein in der Klimapolitik. Dabei ist es doch genau diese selbstgefällige Fehleinschätzung, welche die Menschen dazu brachte, am Samstag zu Zehntausenden in Bern zu demonstrieren. (CR)