Warten die Klassenkämpfer von Fridays for Future auf den Befehl der Gewerkschaften, das Bundeshaus zu stürmen? (Quelle: Nina Rentsch)

Die Klimaaktivisten können es dem Tages-Anzeiger und der SonntagsZeitung einfach nicht recht machen. Zuerst warnten die Tamedia-Blätter vor Greta Thunberg, dann vor den verantwortungslosen Erwachsenen, den linken Einflüsterern und Extinction Rebellion, jetzt warnen sie die Klimakids, mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten.

Dass Journalisten es oft besser wissen als alle anderen Zeitgenossen, ist eine weit verbreitete und kaum heilbare Berufskrankheit. Auch im Fall der Klimadebatte sind viele Medienleute nicht anders als der deutsche FDP-Vorsitzende Christian Lindner der Meinung, die «Kinder» sollten auf ihre Ratschläge hören und nicht selber denken. Selbst im gelegentlichen Lob verstecken sie kleine fiese Gemeinheiten. Schon gut und nett, diese Greta Thunberg, schrieb Karin Janker, als der Erfolg der Klimakids sich nicht mehr wegschweigen liess, aber letztlich sei sie doch wirklich bloss ein unreifes, manipuliertes 16jähriges Dummerchen, das gar nicht wissen könne, worum es beim Klimawandel eigentlich gehe. (Dass es auch seriöser geht, zeigt übrigens ein brillantes Porträt von Alexandra Urismen Otto, einer Reporterin der schwedischen Zeitung «Dagens Nyheter» in der Zeit, die Greta Thunberg über Monate hinweg immer wieder persönlich getroffen hat.)

Warnungen, Vorwürfe, Diffamierungen

Schon gut und nett auch diese «Teenager» von Fridays for Future, aber doch reichlich naiv, schrieb Stefan Häne; eine «kleine radikale Minderheit», meinte Armin Müller, der Chefredaktor der SonntagsZeitung, noch im Juli; ihre radikalen Forderungen würden, so Manfred Roesch, geradewegs zu einem «Öko-Überwachungsstaat von Orwellschem Ausmass führen, in dem jeder Einkauf, jede Reise, jedes Steak auf die persönliche CO2-Bilanz angerechnet wird.» Und Andreas Kunz, TA-Redaktionleiter, warnte vor der «Weltuntergangssekte“ Extinction Rebellion, die mit ihren Gewaltfantasien die Jugendlichen in die Arme des Terrorismus treibe.

Kaum etwas von all diesen Behauptungen und Diffamierungen ist richtig, kaum eine dieser Warnungen ist berechtigt; das meiste basiert auf Vorurteilen, Kolportiertem, Abgeschriebenem und einem Politikverständnis, in dem Basisbewegungen, ziviler Ungehorsam und Druck von der Strasse einfach keinen Platz haben, ausser sie finden ganz weit weg statt, in Hongkong, Chile oder in der Türkei. Und vielleicht liegt der strikten Ablehnung dieser Protestformen auch die leise Ahnung zugrunde, dass die Klimaaktivisten mit ihrem Ruf nach System Change doch nicht ganz so falsch liegen, weil die Probleme mit den derzeitigen politischen Verfahren offensichtlich kaum zu lösen sind.

Immer brav unpolitisch bleiben?

Nicht von ungefähr also, dass der Tages-Anzeiger seine Leserinnen und Leser vor einigen Tagen ein weiteres Mal zu alarmieren versuchte, als die Klimaaktivisten für den Streiktag im kommenden Mai Kontakt zum Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB aufnahmen. «Die Kampfzone wird ausgeweitet, das Klima verliert an Bedeutung», schrieb Janine Hosp in einem Kommentar, und für sie war schon klar, bevor die ersten Gespräch überhaupt stattgefunden haben: «Ein fataler Fehler».

«Bislang», so schreibt Hosp, «engagierten sich die Aktivistinnen und Aktivisten strikt nur für das Klima». (…) Jetzt aber wollen sie sich nicht nur gegen die Ausbeutung der Erde, sondern (…) auch gegen die Ausbeutung des Menschen einsetzen.» Ist es wirklich möglich, dass die Redaktorin nicht mitbekommen hat, dass Fridays for Future von ihren Anfängen an das Problem des Klimawandels immer ganz explizit mit der Frage der Klimagerechtigkeit verknüpft hat, also den Kampf gegen die Ausbeutung des Menschen immer schon im Programm hatte.

Stichwort Klimagerechtigkeit

Klimagerechtigkeit ist das zwingende Verbindungsglied zwischen Ökologie und Ökonomie. Die Klimaaktivistinnen und -aktivisten haben sich also nie «strikt nur für das Klima» engagiert. Weil Klimagerechtigkeit auf nationaler Ebene bedeutet, dass Massnahmen zur Reduktion der CO2-Emissionen «sozialverträglich» sein müssen, also die sogenannten «kleinen Leute» ihrem Einkommen und Lebensstandard entsprechend nicht übermässig zur Kasse gebeten werden, machen Gespräche über ein mögliches Zusammengehen von Klimabewegung und Gewerkschaften bei allen möglichen Differenzen durchaus Sinn. Denn Sozialverträglichkeit, was immer das konkret heisst, ist sozusagen das Kerngeschäft der Gewerkschaften. Dass sich die Klimakids deswegen von den Gewerkschaften vereinnahmen lassen, wie Hosp insinuiert, ist pure Spekulation; bislang waren die Klimaaktivisten selbstbewusst genug, um sich gegen solche Vereinnahmungsversuche wehren zu können.

Erst recht ins neoliberale und gewerkschaftsfeindliche Fahrwasser aber driftet die TA-Redaktorin dort, wo sie den Klimakids vorwirft, sich mit der allfälligen Kooperation mit den Gewerkschaften dem Klassenkampf zu verschreiben. Mit dem Reizwort Klassenkampf, dem verstaubten Schreckgespenst aus der Mottenkiste des vorigen Jahrhunderts, sollen die Leserinnen und Leser gegen die gefährlichen, linken Klimakids mobilisiert werden. Sie würden, droht Hosp den Kids, das Wohlwollen all jener vieler Bürgerinnen und Bürger verlieren, die nur über das Klima reden möchten, aber nicht darüber, wer denn das alles bezahlen soll.

Dass die schweizerischen Gewerkschaften sich seit 1927, also seit über 90 Jahren, nicht mehr als Klassenkämpfer verstehen, sondern als Sozialpartner, müsste zum Allgemeinwissen einer politischen Redaktorin gehören; Hosps Unterstellung ist ein böser Tritt gegen die Gewerkschaften. Und dass schon linksradikal sei, wer wie die Klimaaktivisten die Frage nach Klimagerechtigkeit stellt, ist neoliberale Abwehrschlacht. Denn über die Frage, wer denn die Kosten der Klimaschutzmassnahmen tragen soll, muss geredet werden. Wie auch über die seltsame Liebe zu den «kleinen Leuten», welche die Wirtschaft und die bürgerlichen Parteien immer nur dann entdecken, wenn es ihnen grad in den Kram passt, nicht aber, wenn es um Lohnabbau, Steuerreformen, Massenentlassungen oder Rentenreformen geht.

Über Ungerechtigkeit und Solidarität muss geredet werden

Dass die Fridays for Future-Jugendlichen ganz nach dem UN-Prinzip der «gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung» da eher «die Reichen» in der Pflicht sehen, wie Hosp einigermassen pikiert feststellt, hat vermutlich weniger mit Klassenkampf als mit Solidarität zu tun. Dass die Konsumgewohnheiten «der Reichen», ihre Vielfliegerei, die grosse Autos und so weiter, einen Grossteil jener Folgeschäden erzeugen, unter denen, global und national, zuerst einmal die «kleinen Leute» leiden, ist zuerst einmal schlicht eine Tatsache, die sich nicht mit Neid- und Missgunst-Debatten zum Verschwinden bringen lässt. In Deutschland (und in der Schweiz, wo diese Zahlen so nicht aufbereitet sind, wird es nicht sehr viel anders sein) produziert das obere Einkommenszehntel im Vergleich zum untersten Zehntel die dreifache Menge an CO₂. (Weltweit sind die obersten zehn Prozent sogar für beinahe die Hälfte der konsumbedingten CO₂-Emissionen verantwortlich. Die untere Hälfte nur gerade für ganze zehn Prozent.)

Darüber muss geredet werden. Dass die jugendlichen Klimakids im Gegensatz zu vielen Politikern dieses Tabuthema beharrlich oben auf der Traktandenliste haben, ist weder links noch sonstwie verwerflich, sondern einfach nur vernünftig. (CR)