«Aber doch bitte nicht so rasend schnell!»

Die Umweltkommission des Nationalrats hat sich am vergangenen Montag (28. Oktober) in einem zweiten Anlauf daran gemacht, die Revision des CO2-Gesetzes zu beraten, nachdem sie diese im November 2018 in der gleichen Besetzung noch verworfen hat. Zur Diskussion steht der im September vom Ständerat beschlossene Vorschlag. Vor allem die Grünen und die SP spielen ein höchst riskantes Spiel.

Noch ist nichts entschieden, die Kommission wird Ende November zum zweiten Mal tagen. Aber wenn es nach dem Willen der Kommissionsmehrheit geht, soll das Gesetz dann bereits in der Wintersession im Dezember im Rat diskutiert und bereinigt werden. Dies ist vor allem ein Anliegen des Zürcher Grünen Bastien Girod. Sein Argument laut NZZ «Wir brauchen dringend ein mehrheitsfähiges Gesetz». Es drohe sonst eine Lücke im Klimaschutzdispositiv, falls die neue Vorlage zu spät in Kraft trete. (Allerdings ist völlig ungewiss, ob diese Lücke nicht ohnehin entsteht, wenn die SVP das Referendum gegen das revidierte CO2-Gesetz ergreift und zugleich das parlamentarische Prozedere um die Gletscherinitiative mit Debatten in den Räten und einem möglichen Gegenvorschlag auf der Traktandenliste steht.. Denn es macht vermutlich keinen Sinn, zwei thematisch dermassen miteinander verknüpfte Geschäfte getrennt zu behandeln.)

«Keine Zeit verlieren – und nicht überladen»

Die Absicht von Bastien Girod, die von der Mehrheit der Kommission unterstützt wird, ist klar: «Keine Zeit verlieren – und nicht überladen». Deshalb verzichten die rot-grünen Mitglieder der Kommission auch darauf, wichtige Forderungen einzubringen; man folgt weitgehend den Vorschlägen des Ständerates, obwohl diese nach Meinung aller Klimawissenschafter und Experten, der Umweltverbände, der Klimajugendlichen und selbst vieler National- und Ständeräte nicht im Geringsten ausreicht, um die auch von der Schweiz verbindlich ratifizierten Klimaziele von Paris zu erreichen.

Trotzdem sind sich praktisch alle UREK-Mitglieder einig: Wird das CO2-Gesetz überladen, droht es zu scheitern. Zwar wollten die Grünen, so der Tages-Anzeiger vor der UREK-Sitzung, beflügelt von ihrem Wahlsieg «die Schraube gegenüber dem Ständerats-Entwurf weiter anziehen» – mehr Inland-Kompensation, höhere Flugticketabgaben, einen Klimafonds, strengere Grenzwerte bei Neuwagen, Regulierungen des Finanzplatzes etc. Inzwischen aber haben sie fast alle diese «Optimierungen», wie sie es nannten, wieder zurückgenommen. Die neue Devise lautet: Das CO2-Gesetz möglichst schnell durchpauken und dann irgendwann nachbessern. Das wünschen sich auch die anderen angegrünten Parteien: GLP-Nationalrat Martin Bäumle fände es zwar richtig, an der Vorlage des Ständerats «substanzielle Verbesserungen» vorzunehmen, mit jeder weiteren Verschärfung drohe aber die Gefahr, dass das Gesetz in der Volksabstimmung scheitern werde. Und so sieht es laut Tages-Anzeiger auch SP-Fraktionschef Roger Nordmann: «Wir sollten das Gesetz nicht überladen.» Er plädiere dafür, das CO2-Gesetz «ohne massive Verbesserungen rasch ins Trockene zu bringen».

Die Stimmbürger müssen nicht «abgeholt», sondern überzeugt werden

Das aber könnte aus mehreren Gründen völlig schief laufen. Vor allem aber zeigt es zweierlei: Erstens die Angst der Politiker vor dem Volk. Und zweitens ein groteskes Politikverständnis: Man müsse, so lautet die gängige Formel, die (offenbar geistig etwas beschränkten) Stimmbürgerinnen und Stimmbürger «abholen» und «mitnehmen». Politik könnte aber auch heissen, dass man die mündigen Bürger im Meinungsstreit mit Argumenten überzeugt – und vor allem überzeugen kann. Die Klimaschützer, die konsequentere Massnahmen fordern, haben doch alle vernünftigen Argumente auf ihrer Seite: Erstens die Wissenschaft, die unmissverständlich klar macht, dass die derzeitigen Massnahmen nicht ausreichen und man keine Zeit mehr vertrödeln darf, wenn die Erderhitzung tatsächlich auf 1,5 Grad beschränkt werden soll. Zweitens die Realität, die fast täglich zeigt, dass die Klimaerhitzung schon längst jetzt und hier und auf der ganzen Welt stattfindet und von Jahr zu Jahr zu immer schlimmeren Katastrophen führt. Und drittens eine schnell wachsende Bewegung von verantwortungsbewussten Jungen, die auf der Strasse Druck machen und von der Politik nicht bloss rhetorisch, sondern tatsächlich verantwortungsbewusstes Handeln einfordern, weil es um ihre Zukunft geht.

Es geht um die Glaubwürdigkeit

Die Grünen und die SP spielen mit dem weitgehenden Rückzug ihrer Forderungen ein gefährliches, höchst riskantes Spiel. Wer wird Parteien in Zukunft noch glauben, die jahrelang dringende Massnahmen forderten, weil diese wirklich ganz dringend seien, und die dann aus taktischen Gründen doch finden, dass diese dringenden Massnahmen eben doch nicht ganz so dringend seien? Wie glaubwürdig sind Rot-Grün, die den bürgerlichen Bremsern vorwerfen, sie nähmen die Pariser Klimaziele nicht wirklich ernst, wenn sie dann selber Ja sagen zu lauwarmen Massnahmen, die mit Sicherheit das Pariser Klimaziel verfehlen? Was antworten diese Parteien den jungen Klimastreikern, die ihnen vorwerfen, sie machten wie die anderen Parteien mit bei all diesem Politgeschacher, auch sie würden wie die anderen gross reden und winzig handeln?

Mit ihren taktischen Manövern desavouieren Grüne und SP übrigens auch die Klimawissenschafter, die mit handfesten Argumenten belegen, dass wir gerade noch ein paar ganz wenige Jahre Zeit haben, um das Steuer herumzureissen. Ganz so schlimm, signalisieren die grün-roten Politiker mit ihrer Trippelschrittchen-Politik, wie der Weltklimarat und die hiesigen Wissenschafter behaupten, wird es wohl doch nicht sein.

Wie aber wollen sie, die jetzt für Verharmlosen und Aufschieben plädieren, den Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in ein paar Jahren klar machen, dass es jetzt noch viel teurer wird, weil jedes versäumte Jahr, für das sie selber mitverantwortlich waren, die Kosten noch weiter in die Höhe getrieben hat?

Die Grünen-Chefin Regula Rytz hat nach den Wahlen einen Schweizer Klimagipfel gefordert. Keine schlechte Idee, auch wenn man meinen müsste, die Umweltpolitiker hätten während der letzten 20 Jahre genug Zeit gehabt, hin und wieder mit Klimawissenschaftern zu reden. Auch wenn allfällige Resultate eines solchen Runden Tisches unverbindlich sind, wäre es schon ein grosser Fortschritt,, wenn die Politiker und Wirtschaftsvertreter sich von den Wissenschaftern überzeugen liessen, dass man wirkungsvolle Massnahmen nicht mehr beliebig auf Irgendwann verschieben kann. Und dass die Politiker keine Angst haben müssen vor dem Volk, wenn es gelingt, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger davon zu überzeugen, dass es vermutlich die wichtigste, schwierigste und leider vielleicht auch die kostspieligste Aufgabe dieses Jahrhunderts ist, wenn wir den künftigen Generationen eine Welt hinterlassen wollen, in der auch wir gern leben würden. (CR)

Ein kurzer Nachtrag als Antwort auf Repliken findet sich hier.