Sie erwarten nicht, von den Politikern «abgeholt» und «mitgenommen» zu werden: Mündige Bürgerinnen und Bürgern am 28. September auf dem Bundeshausplatz (Quelle: Nina Rentsch)

Dass man eine Vorlage nicht «überladen» dürfe, weil sie sonst in einer Volksabstimmung keine Chance habe, sei nichts weiter als eine pragmatische Lehre aus zahlreichen missglückten Abstimmungen, heisst es in mehreren Repliken auf den klimanews-Beitrag vom 30. Oktober: Die Angst der Politiker vor dem Volk. Was gibt es dazu zu sagen?

Das stimmt. Fast. Allerdings gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen der Revision des CO2-Gesetzes und anderen Vorlagen etwa über die Masseneinwanderungsinitiative, über Steuer- oder AHV-Vorlagen etc. Erweist sich ein Volksentscheid als untauglich oder ungenügend, lässt er sich bei fast allen Vorlagen nachbessern. Bei der Klimaerhitzung ist das aber nur in sehr beschränktem Rahmen und nur innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne möglich: Steigt die Durchschnittstemperatur der Erde über eine bestimmte Limite, dann bleibt sie, egal was man später «nachbessert», über mehrere hundert Jahr auf diesem Niveau oder steigt infolge von Rückkoppelungsprozessen noch weiter an – auch für mehrere Jahrhunderte. Weil einige Treibhausgase, so etwa CO2, so lange in der Atmosphäre bleiben.

Mit dem Klima kann man keine Kompromisse machen

Was heisst das für die derzeitige Debatte um die Revision des CO2-Gesetzes? Ein wesentlicher Mechanismus politischer Meinungsbildung ist hier weitgehend ausser Kraft gesetzt: der Kompromiss. Zwischen Befürwortern und Gegnern der Masseneinwanderungsinitiative, der Unternehmenssteuerreform und fast allen anderen Vorlagen lassen sich Kompromisse finden. Befürworter und Gegner können miteinander verhandeln, aufeinanderzugehen und – neudeutsch – Deals abschliessen. Mit dem Klima ist das nicht möglich. Naturgesetze sind nicht verhandelbar. Man kann die Gletscher nicht bitten, doch mit dem Abschmelzen noch ein bisschen zuzuwarten.

Das hat Konsequenzen. Wenn die Grünen und die SP im Einklang mit der Wissenschaft der Meinung sind, dass die vom Bundesrat vorgeschlagenen und vom Ständerat nur minim verschärften Massnahmen nicht ausreichen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu beschränken, dann macht es keinen Sinn, aus abstimmungstaktischen Gründen für die ungenügenden Massnahmen zu plädieren. Das CO2-Gesetz bestimmt den Massnahmenkatalog, mit dem dem der Schweizer Beitrag zur Klimaentwicklung bis 2030 gesteuert werden soll. Danach hat die Schweiz nur noch 20 Jahre Zeit, um Netto Null zu erreichen. Was bis dahin versäumt worden ist, etwa durch die Kompensation im Ausland oder unwirksam kleine CO2-Steuern, muss dann nachgeholt werden, falls dies dann überhaupt noch möglich sein wird. Auf jeden Fall wird es «die Wirtschaft» und unseren Lebensstandard dannzumal weit mehr belasten, als wenn wir mit dem neuen CO2-Gesetz jetzt schon wirksamere, schärfere Reduktionsmassnahmen durchsetzen.

Vertrauen auf das Volk

Politiker wie Bastian Girod, Martin Bäumle, Roger Nordmann oder Stefan Müller-Altermatt, die jetzt pflaumenweiche, ungenügende Klimaschutzmassnahmen vorschlagen oder durchwinken, und so tun, als könnte man diese dann irgendwann «nachbessern», könnten sich irren. Sie müssen sich dann den Vorwurf gefallen lassen, 2019 gemeinsame Sache mit den Klimaschutzbremsern gemacht zu haben.

Wenn schon die bürgerlichen Parteien (und die Wirtschaft) nicht gewillt sind, den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern diese Fakten in ihrer ganzen Dramatik aufzuzeigen, dann müssten dies wenigstens die Grünen und die SPD (und die Medien) tun. Aber ohne zugleich gegenteilig zu handeln! Das ist ein Gebot der Glaubwürdigkeit. Dann kann man den mündigen Bürgern auch zutrauen, sich nicht auf das gefährliche Vabanque-Spiel eines unabsehbaren Risikos einzulassen, sondern auf Nummer Sicher zu gehen und die richtigen Entscheide zu fällen. (CR)