Das Online-Magazin Republik hat Reto Knutti, Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich, einer der Leitautoren für die letzten beiden Sachstandsberichte des Weltklimarates IPCC und zusammen mit einigen Kollegen das Gesicht der Schweizer Klimawissenschaft, interviewt. Wer schon alles weiss über das Klima, braucht das Interview nicht zu lesen, für alle anderen müsste es Pflichtstoff sein.

Dass Daniel Ryser, Republik-Redaktor und Autor unter anderem einer brauchbaren Biografie über Roger Köppel, die richtigen Fragen einigermassen naiv stellt, etwa: «Was heisst das eigentlich konkret, null CO2?», ist gut – es spiegelt vermutlich in etwa den Unwissensstand der Durchschnittsschweiz. Gut auch, dass er Knutti im Gegensatz zu den gängigen Schlag-auf-Schlag-Interviews genügend Raum gibt, die Dinge zu erklären, manches ist ja in der Tat nicht ganz einfach.

Reto Knutti, das prominenteste Gesicht der Schweizer Klimawissenschaft

Weniger gut ist, dass Ryser das Interview im geschwätzigen «Wow-wie-bin-ich-doch-cool»-Modus führt, im Slang des szenigen Journalismus («Die Sonne scheint, die winterliche Stadt schlummert und qualmt vor sich hin, wir trinken den zweiten Kaffee, und ich frage Knutti, ob die Lage, unwissenschaftlich gesprochen, eigentlich nicht einfach ultraverschissen sei.»). Das ist zwar ärgerlich und nervt, aber man muss es einfach über sich ergehen lassen; es interessieren ja nicht Rysers Schreibkünste, sondern Knuttis Antworten.

«Die Erde wird in Teilen unbewohnbar sein»

«Wenn nicht viel mehr getan wird als das, was wir im Moment zögerlich anpeilen, wird diese Erde in Teilen bald unbewohnbar sein.» Oder: «Wenn wir davon reden, dass sich bis dann (gemeint ist: 2100) die Durchschnitts­temperatur in der Schweiz um 4 bis 7 Grad erhöht haben wird, bedeutet das gleichzeitig, dass wir dann mitten in der Steigung sind und die Temperatur dann noch steigt, wenn wir nichts tun.» Oder: «Der grösste Teil der Folgen des Klima­wandels kann nicht rückgängig gemacht werden. (…) Was kaputt ist, ist kaputt. Wenn die Meere einmal über die Ufer getreten sind, bleibt das so.» 

Wer ihn kennt, weiss: Knutti neigt nicht zu Übertreibungen; er sagt, was seine Zahlen und Klimamodelle hergeben und durch zahlreiche andere Studien anderer Klimawissenschafter gestützt wird

Oder er erklärt an Beispielen, wie die sogenannten Kippelemente funktionieren, weil die Folgen des Klimawandels nicht linear steigen: «Von einem Grad mehr kann die Land­wirtschaft vielleicht sogar profitieren. Es wächst mehr. Aber dann, bei bloss einem halben Grad mehr und einem trockenen Sommer wie 2018, wächst nichts mehr. Dann ist fertig. Nichts gedeiht mehr. Es ist wie bei Erdbeben: Bei einem kleinen wackelt es nur leicht, bei einem grossen ist die Stadt flach. «Sie als Journalist», meint er, und das ist wirkliche Coolness, «können es ‹ultra­verschissen› nennen, ich als Natur­wissenschaftler nenne es die Charakteristik des Systems.»

Was eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatrur um 5 Grad, wie sie neuere Szenarien für möglich halten, bedeutet, illustriert Knutti am gegenteiligen Fall, der letzten Eiszeit, in der sich das Klima um rund 5 Grad abkühlte: «Etwa zwei Drittel der Schweiz waren damals von Eis bedeckt. Die Gletscher sind über das Aaretal und den Thunersee bis nach Bern gekommen. Der Üetliberg hat knapp aus dem Eis hervor­geschaut. Das ist der Massstab der Veränderungen, wenn wir von 5 Grad sprechen.»

Null CO2 bedeutet nicht ein bisschen sparen, sondern eben Null CO2

Dass er heute etwas radikaler formuliert als noch vor einigen Jahren, hat wohl auch mit seiner Erfahrung zu tun, dass die ganze Forschung, all die Studien, die mehrtausendseitigen IPCC-Berichte, die Konferenzen, die Tagungen mit Politikern und Vertretern der Wirtschaft nicht dazu geführt haben, dass man die Erkenntnisse der Wissenschaft wirklich ernst nimmt und danach handelt. «Wenn uns nur unser eigenes Leben in den nächsten zehn, zwanzig Jahren interessiert, dann sage ich klar: Vergesst den Klima­wandel», sagt er, und: «Wenn die einzige Perspektive die ist, mit der Aktie, die ich kaufe, im nächsten Quartal Geld zu verdienen, oder wenn es mir in der Politik nur darum geht, in den nächsten vier Jahren wieder­gewählt zu werden, dann ist die kurzfristige Perspektive selbst­verständlich eine Option.» Aber es sei halt auch eine Tatsache, dass dann Teile von Grönland und der Antarktis schmelzen werden. «Dann sind Dutzende, wenn nicht Hunderte von Städten auf der Welt weg. Es gibt sie dann einfach nicht mehr.»

Man wird Knutti später nicht vorwerfen können, er habe nicht Klartext geredet. «Was bis 2050 gefordert ist, ist null CO2. Das heisst nicht: ein bisschen sparen. Null bedeutet null.» Und er sagt im Gegensatz zu den Süssholzrasplern, die gern ein bisschen Klimaschutz wollen, solange es wenig kostet und nicht wehtut: «Den Verbrennungs­motor gibt es dann nicht mehr. Fliegen gibt es nicht mehr, ausser es gelingt uns, synthetisches Kerosin als Alternative auf den Markt zu bringen oder COzu sequestrieren. Eine Ölheizung gibt es nicht mehr. Wir werden unser Leben umstellen müssen.» Dass sind, zugegeben, Worst Case-Szenarien, auf die wir aber unweigerlich zusteuern, wenn wir weiter so tun, als wären die billigen Flugpreise zum Shoppen in New York oder die Erhöhung der Krankenkassenprämien gleich wichtig wie die Klimaerhitzung (obwohl auch die letztere wichtig ist). Bloss werden die Worst Case-Szenarien von Jahr zu Jahr, in denen wir zu wenig tun, immer wahrscheinlicher. Und eben: Nachbessern geht dann nicht mehr.

Geduldig erklärt Knutti, warum es strenge Regulierungen braucht, warum die Schweiz trotz ihres kleinen Beitrags zu den globalen Emissionen eine grosse Verantwortung trägt, warum Auslandkompensationen letztlich unsinnig sind und Einiges mehr..

Klare Worte auch zur Revision des CO2-Gesetzes: «Es ist schon so», sagt Knutti,  «das neue CO2-Gesetz mit gewissen Preis­aufschlägen hier und Lenkungs­abgaben dort ist aus wissenschaftlicher Sicht ungenügend. Denn damit werden wir die Klimaziele nicht erreichen. Aber es ist aus politischer Sicht womöglich das Beste, was heute realisierbar und potenziell mehrheits­fähig ist.»

Und gegen all die Anwürfe, die Wissenschafter sollten sich gefälligst mit ihren Zahlen und Modellen beschäftigen und die Politiker nicht beim Regieren stören, sagt Knutti: «Wenn wir der Meinung sind, dass es eine potenzielle Gefahr gibt, sollte es nicht nur erlaubt sein, die Gesellschaft darauf hinzuweisen. Wir sollten dazu verpflichtet sein.» (CR)