Am kommenden Montag (2. Dezember) beginnt in Madrid der diesjährige Weltklimagipfel COP 25. Selbstverständlich ist auch die Schweiz mit einer Delegation vertreten. Ihr gehören auch vier Vertreter der Zivilgesellschaft an, aber – seltsamerweise – keine Klimawissenschafter.

Das Fundament sämtlicher Klimaverhandlungen seit den ersten Konferenzen im Jahr 1979 in Genf sind die Studien der Klimawissenschafter. Ohne sie wüssten wir weder, wie sich die globale Durchschnittstemperatur entwickelt hat und weiter entwickeln wird, noch, welche Klimaschutzmassnahmen nötig sind oder wären, um verheerende Katastrophen für die Menschen und die Natur zu verhindern. Die Sachstandsberichte des Weltklimarates geben auch Auskunft, welche Schäden bei unterschiedlichen Klimaszenerien zu erwarten sind und wie die Länder sich notfalls an den Klimawandel anpassen können. Und alle Berechnungen, welche Kosten die verschiedenen Klimaschutzmassnahmen verursachen, mit welchen Instrumenten und Mechanismen den am meisten betroffenen Ländern geholfen werden kann, werden nicht in den Umweltministerien durchgeführt, sondern beruhen auf Studien, Modellen und Vorschlägen von Klimaökonomen.

Es ist deshalb üblich, dass die Länderdelegationen Klimawissenschafter an die Weltklimakonferenzen mitnehmen, wenn es zum Beispiel darum geht, zu verhandeln, mit welchen (wissenschaftlichen) Methoden und Instrumenten man die unterschiedlichen Klimaschutzmassnahmen der Länder vergleichbar machen kann, welchen Kriterien Überprüfungsberichte genügen müssen, oder um festzustellen, ob die Länder ihre versprochenen Reduktionspfade und -ziele auch einhalten, etc. Alle diese Fragen stehen auch dieses Jahr auf der Traktandenliste der Konferenz.

Drei (+1) Vertreter der Zivilgesellschaft

Nicht so in der Schweiz. Die Schweizer Delegation verzichtet auf die Expertise der Schweizer Klimawissenschafter, von denen einige zu den weltweit führenden Forschern gehören und als Leitautoren der IPCC-Reports die fundiertesten Kenntnisse in den verschiednen Themenbereichen vorweisen können. Ihr Wissen, ihre Erfahrung ist offensichtlich nicht sehr gefragt.

Neben den Fachleuten aus der Bundesverwaltung umfasst die Schweizer Delegation nach Auskunft des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) drei Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft., nämlich je einen Vertreter des WWF, der Versicherungsbranche und des Schweizerischen Gewerbeverbands, der zu den mächtigsten Lobbyisten gegen eine wirksame Klimapolitik gehört. Dazu kommt ein prominentes Mitglied von Fridays for Future, also jener Bewegung, deren wichtigste Forderung darin besteht, dass die Politik endlich mehr auf die Wissenschaft hört. (Da die bundesrätlichen «Richtlinien zur Entsendung von Delegationen an internationale Konferenzen» vom 7. Dezember 2012 festlegen, dass in Delegationen maximal drei Personen nicht der Bundesverwaltung angehören dürfen, wurde die Klimastreik-Vertreterin kurzerhand für einige Tage zur Bundesangestellten befördert.) Dazu kommen dieses Jahr ein «Experte für technische Verhandlungen über Transparenz» und eine «Expertin für Bildungs- und Sensibilisierungsfragen rund um den Klimawandel».

Wie das BAFU auf Anfrage erklärt, seien «verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen eingeladen worden, Nominierungen einzureichen, darunter auch Vertreter der Wissenschaft». Das Bundesamt habe jedoch keine Nominierungen aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft erhalten. Davon wissen die von klimanews angefragten Wissenschafter allerdings nichts.

Zur Begründung der Auswahl der Delegationsteilnehmer erklärt das BAFU, an der Weltklimakonferenz würden dieses Jahr keine wissenschaftlichen Fragen verhandelt. Das ist, wenn man die Konferenz-Traktanden anschaut, eher falsch.

Klimaforscher sind keine Fachidioten

Klimawissenschafter finden diese Begründung zwar nicht überraschend, aber doch etwas «seltsam». Denn tatsächlich ist die Schweizer Klimaforschung etwas vielfältiger und breiter aufgestellt, als das BAFU vorgibt. Geforscht wird an der ETH Zürich und der EPFL in Lausanne auch über wirtschaftliche und politische Aspekte der Klimaproblematik, so etwa am Institut für Umweltentscheidungen.

Während Jahren war es selbstverständlich, dass regelmässig auch Klimaforscher den Delegationen angehörten. Aufgrund der oben erwähnten Richtlinie, welche die Zahl der verwaltungsexternen Delegationsteilnehmer limitiert, obwohl es dafür offensichtlich keinen sachbezogenen Grund gibt, wurde die Wissenschaft faktisch aus den Klimadelegationen eliminiert.

In einer Antwort auf eine entsprechende Anfrage der Nationalrätin Kathy Ricklin schrieb der Bundesrat schon 2016: «Die Klimakonvention (UNFCCC) bildet (zwar) den Rahmen für einen wissenschaftlich fundierten politischen Verhandlungsprozess. Der mit der Klimakonvention verbundene Prozess ist streng genommen kein wissenschaftlicher Prozess. Daher müssen in der Delegation auch nicht unbedingt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit dabei sein.» Und: «Unter diesen Umständen erachtet es der Bundesrat als nicht erforderlich, Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaftsgemeinschaft in jede Schweizer Delegation an internationalen Klimakonferenzen aufzunehmen.»

Die Wissenschaft muss mitreden können

Mit ähnlichem Argument liesse sich vermutlich auch begründen, dass jede andere Vertretung der Zivilgesellschaft eigentlich nicht unbedingt «erforderlich» sei. Was erstaunt, ist, wie bürokratisch und formalistisch Bundesrat und Verwaltung diese Frage verwalten, die für die Schweiz (und der Welt) existenziell wichtig ist. Obwohl man doch froh sein müsste um Experten und Berater, die mithelfen, in Madrid dringend notwendige Klimaschutzmassnahmen durchzusetzen. Klar auch, dass auf der internationalen Bühne die weltweit renommierten Schweizer Klimaforscher ein anderes Gewicht haben als ein unbekannter Funktionär des nationalen Gewerbeverbandes.

Immerhin bleibt ein kleiner Hoffnungsschimmer für die Zukunft bestehen: Vielleicht könnte die «Expertin für Bildungs- und Sensibilisierungsfragen rund um den Klimawandel», die zur offiziellen Schweizer Delegation gehört, den Vertretern der Bundesverwaltung in einem ruhigen Moment in Madrid ein wenig Nachhilfeunterricht erteilen. Die Teilnahme der Wissenschaft wäre immerhin ein Zeichen, dass die Politik dem wissenschaftlichen Expertenwissen etwas mehr Gewicht geben will als bisher. (CR)