Seit einer Woche verhandeln in Madrid mehrere tausend Delegierte aus fast 200 Ländern, wie es in der Klimapolitik weitergehen soll. Vom viel beschworenen Aufbruch ist bislang noch nichts zu spüren: Die Diplomaten feilschen wie eh und eh, fast nur darauf bedacht, etwas für ihr eigenes Land herauszuholen.

Die erfreulichste Nachricht kam nicht aus den Messehallen der Feria de Madrid, wo die Weltklimakonferenz stattfindet, sondern vom Estadio Santiago Bernabéu, der Fussballarena von Real Madrid:  Die Mannschaft spielte am vergangenen Samstag gegen Espanyol Barcelona als Zeichen gegen den Klimawandel nicht in ihrem traditionellen weissen Trikot, sondern in ihren grünen Ausweichtrikots.

Allerdings: Gegen das geschäftige, aber weitgehend unergiebige Geschacher in den Messehallen und Hinterzimmern der Hotels konnten weder die Fussballer noch die Hunderttausenden von Klimademonstranten, die ebenfalls am Samstag in den Strassen Madrids unterwegs waren, etwas ausrichten. Der Aufruf des spanischen Filmstars Javier Bardem an die Politiker, endlich ernsthaft und «auf der Höhe dieses historischen Moments» zu verhandeln, verklang ungehört. Und Greta Thunberg hat (leider) wieder einmal recht: «Wir haben das Bewusstsein für Klimafragen geweckt, aber das reicht noch lange nicht aus», meinte sie an einer Pressekonferenz, «so kann man sagen, dass wir viel, aber dann auch wieder nichts erreicht haben».

Brasilien spielt sich auch

Zu den grössten Ärgernissen neben den Amerikanern gehört vor allem Brasilien, das sich offenbar so grossmäulig aufführt wie sein Präsident Jair Messias Bolsonaro zu Hause. Brasilien sei, so verkündete der brasilianische Umweltminister Ricardo Alles laut der Frankfurter Rundschau noch vor seiner Abreise nach Madrid, ein «Vorbild für die Welt des Umweltschutzes“. Deshalb – und wenn nicht deshalb, dann aus sonst irgendeinem Grund – stehen Brasilien jährlich zumindest zehn Milliarden Dollar aus dem Green Climate Funds zu, der ab kommendem Jahr von den Industrieländern zugunsten der Entwicklungslände mit 100 Milliarden Dollar gespiesen werden soll.

Damit nicht genug: Kassieren will Brasilien auch beim Zertifikatshandel. Und das gleich doppelt. Einmal, indem es (mit Unterstützung von Saudi-Arabien) vehement auf Doppelzählungen für CO2-mindernde Klimaschutzprojekte besteht (wie das funktionieren soll, siehe hier). Zugleich will es alte Zertifikate, die noch aus dem Clean-Development-Mechanismus des Kyoto-Protokoll stammen, in das Pariser Zertifikatssystem hinübernehmen und weiter verkaufen können. Diese sind derzeit nahezu wertlos, da der Markt übersättigt ist; ihr Wert könnte aber bald wieder steigen, wenn die Fluggesellschaften ihre Emissionen kompensieren müssen. Hier wird Brasilien von China und Indien unterstützt, die ebenfalls noch über grosse Mengen dieser Ramschpapiere verfügen.

Ist die EU bloss ein Papiertiger?

Grosse Hoffnungen hatten etliche Delegationen in die neue Präsidentin der EU-Kommissin Ursula von der Leyen gesetzt, die schon zur Eröffnung der Weltklimakonferenz anreiste, um sich für den Entschluss des EU-Parlaments feiern zu lassen, einen «Klima- und Umweltnotstand» für Europa auszurufen. Darin fordern die Parlamentarier die Mitgliedstaaten, die EU-Kommission und «alle globalen Akteure» dazu auf, Massnahmen zu ergreifen, um die Bedrohung des Klimawandels «zu bekämpfen und einzudämmen, bevor es zu spät ist». Alle Gesetzes- und Haushaltsvorschläge sollen von nun an dahingehend überprüft werden, ob sie dazu beitragen, die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Obwohl diese Resolution, die knapp vor dem Beginn des Gipfels angenommen wurde, rechtlich nicht verbindlich ist, versprachen sich viele Delegationen vor allem der Entwicklungsländer von ihr grosse Symbolwirkung; erstmals ruft praktisch ein ganzer Kontinent den Klimanotstand aus. Zugleich versprach Ursula von der Leyen, den Kampf gegen den Klimawandel zu ihrer absoluten Priorität zu machen. «Alle wissen, dass der Kampf gegen den Klimawandel keinen Aufschub mehr erträgt», meinte sie im ZDF, «es ist wichtig, dass wir auf europäischer Ebene zeigen, dass wir vorangehen können. Wir sind im Augenblick Vorbild weltweit.»

Inzwischen ist die Begeisterung über von der Leyen und die EU ziemlich abgeflaut. Es zeigte sich, dass es auch der EU nicht ganz so ernst ist mit dem schnellen Handeln, das keinen Aufschub mehr ertrage: Einen ersten Entwurf zum versprochenen „European Green Deal“ wird die EU-Kommission wohl erst im Oktober kommenden Jahres vorlegen, was vermutlich bedeutet, dass die EU auch am nächsten Weltklimagipfel ihre Klimaziele nicht wesentlich verschärfen wird.

Lässt man einmal mehr die ärmsten Länder hängen?

Wenig Interesse zeigten mehrere Staaten, darunter Russland, die USA und Australien, auch an einem speziellen «Loss & Damage»-Fonds, der den armen Entwicklungsländern bei Klimakatastrophen unmittelbar helfen soll, Verluste und Schäden zu bewältigen. Da solche Entscheide immer nur im Konsens aller Länder gefällt werden können, stehen auch hier die Chancen auf Erfolg schlecht. Zudem bahnt sich in dieser Frage ein Konflikt an zwischen den afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern an. Der ägyptische Botschafter und Wortführer der afrikanischen Ländern, betonte, dass bei den «miteinander konkurrierenden Bedürfnissen» der Kontinente vor allem die unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung berücksichtigt werden müssten, was klar für Afrika und gegen Lateinamerika spreche.

Noch scheint man also in keinem einzigen der vier, fünf wichtigsten Themensträngen grössere Fortschritte erzielt zu haben. Und erst recht ist von Aufbruchstimmung und Entschlossenheit, endlich ernsthaft Gas zu geben,, wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres fordert, in Madrid bisher kaum etwas zu spüren.

«Wir sind noch nicht wirklich vorangekommen in dieser Woche, zitiert das Klimaportal Climate Home News den Delegationsleiter der Republik Kongo, Tosi Mpanu Mpanu, «wir müssen aber dringend vermeiden, unseren Ministern, die jetzt in der zweiten Woche die Verhandlungen übernehmen, einen Teller Spaghetti vorzusetzen, der sie völlig verwirrt, ,,weil alles mit allem zusammenhängt.» Unverständnis könnte aber noch das kleinere Problem sein. Zu befürchten ist, dass die Minister und Regierungschefs gar nicht sonderlich daran interessiert sind, in erster Linie die dringendsten Klimaprobleme zu lösen. Vielmehr schachern und antichambrieren, feilschen und intrigieren sie vor allem, um Vorteile für ihr Land und seine Wirtschaft herauszuholen. Das Notwendige zu tun, überlassen sie dann doch lieber der Greta Thunberg-Generation, die nicht nur die Katastrophe ausbaden muss, sondern sogar noch dafür bezahlen darf. (CR)