Es gibt nichts zu beschönigen: Der Weltklimagipfel, der vor zehn Tagen mit einem eindringlichen Aufruf, es sei «Zeit zum Handeln», begann, ist am Sonntag mit einem totalen Fiasko zu Ende gegangen. Die Regierungen dieser Welt sind nicht gewillt und offensichtlich unfähig, Lösungen für das vielleicht grösste Problem der Menschheit in den kommenden Jahrzehnten zu lösen.

(Ein Nachtrag zum definitiven Ende des Gipfels wurde diesem Text am Sonntagnachmittag am Ende neu hinzugefügt.)

Die Szene ist symptomatisch: Als am vergangenen Mittwoch rund 200 Klimajugendliche das Konferenzmotto «Time for Action is now!» ernster nahmen als die Delegierten, als sie in den Messehallen der Gipfelkonferenz demonstrierten, und ein bisschen Lärm machten, um darauf aufmerksam, dass es nicht darum geht, mit einigen spitzfindigen Formulierungen das Versagen der Politik zu kaschieren, sondern um eine Kernfrage ihrer Zukunft zu lösen, wurden sie aus der Messehalle rausgeschmissen und später sogar von Sicherheitsleuten vom Messegelände vertrieben. (Am Donnerstag liess man sie nach stundenlangen nächtlichen Verhandlungen mit dem UN-Klimasekretariat wieder rein. Immerhin,)

Fridays for Future als Dekoration und Spektakellieferant

Trotzdem: Es ist der Gipfel der Verlogenheit: Die Klimajugendlichen dürfen ein bisschen mitreden, ein bisschen auf den Strassen demonstrieren. Auch in Talkshows sind sie als bunter Tupfer herzlich willkommen; die Mächtigen der Welt reissen sich am Davoser WEF und am New Yorker UN-Gipfel darum, mit Greta Thunberg auf dem Sofa zu sitzen und ein Selfie zu schiessen, man mimt Verständnis, ja Einverständnis («Wir haben den Weckruf verstanden», sagt Angela Merkel). Und sie bekommen, als hübsches Maskottchen, sogar ein Plätzchen in den offiziellen Delegationen.

Aber wehe, wenn sie fordern, dass das ohnehin Notwendige nun endlich getan werde und zwar bevor es zu spät ist, dann will man doch lieber unter sich bleiben, um weiter die üblichen diplomatischen Sandkastenspiele zu spielen. (Später wird man dann Extinction Rebellion, «den Linken» oder den «Hintermännern» von Greta Thunberg die Schuld in die Schuhe schieben, wenn die Jugendlichen die Geduld verlieren und etwas radikalere Töne anschlagen und nicht nur für eine Stunde einen Bankeingang besetzen.)

Diese Geringschätzung gilt leider auch für die Schweiz: Während zahlreiche Länder ihre Umwelt-, Energie- oder Finanzminister nach Madrid schickten, hatte die Schweizer Umweltministerin Simonetta Sommaruga einen wichtigeren Termin in Genf: Sie weihte, ein «Jahrhundertereignis», wie sie sagte, das regionale S-Bahn-Netzchen «Léman Express» ein. Am New Yorker UN-Weltgipfel im September, wo es um nichts anderes ging als eine schöne Rede zu halten, war Sommaruga natürlich mit dabei; nach Madrid, wo es zumindest darum gegangen wäre, mit Minister-Präsenz Engagement und Dringlichkeit zu signalisieren, schickte sie zwei höhere Chefbeamte ihres Departments.

Reden und Diskutieren ohne Ende. Und ohne Erfolg

Eigentlich hätte die 25. Weltklimakonferenz am Freitag um 18 Uhr mit einer gemeinsamen Abschlusserklärung beendet werden sollen. Da entscheidende Punkte aber immer noch offen waren, wurde sie in einem ersten Schritt bis um 21 Uhr und dann in den Samstag verlängert. Die Chance, dass bis dann alle umstrittenen Formulierungen in der Abschlusserklärung bereinigt werden können, waren allerdings klein, obwohl es zum Teil nur noch darum ging, Formulierungen auszutüfteln, die es jedem Land erlauben, etwas völlig Anderes darunter zu verstehen..

Inhaltlich sind die wesentlichen Streitpunkte und alle Argumente dafür und dawider seit spätestens der Vorbereitungskonferenz in Bonn bekannt: Es ging in der Hauptsache um den Zertifikatehandel, also darum, wie die Klimaschutzprojekte, welche die reichen Länder den Entwicklungsländern zur Kompensation ihrer eigenen Emissionen finanzieren, geregelt, berechnet und kontrolliert werden sollen. Es ging darum, ob und wie die reichen Industrieländern den am meisten vom Klimawandel betroffenen Ländern helfen sollen, ihre Schäden und Verluste zu bewältigen. Und es ging darum, ob in der Abschlusserklärung etwas mehr oder weniger Druck auf die Bremser-Länder gemacht werden soll im Hinblick auf die Verschärfung der Klimaziele, wie sie das Pariser Abkommen für das kommende Jahr verbindlich vorschreibt.

Einige Länder blockierten die Verhandlungen bis zum Schluss

Einige Länder, darunter Brasilien, China, Australien und die USA, die im kommenden Jahr aus dem Vertrag aussteigen werden, aber in Madrid immer noch heftig mitmischten, blockierten die Verhandlungen massiv.

Brasilien kämpfte bis zum Schluss unter anderem dafür, dass CO2-Reduktionen von Klimaprojekten nicht nur dem Käufer dieser Kompensations-Zertifikate, sondern auch dem Verkäufer angerechnet werden, also doppelt gezählt werden. Weil eine Einigung kaum möglich erscheint, wird die Klärung dieser Frage auf das nächste Jahr verschoben. Zusammen mit Australien und China kämpft Brasilien auch dafür, dass alte, vom Kyoto-Protokoll herrührende Ramsch-Zertifikate ebenfalls noch verhökert werden dürfen.

China wehrt sich auch gegen «allzu grosse Transparenz» bei der Bewertung der Fortschritte, welche laut dem Pariser Abkommen alle fünf Jahre, also erstmals im kommenden Jahr, durchgeführt werden. Geplant sind zu diesem Zweck präzise Berechnungskriterien und Tabellen, die unterteilt nach den einzelnen Wirtschaftssektoren und Treibhausgasen – Kohlendioxid, Methan oder Lachgas – die Emissionsreduktionen auflisten. China will diese Art von Transparenz nicht bieten und blockierte das gesamte Projekt. Es wird ebenfalls auf spätere Konferenzen vertagt.

Die USA, die in ein paar Wochen aus dem Pariser Abkommen aussteigen, blockierten die Verhandlungen um die Finanzierung von klimabedingten Schäden und Verlusten (Loss & Damage) in den ärmsten Ländern. Sie fürchten, dass sie künftig für Klimaschäden haftbar gemacht werden könnten– eine Debatte, die eigentlich schon seit fünf Jahren im Pariser Klimaabkommen als gelöst galt. «Die  Finanzierung von Loss and Damage ist für uns eine Notwendigkeit», zitiert das Online-Portal Climate Home News Julius Mbatia von der Organisation Christian Aid, «das Geld sollte nicht aus den Töpfen genommen werden, die für die Anpassung an den Klimawandel oder strengere Emissionsziele (gemeint ist der Green Climate Funds) vorgesehen sind.» Und: «Die Empfängerländer müssen damit planen können.» Allerdings sind die USA hier nicht allein, die meisten Industriestaaten lehnen einen von den Entwicklungsländern geforderten «Loss & Damage»-Fonds auch ab, duckten sich aber einigermassen stillschweigend weg und überliessen den USA den Part des gnadenlosen Bösewichts .

Die USA wollen weiter mitreden

Auf einem «technischen» Nebenschauplatz versuchten die USA auch, sich für die Zukunft doch noch einen Einfluss zu sichern. Weil das Pariser Abkommen Teil der Klimarahmenkonvention von 1992 ist, die USA aber nur aus dem Pariser Abkommen aussteigen, plädieren sie jetzt dafür, dass die Verhandlungen innerhalb der Klimarahmenkonvention weitergeführt werden. Sie hätten dann weiterhin die Kontrolle über die Verhandlungen, obwohl sie am aktuellen Klimaabkommen gar nicht mehr beteiligt sind.

Und schliesslich gab es am letzten Tag unter anderem auch heftigen Streit um eine Passage in der Abschlusserklärung. Während die sogenannt «ambitionierten» Länder den Aufruf zur Ambition explizit in die Erklärung hineinschreiben wollten, verweigerten dies die «Bremser»-Staaten: Es soll in der Erklärung lediglich daran «erinnert» werden dass die Länder im kommenden Jahr ihre Ziele verschärfen sollten. Noch den geringsten Druck, endlich die Klimaziele so zu verschärfen, dass das Pariser Abkommen vielleicht doch noch erreicht werden kann, lehnen diese paar Länder ab. Da aber alle wichtigen Entscheide von allen Vertragspartners mitgetragen werden müssen, können sie auch weiterhin alle unliebsamen Entscheidungen blockieren. Oder die «ambitionierteren» Staaten dazu zwingen, Formulierungen zu akzeptieren, die nichtssägende Formelkompromisse sind. Wieder einmal hatte Greta Thunberg recht, als sie in ihrer unverblümten Art meinte: «Ich glaube nicht, dass die wirkliche Gefahr für die Welt in der Untätigkeit liegt, Die wirkliche Gefahr ist, dass Politiker und Firmenchefs so tun, als würde gehandelt, während in Wahrheit so gut wie nichts getan wird, ausser schlauer Buchführung und kreativer PR.» Thunberg erhielt für ihre Rede trotzdem viel Applaus.  (CR)

Nachtrag: Alle wichtigen Entscheidungen wurden aufs nächste Jahr verschoben

Zwei volle Tage über das offizielle Ende des Gipfels hinaus brauchten die Delegierten der Mitgliedsländer, um das Abschlussdokument so zu bereinigen, dass alle Widersprüche zwischen den «ambitionierten Ländern und einigen (allerdings gewichtigen) Bremsern wegradiert waren. Das Fazit: Alle wesentlichen Tagesordnungspunkte wurden auf nächstes Jahr verschoben.

Es gehört zu den etwas skurrilen diplomatischen Gepflogenheiten, dass eine Konferenz nur dann als gescheitert erklärt wird, wenn es nicht gelingt, ein Abschlussdokument zu verabschieden – egal, was darin steht. In Wirklichkeit eine fatale Sache, denn: Ob eine Konferenz gescheitert ist oder nicht, bemisst sich daran, ob und wie die zur Diskussion stehenden Aufgaben und Probleme gelöst wurden. Wird das faktische Scheitern verharmlost oder gar in ein Nicht-Scheitern umgeschrieben, bereitet man bloss das nächste Scheitern vor – weil man dann ja nach bewährtem Muster wieder so verfahren kann.

Nachdem sich bereits am Freitag gezeigt hatte, dass mehrere wichtige inhaltliche Streitpunkte nicht gelöst werden können, ging es in der «Verlängerung» nur noch darum, irgendeine Abschlusserklärung zusammenzustiefeln. aber selbst dafür brauchten die Delegierten noch zwei Tage.

Brasilien betreibt offene Obstruktion

An einem ersten informellen Plenum am Samstagmorgen legte die Verhandlungsleiterin, die chilenische Umweltministerin Carolina Schmidt, einen weiteren Entwurf für eine Abschlusserklärung vor, der aber sogleich von der Mehrheit der Delegationen abgelehnt wurde. Nach weiteren Verhandlungen gab es am Sonntagvormittag ein drittes «Abschlussplenum», bei dem der Streit aber wieder sofort losging. Brasilien forderte die Streichung von zwei Paragrafen aus einem der Abschlussdokumente, was allerdings rund ein Dutzend Länder ablehnte. Immerhin gelang es schliesslich, Brasilien davon abzubringen, wegen dieser beiden Streitpunkte das ganze Dokument abzulehnen.

Die abgewiesenen Anliegen: Die übrigen Länder weigerten sich, Brasilien 10 Milliarden Dollar für irgendwelche noch gar nicht geplanten Klimaschutzprojekte zu genehmigen und alte, vom Kyoto-Protokoll herrührende Zertifikate weiterhin in den Handel zu bringen. Die Entscheidung über das dritte und wichtigste Anliegen, nämlich Kompensations-Projekte für den Zertifikatshandel doppelt anrechnen zu dürfen, wurde einmal mehr auf das nächste Jahr vertagt.

Überhaupt wurde das ganze Regelwerk zum globalen Zertifikatshandel, der  wichtigste Tagesordnungspunkt der ganzen Konferenz auf den Klimagipfel im nächsten Jahr verschoben. Vertagt wurde auch die Verabschiedung des Regelwerks für die transparenten Berichterstattung über die Fortschritte in den einzelnen Ländern, die im kommenden Jahr durchgeführt werden soll und am Widerstand Chinas scheiterte. Wie das deutsche Online-Portal Klimareporter befürchtet, könnten diese Verschiebungen böse Folgen haben: Es «besteht die Gefahr, dass es zwischen den beiden Themen zu einem Kuhhandel kommt. Das könnte bedeuten, dass dabei sowohl schwache Marktregeln als auch schwache Transparentregeln herauskommen».

Wird ein zentraler Mechanismus des Pariser Abkommens ausgehebelt?

Wie oben erwähnt, werden die Länder in der Abschlusserklärung nur noch «erinnert» resp. «ermutigt», ihre neuen verschärften Klimapläne im kommenden Jahr einzureichen. Das bedeutet, meinte Martin Kaiser, Chef von Greenpeace Deutschland, dass «nach zweiwöchigen Verhandlungen die Länder wieder nicht dazu verpflichtet wurden, ehrgeizigere Klimapläne vorzulegen». Denn: Die Länder, die keine Lust haben, sich ermutigen zu lassen, werden sich kaum verpflichtet fühlen, neue verschärfte Klimaziele einzureichen. Eine Liste, welche die chilenischen Verhandlungsführung herumreichte, zeigt, dass sich bisher nur rund 80 Länder explizit dazu bereit erklärten, im kommenden Jahr die Ziele zu verschärfen. Ob das bedeutet, dass der Rest der Länder es in Betracht zieht, die Vorgaben des Pariser Abkommens nicht einzuhalten, ist unklar. Damit würde aber der zentrale Mechanismus des Pariser Klimaabkommens hinfällig.

Und schiesslich: Vertagt auf das nächste Jahr wurde auch die Diskussion um einen «Loss & Damage»-Fonds. Die USA, welche sich zu nichts verpflichten lassen wollen, schlagen vor, dass dieser Fonds, falls er denn zustande kommen sollte, lediglich auf der Ebene des Pariser Abkommens und nicht auf derjenigen der Klimarahmenkonvention angesiedelt wird, weil sie sich dann um jede Mitverantwortung drücken könnten. (CR)