Kaum eine andere Branche beherrscht die Kunst, gleichzeitig zu bluffen und zu jammern, so virtuos wie das Autogewerbe. In den Medien und in der Politik haben die Autoimporteure dabei willige Helfer. Obwohl «die Welt brennt», so Simonetta Sommaruga vor einigen Tagen am WEF, sollen sie auch weiterhin geschont werden.
Seit dem 1. Januar gelten für neue Personenwagen strengere Abgas-Grenzwerte: Statt wie bisher 130 Gramm dürfen sie – gleich wie in der EU – nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstossen. So steht es jedenfalls in einer vom Bundesrat erlassenen CO2-Emissionsvorschrift. In Wirklichkeit aber lag der Durchschnitt im vergangenen Jahr bei rund 140 g/km, und es ist anzunehmen, dass es in diesem Jahr nicht sehr viel anders kommt.
Denn erreichen liesse sich diese Vorgabe nur, wenn die verkauften Neuwagen deutlich weniger leistungsstark und leichter wären. Tatsächlich aber ist das Gegenteil der Fall: In keinem anderen europäischen Land werden ohne Grund so viele SUV und 4×4-Geländewagen gekauft wie in der Schweiz, inzwischen ist fast jeder zweite Neuwagen ein übergewichtiger und übermotorisierter SUV. Das durchschnittliche Gewicht ist seit 1990 um 40 Prozent gestiegen, es liegt derzeit bei 1,6 Tonnen, was den Effekt immer effizienterer Motoren wieder aufhebt. Die Folge: Nach einigen Jahren rückläufiger Emissionen steigt der CO2-Ausstoss seit drei Jahren wieder deutlich an; allein 2018 um 2,8 Prozent.
Wie die Autohändler Strafzahlungen umgehen
Überschreiten die CO2-Emissionen aller verkauften Neuwagen eines Importeurs im Durchschnitt den erlaubten Grenzwert, werden Strafzahlungen fällig. Natürlich gibt es wie überall, wo einflussreiche Lobbyisten am Werk sind, eine ganze Reihe von Ausnahmen, Hintertürchen und Schlupflöcher – so werden kurioserweise die 15 Prozent ärgsten Dreckschleudern und einige besonders dicke Luxuskarossen gar nicht mitgezählt, dafür zählt jedes emissionsarme E-Mobil gleich doppelt. (Weitere Tricks liest man hier.)
Und es gibt sehr grosszügige Übergangsfristen, für die es ebenfalls keinen rationalen Grund gibt. Denn die Regelung betrifft ja nicht bereits zugelassene Gebrauchswagen, sondern nur Neuwagen; eine sofortige Inkraftsetzung der Verordnung ohne Ausnahmen würde nur bedeuten, dass es ab sofort nicht mehr erlaubt ist, unerlaubte Neuwagen zu verkaufen oder zu kaufen; jeder Autokäufer könnte aber weiterhin unter Hunderten von Fahrzeugen wählen. Wer bei dieser breiten Auswahl keinen passenden Wagen findet, dem ist nicht mehr zu helfen. Es kann aber nicht die Aufgabe des Bundesrates sein, auf die psychischen Probleme der Autofahrerinnen und Autofahrer Rücksicht zu nehmen.
Die strengeren Grenzwerte werden dafür sorgen, dass die Importeure, welche aus freien Stücken ihren Kunden Dreckschleudern anbieten, halt höhere Strafen zahlen müssen. Derzeit sind es insgesamt rund 31 Millionen Franken, bei jährlich über 300’000 Neuzulassungen eine Summe pro Fahrzeug, die den Importeuren kaum Kopfweh bereiten dürfte. Trotzdem haben einige Autohändler wie Amag oder Mercedes-Benz noch schnell vor dem Neujahr in grossem Stil Autos mit hohen CO2-Emissionen in Verkehr gebracht, um grössere Strafzahlungen zu umgehen; allein im Dezember stieg der Verkauf solcher Wagen um über 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Jetzt verkaufen die Autohändler diese Wagen «ab Lager» als «Crazy Deals» mit Sonderrabatten an PS-verliebte Kunden.
Geworben wird immer noch für die schlimmsten Dreckschleudern
Wie eine Recherche der Konsumentenzeitschrift Ktipp zeigt, stellen die Garagisten in ihren Showräumen immer noch vorwiegend schmutzige Wagen aus. So waren etwa von 219 ausgestellten Autos in 27 Berner Garagen 100 mit der schlechtesten Energieetikette G versehen. Nur gerade 13 Fahrzeuge – 6 elektrische und 7 mit Verbrennungsmotor – hatten die beste Energieetikette A. Und: Eine weitere Recherche von Ktipp bei zehn Garagen ergab, dass alle Verkäufer versuchten, die interessierten Kunden «von einem kräftigeren Motor zu überzeugen.»
Zugleich versuchen die Garagisten, den Anteil von Elektro-Autos und Plug-In-Hybriden zu erhöhen. Ob das dem seit kurzem offensiv propagierten grünen Gewissen der Autobranche zu verdanken ist, kann man glauben oder auch nicht. Auf jeden Fall senken E-Mobile den so genannten Flottendurchschnitt; die Importeure können so mehr lukrativere SUV und Allrad-Autos verkaufen, ohne höhere Strafen bezahlen zu müssen. Um die Zahl der immer noch eher unbeliebten Elektroautos zu pushen, greifen sie zu einem eher faulen Trick: Sie bieten ihren Kunden für einige Monate E-Mobile an als Mietautos zum Probefahren, danach verkaufen sie ihnen dann meistens doch einen grossen Benziner, der ihnen eine höhere Marge bringt.
Auf zehn Prozent soll der Anteil von am Netz aufladbaren Autos bis Ende des Jahres kommen, verspricht Auto-Schweiz-Chef Andreas Burgener; derzeit sind es erst 5,6 Prozent. Formuliert man den gleichen Tatbestand etwa anders, klingt die frohe Botschaft weniger spektakulär: Auch dieses Jahres sollen sich 9 von 10 Autokäufern für ein Benzin- oder Dieselauto entscheiden. Bei einem Gesamtbestand von über 3 Millionen PKW macht eine Verschiebung von 30’000 Fahrzeugen in Richtung Elektroauto gerade ein einziges Prozent aus.
Wie ernst es den Autoverkäufern mit der grünen Wende ist, belegt eine ebenfalls von Ktipp publizierte Analyse von Autoinseraten. «Die Importeure werben ungeniert für ihre schmutzigsten Autos», schreibt Ktipp-Redaktor Marco Diener. «41 Prozent der beworbenen Autos trugen die Energieetikette F, weitere 27 Prozent sogar die Energieetikette G. Zusammen also 68 Prozent.» Und: Von den neun Autos, welche die Automobil-Revue zwischen Mitte Oktober und Mitte November testete, waren sieben Dreckschleudern mit der schlechtesten Energieetikette G. Die zwei restlichen Fahrberichte betrafen einen Aston Martin für 185 000 Franken und einen Bentley für 240 000 Franken, beides auch nicht gerade Energiespar-Modelle.
Nur ein ganz klein bisschen Bestechung
Dass es auch auf den Autoseiten der Printmedien von emissionsintensiven Fahrzeugen wimmelt, ist natürlich kein Zufall, denn für ein E-Mobil, das keine hohe Marge bringt, lohnt es sich kaum, die grosse Werbetrommel zu rühren. Deshalb laden die Autoverkäufer die Auto-Journalisten eher zu Testfahrten mit Modellen ein, die höhere Margen versprechen. Dabei nützt ihnen das fast symbiotische Verhältnis zu den Journalisten: Wer ein Fahrzeug, das sich auch in der Schweiz testen liesse, in Portugal oder Chile im luxuriösen Ferien-Resort testen darf, wird sich hüten, die spendablen Autofirmen zu ärgern. Umgekehrt wissen die Autoimporteure, dass die gehätschelten Journalisten keine kritischen Fragen stellen, sondern brav über das schnittige Heck, das wunderbare Fahrgefühl und den unglaublichen Fahrspass berichten, und die lächerliche Protzerei mit Höchstgeschwindigkeiten und rasanten Startsprints auf die Zehntelsekunde mitmachen.
In den Tamedia-Blättern ist die Beziehung so eng, dass man sie nicht gern an die grosse Glocke hängt. Dass die Autoseiten nicht von Tages-Anzeiger-Redaktoren produziert werden, sondern von Textern der Zürcher PR-Firma Textlab GmbH, kann man nur einmal pro Woche gut versteckt im Kleingedruckten des Impressums lesen. Wer die intransparente Vermischung von Journalismus und Werbung für fragwürdig hält und sich beim Ombudsmann des Tages-Anzeigers erkundigt, erhält eine gequälte , gewundene Antwort, an der nur zwei Dinge klar sind: Man weiss, dass dies den Regeln des Presserats widerspricht und hält trotzdem daran fest. Der Inseratenakquisition und dem obersten Konzernboss Pietro Supino, der gern an offiziellen Anlässen über guten Journalismus und die Unabhängigkeit der Presse philosophiert, wird’s recht sein. Was Dennis Bühler, Mitglied des Presserats, davon hält, konnte man vor einer Weile in der WoZ lesen: «In den meisten anderen Zeitungsressorts wären solch unkritische Lobeshymnen an der Grenze zur Schleichwerbung undenkbar.» (CR)