Dass die Corona-Pandemie die Klimapolitik derzeit völlig aus der öffentlichen Diskussion verdrängt hat, ist verständlich und hat seine guten Gründe: Die Welt steht vermutlich vor einer der grössten Katastrophen der jüngere Geschichte. Es ist aber trotzdem nicht verboten, sich weiterhin Gedanken zu machen, wie es mit der Klimapolitik weitergehen soll. Denn auch die Klimaerhitzung stellt die Menschheit, wenn nicht jetzt gerade, vor Probleme einer noch grösseren Dimension.

«Krise als Chance für die Klimawende» heisst der Titel eines Artikels von Martin Läubli und Stefan Häne in den Tamedia-Zeitungen, der vermutlich nicht so zynisch gemeint ist, wie er klingt. Wer sich freut, dass dank der weltweiten Pandemie weniger geflogen, weniger Auto gefahren wird und das Wirtschaftswachstum rückläufig ist, freut sich gleichsam auf Kosten der vielen tausend Corona-Opfer. Und könnte sich erst noch irren, denn die vielen Milliarden und Billionen, die derzeit in die Wirtschaft gepumpt werden, werden die Wirtschaft zünftig ankurbeln, kaum dass das Schlimmste vorüber ist.

Nicht nur die Airlines, die Autoverkäufer und die Touristikbranche werden alles daran setzen, dass die Fiesta bald wieder weitergeht wie bisher. Auch die übrigen Branchen werden ihre Produktion wieder hochfahren und mit Spottpreisen dafür sorgen, dass auch das Verpasste noch nachgeholt wird. Der grosse und die kleinen Trumps in aller Welt stehen längst in den Startlöchern und warten ungeduldig, bis sie wieder mit Volldampf loslegen können. Während der grosse Trump schon ab Ostern wieder Party machen will, fordern die Schweizer Trumps beim Arbeitgeber- und Gewerbeverband, bei economiesuisse und den Industrieverbänden Swissmem und Swissmechanic, kräftig unterstützt von den üblichen medialen und professoralen Influencern der NZZ und der Tamedia, dass spätestens ab dem 19. April das grosse Geldverdienen wieder losgehen muss. Wo sie noch vor wenigen Monaten vor dem gefährlichen Alarmismus der Klimajugend gewarnt haben, läuten sie jetzt selber die Alarmglocken: Wenn die Wirtschaft nicht bald wieder voll loslegen darf, gehe die Welt unter. Und keine Regierung, kein Parlament wird es wagen, sich diesen Drohungen zu widersetzen.

Gewiss, Träumen ist erlaubt

Ein bisschen seltsam muten vor diesem Hintergrund die Ideen der Schweizer Solarindustrie und einiger Grünen an. Es herrsche Aufbruchstimmung in der Solarbranche, meint David Stickelberger, der Geschäftsführer vom Swissolar, im TagesAnzeiger. Ein «allfälliges Konjunkturprogramm» dürfe nicht so ausgestaltet werden, dass «veraltete Strukturen zementiert werden, sondern muss zukunftsfähige, ökologische Strukturen fördern.» Bloss redet derzeit niemand von einem «allfälligen Konjunkturprogramm»; die 42 Milliarden, die der Bund bereitstellen will, sind ein Notprogramm, mit dem Unternehmen unterstützt und gerettet werden sollen, völlig unabhängig von ihrer Zukunftsfähigkeit oder ihrer ökologischen Ausrichtung. Zu steuern gibt es da nichts, die Auszahlung erfolgt auf Antrag der Unternehmen und ohne gründliche Abklärung. Ob nach dieser riesigen Rettungsaktion noch Geld für ein «allfälliges Konjunkturprogramm» übrig ist, darf bezweifelt werden.

Trotz alledem: Auch in der Grünen Partei, schreiben Häne und Läubli, kursieren bereits Ideen, wie nach der Krise der Klimaschutz forciert und der Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt werden sollen. Sie wollen dazu ein langfristiges «Ar­beitsplatz-Neustart-Programm» vorbereiten, was immer das heissen mag. «Dieses soll nicht Strukturerhaltung zum Ziel haben.» Vielmehr erhoffe sich die Partei einen «Schub für die nachhaltige Wirtschaft der Zukunft».

Gewiss, träumen ist immer erlaubt. Dennoch wirkt es seltsam, dass eine Partei, die vor den Wahlen noch mächtig auf den Putz gehauen hat, dann kleinlaut und mutlos einem unbrauchbaren CO2-Gesetz zustimmen will, jetzt, wo es wieder nur um Worte geht, die Backen dicke aufbläst.

Es fehlt der Mut, das Notwendige zu tun

Was ansteht, ist das CO2-Gesetz und um dieses steht es schlecht. Hier bräuchte es den Mut, der die Grünen – und übrigens auch die Sozialdemokraten – oft dann verlässt, wenn es gälte, den grossen Worten auch grosse Taten folgen zu lassen.

Die Fakten sind schnell aufgezählt: Die Schweiz hat sich nicht nur verpflichtet, ihre Treibhausgase bis 2050 auf Netto Null zu reduzieren. Im kommenden Herbst will sie sich am Klimagipfel von Glasgow auch auf ein Zwischenziel bis 2030 verpflichten. Mit dem vorliegenden Entwurf des CO2-Gesetzes, das nach den jetzigen Verschiebungen voraussichtlich erst Mitte oder Ende 2022 in Kraft treten könnte, lässt sich dieses Zwischenziel nicht erreichen; darüber sind sich Wissenschafter, Experten, der Bundesrat und fast alle Parteien einig. Es muss also nachgebessert werden. Das entsprechende parlamentarische Prozedere dauert voraussichtlich bis 2027. Die Schweiz hätte dann gerade noch knappe drei Jahre Zeit, um die schwierige Kurve zu kriegen und zudem das inzwischen Versäumte nachzuholen – eine Parforce-Tour, welche der Bevölkerung viel mehr abverlangt, als die Parteien ihr derzeit zumuten wollen.

Momentan zeigt «das Volk», dass es sehr viel reifer ist, als die Parteistrategen behaupten

Die Parteien, von Rotgrün bis zur FDP haben sich auf die Sprachregelung geeinigt, dass man «das Volk» nicht überfordern dürfe, ein schärferes Gesetz also derzeit beim «Volk» gar keine Chancen habe. Auf die naheliegende Frage, woher sie dies denn so genau wüssten, bekommt man ebenso wenig eine überzeugende Antwort wie auf die Frage, warum denn, falls diese These überhaupt stimmt, das offenbar leicht debile Volk in ein paar Jahren ein sehr viel einschneidenderes Gesetz plötzlich annehmen soll.

Die Debatte um die Corona-Pandemie zeigt aber gegen alle vagen Mutmassungen und bösen Verdächtigungen, dass «das Volks» durchaus in der Lage und bereit ist, auch harte Massnahmen und einschneidende Verbote zu akzeptieren, wenn Wissenschaft, Bundesrat, Parteien und Medien gemeinsam am selben Strick ziehen, wenn sie gemeinsam klar, überzeugend und souverän die Notwendigkeit und Dringlichkeit von bestimmten Massnahmen erklären.

Warum also sollen nicht alle Parteien, für die das Pariser Klimaziel nicht bloss ein belangloses Nice-to-have ist, gemeinsam versuchen, den missglückten Entwurf des CO2-Gesetzes soweit zu verbessern, dass sich zumindest das Zwischenziel für 2030 ohne Nachbesserung im ersten Anlauf erreichen lässt? Dann wäre die Corona-Krise tatsächlich eine Chance für die Klimawende gewesen. (CR)