Als es diese Woche in der Sondersession um die Rettung der Swiss, der Edelweiss und einiger flugnaher Unternehmen ging, sprach sich der Bundesrat einmal mehr gegen alle rotgrüne Klimaforderungen aus. Die bürgerliche Ratsmehrheit war glücklich und lehnte alle Forderungen der SP und Grünen ab, die Rettung der Swiss mit Klimaauflagen zu verbinden.

Sie habe allergrösstes Verständnis für die diversen klimapolitischen Forderungen, sagte Simonetta Sommaruga in der Nationalratsdebatte am Dienstag, und dass die Luftfahrt auch einen Beitrag für den Klimaschutz leisten müsse, sei unbestritten. Es sei jetzt aber der falsche Zeitpunkt, diese Forderungen einzubringen. Diese könnten die Politiker ja bei der Diskussion um das CO2-Gesetz einbringen.

Dass es immer der falsche Zeitpunkt ist, wirksame Klimaschutzmassnahmen zu beschliessen und dann sogar noch umzusetzen, wissen wir seit 30 Jahren. Und man braucht kein Hellseher zu sein, um zu ahnen, dass es im kommenden Juni, wenn es im Nationalrat um das CO2-Gesetz geht, auch nicht der richtige Zeitpunkt ist. Man könne ja, heisst dann die faule Ausrede, auf die sich fast alle Parteien, leider auch die Grünen und die SP, geeinigt haben, das Gesetz irgendwann verschärfen. Dass es aber auch dann wieder nicht der richtige Zeitpunkt sein wird, ist voraussehbar. Und natürlich ist es, so der Bundesrat im März, auch für die Gletscherinitiative der falsche Zeitpunkt . Kurzum: Es ist immer der falsche Zeitpunkt.

Gerettet wird ohne jede Klimaauflage

So hat denn auch die bürgerliche Ratsmehrheit alle Vorschläge der Grünen und der SP, die Rettung von Swiss und Edelweiss von einigen wenigen klimapolitischen Bedingungen abhängig zu machen, deutlich abgelehnt. Dabei hatten die Grünen bloss völlig Selbstverständliches gefordert. So etwa, dass die Rettungsgelder nur freigegeben werden, wenn sich die Flugunternehmen verpflichten, bei der Flottenerneuerung klimafreundlichere und leisere Flugzeuge anzuschaffen, eine internationale Kerosinsteuer zu unterstützen, sich an der Entwicklung synthetischer Flugtreibstoffe zu beteiligen und die Inlandflüge zu reduzieren.

Als wohlfeiles Trostpflästerchen versicherte die Umweltministerin ihren grünen und SP-Kollegen, dass der Bundesrat an seinen Klimazielen festhalte. Man fragt sich: Ja was denn sonst? Und Bundesrat Ueli Mauer meinte in der Debatte gar, die Swiss und die Lufthansa seien bereit, in einer sogenannten Standortvereinbarung die Klimaziele des Bundesrates zu akzeptieren. Als er laut NZZ darauf hingewiesen wurde, dass die Schweiz gar keine verbindlichen Klimaziele habe, meinte er, ja, diese müssten halt erst noch ausgearbeitet werden. Es wäre allerdings höchst verwunderlich und wohl einmalig in ihren Firmengeschichten, wenn Unternehmen wie die Swiss und Lufthansa aufs Geratewohl irgendwelche Bedingungen akzeptieren würden, die es noch gar nicht gibt.

Fadenscheinige Argumente

Für die strikte Ablehnung aller grün-roten Forderungen hat sich die rechte und bürgerliche Mehrheit wenig Überzeugendes einfallen lassen: In einer Situation, so ihr fadenscheiniges Argument, wo die Fluggesellschaften ums Überleben ringen, dürfe man ihnen keine Auflagen machen, welche ihr Überleben gefährden könnten. Dass ihre grösste – und langfristig wohl einzige – Überlebenschance allerdings genau darin besteht, die ohnehin unausweichliche massive Redimensionierung der ganzen Luftfahrtindustrie anzupacken, wissen die Fluglobbyisten natürlich selber auch. Denn niemand hat bis jetzt auch nur die geringste Ahnung, wie die Fluggesellschaften auf andere Weise ihre Treibhausgase zuerst auf die Hälfte und dann bis 2050 auf Null reduzieren könnten. Und das von Nationalrat Christian Wasserfallen (FDP) und seinen Wirtschaftsfreunden immer wieder propagierte Corsia-System taugt allenfalls dazu, die Treibhausgase auf sehr hohem Niveau zu stabilisieren, aber nicht, sie zu senken.

Noch skurriler ist das Klagelied von Fluglobbyisten etwa um den umtriebigen Bündner Nationalrat Martin Candinas (CVP), Präsident der Swiss Helicopter Association: Es sei unfair, «die Corona-Krise als Vorwand zu missbrauchen, um nun das CO2-Gesetz zu verwässern». Inwiefern das CO2-Gesetz «verwässert» würde durch Klimaauflagen, wird Candinas wohl selber nicht so richtig erklären können. Und man fragte sich, warum es fairer ist, wenn die Fluglobby dasselbe macht, nur mit umgekehrtem Ziel, wenn sie die Corona-Krise zum Vorwand nimmt, die Flugticketabgabe und andere Klimaschutzmassnahmen im CO2-Gesetz zu bekämpfen.

«Das Klima muss warten, und das ist richtig so»

Ebenso seltsame Argumentations-Kapriolen leisteten sich in den vergangenen Tagen auch die Tamedia-Zeitungen. Vor einem Monat noch, am 9. April, schrieb die Wirtschaftsredaktorin und Aviatikexpertin Laura Frommberg zum Entscheid des Bundesrates, die Swiss und Edelweiss zu retten: «Einen wichtigen Aspekt liess der Bundesrat aber ausser Acht – das Klima. Auch da hätte er die Chance gehabt, ein Zeichen zu setzen. Die Luftfahrt ist nun mal eine klimaschädliche Branche. Die Schweiz hat sich den Zielen des Pariser Abkommens verpflichtet. Dieses hätte eine gute Grundlage geboten, aus der man Bedingungen für Staatshilfen hätte ableiten können – zudem hätte der Bundesrat so auch weit über die Corona-Krise hinaus etwas für die nachhaltige Entwicklung der Luftfahrt getan.»

Während der Sondersession aber klang es dann plötzlich ganz schön anders: «Das Klima muss warten, und das ist richtig so», textete der Wirtschaft-Redaktor Konrad Stähelin, und führte vor allem staatspolitische Gründe ins Feld. Tatsächlich aber zeigte er damit nur, dass er offensichtlich schneller schreiben als denken kann. Denn bekanntlich wartet das Klima ebenso wenig wie ein Erdbeben oder ein Tsunami, bis es Konrad Stähelin und den Wirtschaft-Hardlinern in den Kram passt. Das könnte aber fatal werden, denn: Wenn «die Welt brennt», wie es in den Festreden von Simonetta Sommaruga jeweils heisst, dann hat man keine Zeit mehr, um zu diskutieren, ob die Feuerwehr heute oder erst in einer Woche ausrücken soll. Ob sie diesen oder jenen demokratiepolitischen Weg nehmen soll, denn faktisch sind beide möglich. Und ob es vielleicht nicht doch reiche, vorerst bloss einen kleinen Handfeuerlöscher mitzunehmen, weil man sonst die Leute erschrecken könnte. Notfalls könne man ja später immer noch einen wirksamen Löschzug losschicken.

Warten bis es zu spät ist

Letztlich, das zeigte diese Sondersession wieder einmal eindrücklich, geht es den versammelten Wirtschaftslobbyisten gar nicht darum, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen und die klimapolitischen Traktanden in die richtigen parlamentarischen Schubladen zu sortieren – es geht ihnen schlicht und einzig darum, mit jedem Mittel, jeder Ausrede und jedem dürftigen Argument zu verhindern, dass überhaupt etwas geschieht. Die Frage aber ist, wie lange sich die SP und die Grünen noch an der Nase durch die Arena ziehen lassen, wie lange sie die Schattenspiele zwar mit Zähneknirschen, aber mutlos und bis zur Selbstverleugnung kompromissbereit, noch mitmachen wollen. Die Klimajugendlichen – nebenbei: ihre zukünftige potenzielle Wählerschaft -, werden ihnen, kaum dass sie wieder auf die Strasse können, ihre Verzagtheit, ihre Angst vor dem Volk, nicht verzeihen. Dann aber haben sie definitiv den richtigen Zeitpunkt verpasst, eine wirkungsvolle Klimapolitik mitzugestalten. Denn das Klima wartet weder auf die Erlaubnis der Klimaschutzgegner noch darauf, bis die SP und die Grünen den Willen und den Mut aufbringen, endlich zu sagen: So, jetzt reicht’s! (CR)

Kleiner Nachtrag

«Kein Platz für Klimapolitik» heisst der Titel eines ausführlichen Berichts von Sarah Schmalz und Renato Beck in der neuesten Ausgabe der WoZ (Nr. 19 / 7. Mai 2020) über den gescheiterten Versuch der Grünen, die Rettungsgelder für die Swiss und Edelweiss mit Klimaauflagen zu verbinden. Das Ärgerliche an der Sache, so zitiert die WoZ die Grüne Nationalrätin Marionna Schlatter, das ohnmächtige Gefühl, dass nie der richtige Ort und die richtige Zeit für Klimapolitik sei.