Es gehört nicht erst seit Donald Trump zu den billigeren Tricks von Demagogen, eine völlig unrealistische, abstruse Drohsituation zu erfinden und dann zu beweisen, dass dies eine hochgefährliche Sache sei, die es unbedingt zu bekämpfen gelte. Auch Tages-Anzeiger-Redaktoren arbeiten hin und wieder mit solchen faulen Tricks, etwa wenn es gilt, wieder einmal die Klimastreikbewegung in die Pfanne zu hauen.

Edgar Schuler, zu allem Unglück sogar der Leiter des Ressorts Meinungen, ein Journalist, der des öfteren zu diesem Trick greift, um zu zeigen, dass er ein mutiger Meinungskämpfer im Dienste der vereinigten Stammtische ist, hat am Samstag (23. Mai) wieder einmal zugeschlagen.

«Unter Klimaaktivisten gilt es als ausgemacht», beginnt er seinen Kommentar, «dass wir das Wirtschaftswachstum stoppen müssen, um den Planeten zu retten.» Das ist zwar schon falsch, weil diese These unter den Klimaaktivisten nicht ”als ausgemacht gilt», sondern in der Klimabewegung heftig und sehr kontrovers diskutiert wird.

Es gäbe aber, selbst wenn die Klimajugend geschlossen dieser Meinung wäre, durchaus einleuchtende Gründe, über die Notwendigkeit eines «Systemwechsels» zu diskutieren. Das kann selbst Schuler nicht ganz ignorieren, was er mit dem lustigen Satz kommentiert, dass die «anrollende Wirtschaftskrise» auf den ersten Blick Greta Thunberg stütze. Zwar bleibt unklar, wie eine anrollende Welle eine 17jährige junge Frau stützen kann, aber das sind zugegeben journalistische Nuancen.

Horrorszenarien und eine neue Mathematik

Dann aber wird Schuler richtig fundamental: «Der gegenwärtige Stillstand der Wirtschaft gegenüber dem Vorjahr wird zu einem Rückgang des Treibhausgas-Ausstosses um 5 bis 6 Prozent führen», schreibt er. Wo lebt der Herr? Jeder Blick aus dem Fenster, jeder Gang zur nächsten Migros, jedes Klingeln eines DHL-Auslieferers an der Haustüre, müsste einem die beruhigende Gewissheit geben, dass die Wirtschaft auch in den vergangenen Monaten zwar rückläufig ist, aber noch keine Sekunde stillstand.

Und weil selbst dieser Stillstands-Popanz vielleicht nicht bei allen Leserinnen und Lesern den gewünschten Gruseleffekt auslöst, präsentiert der selbsternannte Untergangsprophet zwei Beispiele einer völlig neuen, logikfreien Schuler’schen Mathematik: Selbst wenn man annehme, rechnet er uns vor, die oben genannte Reduktion von Treibhausgasen um fünf bis sechs Prozent halte während der nächsten zehn Jahre an, würde das knapp reichen, um auf das Klimaziel der UNO von maximal 1,5 Grad Erderwärmung zu kommen. Das wäret ja eigentlich ganz toll, denn das ist in der Tat genau das Ziel, zu dem sich die Schweiz laut dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet hat. Schulers Rechnung sagt aber nichts aus über die entsprechende Wirtschaftsentwicklung, denn selbst wenn diese Milchbüchlirechnung richtig wäre – etwas richtiger wäre immerhin, die Reduktion als Exponentialkurve zu rechnen -, dann könnte eine entsprechende Zunahme von erneuerbaren Energien sogar zu einem Wirtschaftswachstum führen. Wo, fragt man, bleibt da der grosse Schrecken, den Schuler mit seiner Attacke gegen die Klimajugend auslösen möchte? 

Wollen die Klimaaktivisten alle drei Jahre eine Pandemie?

So doppelt Schuler noch einmal nach: «Einfacher zu erreichen», meint unser Mathematiker, «ist das weniger ambitiöse UNO-Ziel: maximal 2 Grad. Dazu braucht es eine Pandemie alle zwei Jahre bis 2030. Eine fürchterliche Vorstellung.» Noch fürchterlicher ist allerdings die Vorstellung, dass es Leserinnen und Leser geben könnte, die diesen Schuler’schen Unsinn glauben, diese chaotische Mixtur, welche Corona-, Wirtschaft- und Klima-Krise unentwirrbar vermischt, durcheinanderbringt und miteinander verwechselt.

Schuler weist auf eine OECD-Studie hin. Dass die OECD, ein neoliberaler Wirtschaftsverband der reichen Industrieländer zur Förderung von Wirtschaftswachstum und Globalisierung, nicht für einen Systemwechsel plädiert, leuchtet irgendwie ein. Eine ganze Reihe prominenter Ökonomen sind da aber dezidiert und mit guten Gründen anderer Meinung, und das nicht erst seit Greta Thunberg, sondern seit bald 50 Jahren. Über diese Meinungsverschiedenheiten kann und muss man diskutieren. Mit Argumenten, aber doch nicht mit wirren Thesen und der demagogischen Behauptung, ein «Systemwechsel», wie ihn ein Teil der Klimaaktivisten fordere, führe zu einem zehnjährigen Wirtschaftsstillstand, zu Pandemien alle zwei Jahre oder «katapultiere uns ins vorindustrielle Zeitalter zurück».

Also bitte: Zwei Meter Abstand halten, Masken tragen beim Lesen und danach Hände waschen. (CR)