Die Schlacht um das CO2-Gesetz ist vorläufig geschlagen, das Volk wird voraussichtlich im Herbst kommenden Jahres darüber entscheiden. Gesiegt hat, behaupten die Politiker von FDP bis Grün und Rot sowie die meisten Kommentatoren in den Medien, der «gutschweizerische» Kompromiss. Leider ein Missverständnis.

Der «gutschweizerische Kompromiss» ist gleichsam das Alkaselzer der Schweizer Politik. Wer eine Niederlage einsteckt, kann wenigstens die Hälfte davon in einen halben Sieg umlügen. Wer seiner Klientele vor den Wahlen und in den Sonntagsreden das Blaue vom Himmel versprochen hat, und wenn es ernst wird, nicht mehr dazu stehen will, der hat selbstverständlich nur nachgegeben, um einen gutschweizerischen Kompromiss zu ermöglichen. Mit dem gutschweizerischen Kompromiss rechtfertigen Politiker, wenn sie heute das Gegenteil von dem sagen, was sie gestern behauptet haben. Oder sie geben, wie die Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, den einen völlig recht, etwa der Klimajugend oder den Klimawissenschaftern, setzen sie aber zugleich im Namen des gutschweizerischen Kompromisses ins Unrecht, indem sie das Gegenteil von dem tun, was sie eben gerade noch für richtig befunden haben. Der gutschweizerische Kompromiss ist der Zwillingsbruder des «realistisch Möglichen».

Der gutschweizerische Kompromiss führt, zugegeben, in vielen Fällen zu durchaus akzeptablen Lösungen. Wenn ein Initiativkomitee statt keinem einen Vaterschaftsurlaub von 20 Tagen fordert, das Parlament als Gegenvorschlag zehn Tage vorschlägt, dann kann das ein brauchbarer Kompromiss sein. Erstens weil die Welt nicht untergeht, wenn es nicht 20 Tage sind. Und zweitens, weil man den Entscheid jederzeit ändern kann, ohne dass man dafür rückwirkend gleichsam eine «Strafzahlung» leisten muss.

Das Klima akzeptiert keinen Kompromiss

Beim CO2-Gesetz aber verhält es sich völlig anders. Hier geht es nämlich letztlich nicht um einen Konflikt zwischen zwei Interessengruppen, den «Klimaschutz-Stürmern» oder «Idealisten» einerseits, und den «Klimaschutz-Bremsern» oder «Realisten» andererseits. Sondern es geht um einen Konflikt zwischen dem, was getan werden muss, um eine Klimakatastrophe zu vermeiden, oder etwas bescheidener, um das 1.5- oder 2-Grad-Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen, und dem, was wir bereit sind zu tun, nämlich möglichst wenig.

Der gutschweizerische Kompromiss lebt davon, dass beide Parteien den Kompromiss akzeptieren, weil sie damit leben können. Aber genau das – und das ist der grundlegende Unterschied – geht mit dem Klima nicht, wenn man für einmal diese Personalisierung zulassen will. Mit dem Klima kann man keine Kompromisse aushandeln. Selbst wenn die Schweizer Bevölkerung dem CO2-Gesetz mit grosser Mehrheit zustimmt, also einen «realistisch möglichen», also gutschweizerischen Kompromiss eingehen würde, – dem Klima wäre das völlig egal. Es spielt bei diesem Spiel einfach nicht mit. Und es bleibt, auch das ist grundlegend anders, – es bleibt immer der Sieger. Weder wird es bereit sein, sich weniger zu erwärmen, bloss weil viele Schweizer unbedingt einen SUV brauchen, noch wird es die Bitte erhören, sich mit Extremwettern doch bitte etwas zurückzuhalten. Oder wenigstens so lange zu warten, bis irgendwann alternative Treibstoffe vorhanden sind und alle Rechtshändel um ungeliebte Windmühlen etc. erledigt sind. Kurz: Wo immer wir mit vermeintlichen Kompromissen gegen die Physik, gegen die Naturgesetze antreten, sitzen wir immer und unweigerlich auf der Verliererbank.

Ist es noch fünf vor zwölf? Wohl eher schon fünf nach zwölf!

Dazu kommt – noch schlimmer: Im Gegensatz zum Vaterschaftsurlaub und vielen anderen politischen Themen, lassen sich Fehlentscheide in der Klimapolitik später nur mit immens viel höheren Kosten und Opfern korrigieren. Und irgendwann, in erschreckend wenigen Jahren, lassen sie sich gar nicht mehr korrigieren, weil eine Klimaerhitzung um drei oder vier Grad die Erde für Hunderte von Jahren völlig verändern wird. In 10 bis 15 Jahren, sagen die Klimawissenschafter und können das ziemlich gut belegen, ist das CO2-Budget aufgebraucht; dann ist das 2-Grad-Ziel auf keinen Fall mehr zu erreichen. Wenn wir bis 2030, dem Zeithorizont des CO2-Gesetzes, die Zeit vertrödeln und uns mit der Ausrede beruhigen, man könne ja irgendwann nachdoppeln, dann bleiben uns danach gerade noch fünf bis zehn Jahre, bis unser CO2-Budget völlig aufgebraucht ist.

Wer das derzeitige CO2-Gesetz durchwinkt und behauptet, man könne das Gesetz später so verschärfen, dass es das Klimaziel Netto Null bis 2050 doch noch schafft, der muss aber auch erklären können, warum er glaubt, die Stimmbürger würden in ein paar Jahren plötzlich sehr viel einschneidendere Massnahmen akzeptieren als diejenigen, die man ihnen heute nicht zutraut. Die zynische Antwort wäre: Weil die Klimakatastrophe dann schon so weit fortgeschritten ist, dass es für niemanden mehr um 120 Franken Flugticketabgabe und 12 Rappen Benzinpreiserhöhung geht, sondern ums pure Überleben. Oder wie denn sonst? Wer auf ein solches destruktives Katastrophen-Szenario setzt, darf sich nicht wundern, wenn die jugendlichen Klimaaktivisten, sobald sie wieder auf die Strasse gehen können, mit Grund und völlig zu Recht sehr viel radikaler und militanter für ihr Anliegen kämpfen werden. Sie werden in Zukunft nämlich nicht nur, wie die scheinbesorgten Bürgerlichen warnen, milliardenschwere Schulden mit sich schleppen müssen, sondern dauerhaft und unwiderruflich in einer Umwelt leben müssen, die wir nicht einmal unseren schlimmsten Feinden wünschen.

Was wäre zu tun?

Das bessere Szenario wäre wohl, wenn alle, die Grünen- und SP-Politikerinnen und -Politiker, die jetzt von «Zwischenschritt» (Bastien Girod), «realistischen Möglichkeiten» (Beat Jans) und «gutschweizerischem Kompromiss» (Simonetta Sommaruga) plaudern, energisch, konsequent und ohne Taktik-Spielereien für das einstehen und kämpfen, was sie immer proklamieren und was gemäss dem allgemeinen Konsens der Klimawissenschafter auch notwendig ist: Eine sofortige Verschärfung des CO2-Gesetzes, wie es die SP und Grünen ja lauthals vertreten, wenn sie nicht gerade im Nationalrat den Abstimmungsknopf drücken müssen.

Dringend notwendig wäre auch, dass die ernstzunehmenden Medien sich zu einem informellen, auf Fakten statt unqualifizierten Meinungen von ahnungslosen Chefredaktoren basierenden Grundkonsens zusammenfinden könnten, dass die Schweiz ohne Wenn und Aber, ohne Ausreden alle wirksamen Massnahmen ergreifen muss, um die proklamierten Klimaziele auch wirklich zu erreichen. Es widerspricht nämlich, entgegen anderslautenden Behauptungen, nicht der Meinungsfreiheit, wenn Redaktionen eine klare eindeutige Meinung vertreten, solange sie in ihren Spalten auch abweichende Gastbeiträge zulassen. Kurz: Indem sie eine breite Aufklärungskampagne mit einer klaren Zielsetzung starten, statt ihre Leserinnen und Leser mit einer Kakophonie gegensätzlicher Redaktionsmeinungen zu verwirren. (Keiner Zeitung käme es ja etwa in den Sinn, aus «demokratiepolitischen Gründen» redaktionell zugleich für und gegen die Schliessung aller Kläranlagen zu plädieren – weil es schlicht unvernünftig wäre, Kläranlagen zu schliessen.)

Die grünen und SP-Nationalrätinnen und -räte haben es versäumt, ein wirklich wirksames CO2-Gesetz zu zimmern. Der Ständerat mit seiner konservativen bürgerlichen Mehrheit wird daran nichts mehr ändern. Das Klima aber folgt seinen eigenen physikalischen Gesetzen. Und macht, was es will. Pech für uns. (CR)