Es ist schon elf Jahre her, seit die Klimaaktivistin Christina Ora der Solomon-Inseln den Delegierten am Klimagipfels in Kopenhagen vergeblich die Leviten las

Ab dem 4. September wird man wieder mit der Klimabewegung zu rechnen haben. Und sie wird radikaler, kompromissloser und wütender auftreten als bisher. Denn sie hat das Vertrauen in die Parteien, auch in die Grüne Partei und die SP, gründlich verloren.

«Wir wurden von rechts beschimpft und belächelt, von den linken Parteien benutzt und belogen», sagte Meret Schefer, eine der Sprecherinnen der Klimastreikbewegung vor einigen Tagen an einer Pressekonferenz. Und: «Man hat uns das Blaue vom Himmel versprochen und nichts davon geliefert.» Heute müsse man feststellen: «Wir wurden im Stich gelassen.»

Die Enttäuschung und Wut der Klimastreikjugend ist berechtigt. Sie haben mit ihren weltweiten Streiks und Demonstrationen die Klimakrise im vergangen Jahr fast im Alleingang zum wichtigsten Thema des Jahres gemacht; sie haben es geschafft, dass nach bald 40 Jahren weitgehend folgenlosem Verhandeln und Feilschen in den Hinterzimmern der internationalen Klimakonferenzen das Thema endlich in der Öffentlichkeit angekommen ist. Sie – und beileibe nicht die Grünen selbst – haben es geschafft, dass die grünen Parteien fast weltweit an Stimmen zugelegt haben. Dass selbst die wirtschaftsfreundlichsten Parteien wie die FDP sich bemühen mussten, sich ein grünliches Mäntelchen umzuhängen. Dass die Wirtschaftsverbände und ihre Lobbyisten plötzlich gelernt haben, wie man Klimakrise buchstabiert. Und fossile Unternehmen etwa der Flugbranche, die Autobauer oder die fossilen Energiekonzerne plötzlich beteuerten, sie wären ja auch gern ein bisschen grüner, wenn das bloss nicht Tausende von Arbeitsplätzen, die Millionen-Boni der Bosse und die satten Dividenden der Aktionäre gefährden würde.

Milliarden für die Wirtschaft, Millionen für das Klima

Seit der Corona-Krise ist das Thema Klima wieder weitgehend aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Es geht fast ausschliesslich nur noch darum, die Wirtschaft zu retten. Dass in Eilverfahren Milliardenbeträge etwa an die Swiss beschlossen wurden, ohne diese Hilfen entgegen allen Versprechungen an Umweltauflagen zu binden, hat nicht nur bei den Klimajugendlichen, sondern auch bei den Umweltverbänden für völliges Unverständnis gesorgt. Die Willfährigkeit, mit der der Bundesrat (und vermutlich bald auch das Parlament) den Sportverbänden und der Unterhaltungsindustrie entgegenkam, während man der Klimabewegung kaum wirklich zugehört hat, war nur noch eine Bestätigung, wie ernst zu nehmen Beteuerungen etwa von Bundesrätin Sommaruga sind: «Wir haben verstanden!» Oder: «Die Welt brennt.»

Demonstrationen und Aktionswoche im September

Damit soll jetzt aber Schluss sein. Am 4. September findet unter dem Motto «We are back» auf dem Berner Waisenhausplatz (und aus Gründen der Corona-Beschränkungen dezentral an weiteren Orten) Demonstrationen statt. Und: Vom 20. bis 25. September, in der dritten Woche der Herbstsession von National- und Ständerat, demonstrieren die Klimaaktivistinnen und -aktivisten mit einer ganzen Aktionswoche in Bern. (Weitere wichtige Informationen findet man hier.) Diskutiert und praktiziert werden soll der massenhafte «Zivile Ungehorsam», der gewaltlose Widerstand gegen die Gleichgültigkeit von Parlament und Parteien. «Wir müssen zu drastischeren Mitteln greifen als bisher, damit wir endlich ernstgenommen werden.»

Das ist eine unbequeme, aber von den Parteien zumindest mitverschuldete Antwort der Klimaaktivisten auf die bisherige Politik der kleinsten Trippelschrittchen und Formelkompromisse etwa beim CO2-Gesetz, das die Parteien trotzdem als «Durchbruch», als gewichtigen «Zwischenschritt» (Bastian Girod, GP) oder «gutschweizerischen Kompromiss» (Simonetta Sommaruga, SP-Bundesrätin) feierten. Und diskutiert wird mit Sicherheit auch über die sogenannte «Systemfrage», nämlich ob die Klimakrise sich überhaupt innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems lösen lässt. Oder – vielleicht etwas fruchtbarer und sinnvoller – ob das derzeitige parlamentarische System in der Lage ist, notwendige, längst überfällige, von der Wissenschaft, den Umweltverbänden und der Klimabewegung geforderte und in der Bevölkerung weitgehend akzeptierte Massnahmen gegen die Wirtschaft durchzusetzen.

Die Klimaktivisten vertrauen auf die eigene Stärke

Auf viel Unterstützung können die Klimaaktivistinnen und -aktivisten nicht zählen, auch nicht von der Grünen Partei und den Sozialdemokraten. Dass die bürgerlichen Parteien, die SVP, die FDP und zuweilen auch die CVP/BDP von der Klimabewegung nicht viel halten, auch wenn sich Petra Gössi, Ruedi Noser (beide FDP) oder Stefan Müller-Altermatt (CVP) zuweilen gequält ein freundliches Wort abringen. Auch von den grossen Schweizer Tageszeitungen, von den Gujers, Müllers, Rutishausers, Feusis oder Ràsonyis – klimanews.ch dokumentierte zahlreiche ihrer Diffamierungsartikel – ist kaum eine faire Auseinandersetzung zu erwarten. (Der TA-Korrespondent, der über die Pressekonferenz berichtete, schrieb, noch bevor er wenigstens rudimentär die Inhalte der Pressekonferenz streifte, der Nachrichtendienst, die Politische Polizei also, habe sich bisher noch nicht mit der Klimastreikbewegung befasst. Und ein befragter Meinungsforscher sorgte sich mehr um den Zusammenhalt der Parteien als um das Scheitern der Klimabewegung.)

Kritik an den Grünen und der SP

Neu an der Auseinandersetzung mit den Parteien ist allerdings die unmissverständliche Kritik an den Grünen und den Sozialdemokraten. Auch sie erfolgt weitgehend zu Recht. Die Grünen und die SP riskierten vor den Wahlen grosse Worte, man werde dem Bundesrat und dem Parlament nach den Wahlen «Feuer unter dem Hintern machen» (Regula Rytz), man werde für Klimaneutralität bis 2030 kämpfen etc. Als es dann konkret um das CO2-Gesetz ging, gab man opportunistisch klein bei und plauderte von einem «Schritt in die richtige Richtung» und «Besser der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach», als ob Floskeln und Sprichwörter schon ernsthafte Argumene wären. Zu Recht moniert die Klimabewegung, «von diesen Parteien seien keine angemessenen Massnahmen eingebracht worden.»

Auf die Seite der Klimabewegung geschlagen haben sich bisher nur die Jungen Grünen und die Juso, deren Mitglieder zu Teil selber aktiv und engagiert bei den Klimastreitern mitmachen.

Die Grünen und die SP müssen die Klimaaktivisten ernst nehmen

Und was sagen die Grünen und Sozialdemokraten zu dieser Kritik? Er verstehe «die Angriffe weniger als Kritik an der Politik seiner Partei oder seiner Person», meinte der neue Grünen-Chef Balthasar Glättli, und: «Dass eine Jungpartei ungeduldiger sei als die Alten, sei ja nicht neu.» Und Mattea Meyer, die designierte Co-Präsidentin der SP Schweiz, fühlt sich laut Tages-Anzeiger auch nicht persönlich attackiert: «Den Frust über das Parlament verstehe ich sehr gut.» Noch immer weigere sich, so zitiert sie der Tages-Anzeiger, «die bürgerliche Mehrheit, die Klimakrise mit der gleichen Ernsthaftigkeit anzugehen wie die Corona-Krise.»

Wohl kaum jemand hätte die Kritik der Klimabewegung an den beiden Parteien besser illustrieren können als die beiden Vertreter der Grünen und der SP selbst. Es ist nicht bloss der paternalistische Ton, die herablassende Geste von Glättli: «Ach ja», hört man den abgeklärten Politfunktionär, «lasst doch diese Jungen ein bisschen Dampf ablassen, ein bisschen im Sandkasten der Politik herumspielen; waren wir nicht auch alle mal jung und voller idealistischer Illusionen?» Fast schlimmer noch ist aber, dass ein Parteipräsident, dessen Partei so unmissverständlich kritisiert wird, die Chuzpe hat, sich hinzustellen und in etwa zu sagen: Kritik? Ich weiss nicht, wovon die reden. Mich und meine Partei geht das jedenfalls gar nichts an!»

Oder wie Matter Meyer, selbst ehemalige Vizepräsidentin der Juso, die in mittlerweile gut geöltem Politspeak Kritik an sich abperlen lässt, indem sie, ohne im Geringsten darauf einzugehen, die Schuld gleich an die «bürgerliche Mehrheit» weiterreicht. Das ginge ja allenfalls noch durch, wenn die SP mit der gleichen Ernsthaftigkeit, die sie der bürgerlichen Mehrheit abspricht, als unbürgerliche Minderheit für ein taugliches CO2-Gesetz gestritten hätte und von der bürgerlichen Mehrheit überstimmt worden wäre. Allerdings: So weit bekannt, gehörte Meyer bei der Abstimmung über das CO2-Gesetz gemeinsam mit der FDP, GLP und CVP/BDP zur überwiegenden Mehrheit, die dem Gesetz zugestimmt hat.

Wenn Glättlis Grüne Partei und Meyers SP den Kontakt zur Klimastreikbewegung nicht ganz verlieren wollen, wenn ihnen etwas an ihrer Glaubwürdigkeit liegt, dann müssen sie wohl als Erstes ganz schnell lernen, die jungen Klimaaktivisten, ernst zu nehmen. Es sind ihre wichtigsten Verbündeten, ohne deren Druck von der Strasse sie klimapolitisch kaum etwas bewegen konnten und können, . (CR)