Erstmals seit dem Corona-Lockdown gingen gestern Freitag (4. September) in 18 Schweizer Städten mehrere tausend Klimajugendliche wieder auf die Strasse. Politikerinnen und Politiker waren, zumindest in Zürich, kaum zu sehen. Und die Medien, sie machten daraus ein hübsches Sommerstöffchen oder ignorierten die Demonstrationen. Dabei ging fast vergessen, worum es den streikenden Jugendlichen eigentlich geht.
In Uster brennt die Sonne auf die Streikenden, ein Liedermacher singt: «Die Erde hat keinen Rettungsring» und eine Anwohnerin keift aus ihrem Gärtchen: «So en Schissdräck!». In Zürich scheint die Sonne auch, ein kleiner Junge trägt ein Eskimo-Kostüm, ein Audi-Fahrer schimpft, weil er warten muss, ein Ferrari-Fahrer fährt fast in den Demonstrationszug hinein. Die «Ordnungshüter» hüten die Ordnung, haben aber kaum etwas zu tun, da die Demonstrantinnen und Demonstranten selber die Ordnung so säuberlich hüten, dass sie am Ende der Demo gar die paar weggeworfenen Zigarettenstummel auflesen. (Die Zünfter könnten sich am Sechstläuten ein Vorbild an den bösen Buben und Mädchen nehmen und fortan ihre Rossbollen selber zusammenkratzen.) Bloss: Worum es den Demonstranten eigentlich konkret ging, das erfuhren die Tages-Anzeiger-Leserinnen und -Leser kaum Die NZZ verzichtete sogar ganz darauf, die Demonstrationen zur Kenntnis zu nehmen.
Krisenaktionsplan? Ach ja, da war doch was!
Kurz: Für die Tagi-Journalistin, die gemäss den neuen Boulevard-Tendenzen ihrer Zeitung ihr «Zielpublikum» weniger informieren als mit gefühligen Geschichten unterhalten soll, war die erste Klimademonstration nach dem Lockdown eine eher unergiebige «Story»: Weit und breit kein Skandal, nicht einmal ein eingeschlagenes Schaufenster oder eine kleine Schmiererei.
Zwar hatten die Tamedia-Blätter am Tag zuvor die Rückkehr der Klimajugend auf die Strasse angekündigt und dabei sogar einige wenige Forderungen von Climatestrike kurz gestreift; in der Hauptsache aber ging es dort mehr um die Frage nach den neuen Aktionsformen und darum, ob die Bewegung weiterhin mit den Parteien kooperieren soll oder nicht. Mit dem Krisenaktionsplan und seinen 17 konkreten Forderungen, den Climatestrike im Mai veröffentlicht hat, hat sich bisher ausser der WoZ und der Republik keine Zeitung ernsthaft auseinandergesetzt.
Die Medien: Kein wirkliches Interesse
Das berührt eine Kernfrage der ganzen Auseinandersetzung um den zivilen Ungehorsam: Wie bringt die Klimabewegung ihre Forderungen an die Öffentlichkeit. Die Medien sind nicht sehr interessiert oder kaum in der Lage dazu. Von den Redaktorinnen und Redaktoren der zunehmend ausgedünnten Presse wissen die meisten weit weniger als die inzwischen topinformierten Klimaaktivisten. Den wenigen kompetenten Wissenschaftsjournalisten von Tamedia und NZZ widersprechen ihre unbedarften Chefredaktoren und die versteckten oder offenen Wirtschafts-Lobbyisten und verkappten «Klimaskeptiker» mit willkommenen Gastkommentaren und Leserbrief-Kampagnen. Die wirre Fülle unzusammenhängender Detailinformationen in dieser eh schon sehr komplexen Materie desorientiert die Leser mehr als dass sie diese informiert. In diesem allgemeinen Geschnatter werden letztlich alle Gewissheiten als Privatmeinung desavouiert. Wer den Wissenschaftern glaubt, ist selber schuld.
Nirgendwo haben Besserwisser ein besseres Forum als im Internet
Abhilfe bringt auch nicht das Internet, entgegen den einstmals erhofften Erwartungen. Hier schreiben, wenn man die dahingeschluderten Facebook- und Twitter-Einträge (und die Online-Leserkommentare der Zeitungen) liest, die meisten, noch bevor sie überhaupt angefangen haben nachzudenken. Es kommt auch nicht drauf an, weil man eh nur für die eigene Bubble schreibt. Sich zu informieren ist ein überflüssiger Luxus, für den Stammtisch und den Facebook-Post reicht die vorgefasste Meinung. Es herrscht buntes Jekami. Und wenn man grad nichts Eigenes zu vermelden hat, verlinkt man wenigstens irgendeinen Zeitungsartikel kommentiert ihn mit einem zustimmenden oder ablehnenden Spruch und einigen läppischen Emojis. Wer in einer großen Blase verkehrt, wird jeden Morgen mit zwei Dutzend Hinweisen auf die gleichen zwei, drei Zeitungsartikel überschwemmt, die man längst selber schon gelesen hat. (Kurioserweise machen auch ausgewiesene Klimaexperten, die ansonsten ihr eigenes grosses und seriöses Forum haben, an diesem seltsamen Gockelrennen mit.) Blogs, in denen selber gedacht, analysiert und argumentiert wird, sind eine Seltenheit.
Kurz: Von den Medien haben die Klimaaktivisten wie bisher kaum sehr viel zu erwarten. Man mimt Verständnis, Merkel streicht Greta übers Haar und Sommaruga strahlt mit den Demonstrantinnen um die Wette, in der Sache aber signalisiert man unmissverständlich: So, es reicht jetzt!
Die Mühlen des Parlamentarismus mahlen halt langsam
Das gilt auch für die Politik, die Politikerinnen und Politiker. Man ist den Jugendlichen dankbar, wenn sie einem helfen, Wahlen zu gewinnen oder für ein Parteianliegen Werbung zu machen. Nur: Dreinreden lassen will man sich nicht von den ungeduldigen «Schtürmis». Wer will sich schon stören lassen auf seinem Karrierenweg ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, in die «Arena», auf die Titelseiten und auf die 1. August-Rednertribünen. Dorthin aber kommt nur, wer sich nicht allzu heftig exponiert, wer gelernt hat, sich politisch so zu verbiegen, dass er oder sie auch bei den Gegnern keinen Anstoss mehr erregt.
Zu den aufschlussreichen Reaktionen auf die Klimastreiks vom Freitag gehört auch die Antwort von Aline Trede, der Fraktionsvorsitzenden der Grünen. Natürlich, meinte sie in der Tagesschau, habe man Verständnis für die Klimajugend und nehme ihre Anliegen (welche denn?) sehr ernst. Aber Veränderungen bräuchten eben ihre Zeit: «Es gibt den parlamentarischen Weg und den schnellen Weg, den ich auch möchte. Aber ich glaube, wir schaffen es nur, indem wir kleine Schritte machen im Parlament. Das CO2-Gesetz brauchen wir als Fundament, damit wir die Instrumente einführen können, und dann können wir weitergehen.» Als ob man wichtige Instrumente nicht auch bei etwas grösseren Schritten einführen könnte. Und: «Bei jedem politischen Anliegen braucht es eine politische Entscheidung und die liegt in unserem Land meistens beim Parlament. Aber es gibt auch die Chance, mit einer Initiative an die Bevölkerung zu gelangen und sein Anliegen dort zu vertreten.»
Eine Antwort, welche die Klimaaktivistinnen und -aktivisten wohl kaum befriedigen dürfte, bestätigt sie doch genau das, was sie der Grünen Partei vorwerfen. Dass es nämlich in der Klimapolitik nicht reicht, bloss Verständnis zu haben. Und dass es mitunter auch an den Grünen (und der SP) liegt, dass es nicht schneller vorwärtsgeht.
Der übliche parlamentarische Weg braucht Zeit, die wir nicht haben
Zum Beispiel bei der Revision des CO2-Gesetzes: Seit der Botschaft des Bundesrates sind bereits fast drei Jahre vergangen. Bis das inzwischen bis zur Untauglichkeit verwässerte Gesetz vors Volk kommt, dauert es voraussichtlich noch einmal anderthalb bis zwei Jahre. Bis die von den grünroten Parteien dringend geforderte «Verschärfung», die das Gesetz erst tauglich machen soll, den Weg durch die Parlamente genommen hat, vergehen noch einmal zwei bis drei Jahre.
Und: Zur Staatskunde-Lektion von Aline Trete würde eben auch der Hinweis gehören, dass eine Volksinitiativen, kaum dass sie zustande gekommen ist, ebenfalls auf den langen Marsch durch die Parlamente geschickt wird, und dass ihre konkrete Umsetzung, falls die Initiative nach durchschnittlich zwei Jahren vom Volk angenommen wird, noch einmal Jahre dauert. Zeit, die man, wie die Klimaaktivisten im Einklang mit der Wissenschaft sagen, nicht mehr hat.
Die Klimajugendlichen sind Egoisten. Recht so!
Wer so redet wie Trede, muss sich nicht wundern, dass die Klimabewegung ihr Vertrauen in die Politik verloren hat, und auf den ausserparlamentarischen Weg, auf zivilen Ungehorsam und harmlose, friedliche, aber nicht ganz regelkonforme Aktionen setzt, um sich selbst eine Öffentlichkeit zu schaffen und Druck auf die Parteien zu machen, Die heimliche Hoffnung, dass der Klimabewegung der Schnauf ausgeht, dürfte sich als Illusion erweisen. Climatestrike hat Power, Ausdauer und Mut und ist gut organisiert. Zudem haben die Jugendlichen einen zwar unangenehmen, aber unerbittlichen Verbündeten: die Klimaerhitzung, die von Jahr zu Jahr zunimmt, von Jahr zu Jahr bedrohlicher und unerträglicher wird. Und sie haben einen weiteren Trumpf in der Hand: Sie werden immer mehr, weil die Unfähigkeit der derzeitigen parlamentarischen Klimapolitik immer offensichtlicher und unübersehbarer wird. Letztlich haben die Jugendlichen gar keine andere Wahl, als den Politikerinnen und Politikern Beine zu machen. Sie wollen, ganz egoistisch, nämlich auch in zwanzig, dreissig Jahren noch in einer halbwegs intakten, lebenswerten Welt leben. (CR)