Während zwei Tagen besetzten mehrere hundert junge Leute den Bundesplatz, dann liess die Berner Stadtregierung den Platz räumen. Jetzt, nach der Räumung tun die bürgerlichen Politiker so, als wäre die Demokratie bedroht gewesen, die Revolution schon knapp vor der Türe gestanden.

Man musste den Titel zwei-, dreimal lesen, bevor man es glauben konnte, dass da wirklich steht: «Angriff auf das Zentrum der Macht». Unter diesem Titel beschreiben Fabian Fellmann und Stefan Hänein einem ganzseitigen Tages-Anzeiger-Bericht vom Dienstag, wie die Platzbesetzer von «Rise up for Change» vor ihren Zelten zusammensassen, diskutierten, Yoga machten, sangen und tanzten; es gab «Black-Bean-Spaghetti mit vegetarischer Soja-Bolognese», aber keine Spur von Revolution, keine Attacke auf das Machtzentrum, kein erschwerter Zugang für die Ratsmitglieder, die im Bundeshaus ihre Herbstsession abhielten.

Die einzigen Gehässigkeiten des Tages kamen laut den Tamedia-Blättern von ein paar SVP-Hardlinern um Esther Friedli und Andreas Glarner, vom Zürcher FDP-Polterer Hans-Peter Portmann und vom CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt, der sich vor allem beklagte, dass die Klimaaktivisten seinen erfolgreichen dreijährigen Kampf für ein untaugliches CO2-Gesetz nicht gebührend würdigten. Die übrigen bürgerlichen Nationalräte und -rätinnen begnügen sich am Montagabend damit, die Stadt Bern zur Räumung des Bundesplatzes aufzufordern.

Er habe den Eindruck, es sei alles nach Drehbuch abgelaufen, zitieren die Tamedia-Blätter den Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried nach der Räumung. Das kann man tatsächlich so sehen. Die Stadtregierung hat es geschafft, dass die Situation mit einer Ausnahme nicht eskalierte. Der Sicherheitsdirekter Reto Nause und die Polizei haben dafür gesorgt, dass die Situation bis zum Schluss friedlich blieb; sie haben den Rechtstaat «durchgesetzt», aber den verbalen Schlägertrupps der SVP und FDP, die sich mehr Gewalt wünschten, widerstanden. Es siegte das Prinzip Vernunft vor hemdsärmeligem Hauruck-Polizeieinsatz.

Nach Drehbuch haben sich auch die Politikerinnen und Politiker, die Medien und die Klimajugendlichen verhalten.

Die Politiker wollen ungestört weiterwursteln wie bisher

Die bürgerlichen Politiker haben wie immer so getan, als gehöre ihnen allein die Demokratie. Es braucht schon ein gehöriges Mass an Unverfrorenheit, wenn ausgerechnet jene Politiker, die seit Jahren ein wirkungsvolles CO2-Gesetz verhindert haben, die Klimastreikenden auf den parlamentarischen Weg verweisen, also an die Verhinderer selber. Die Klimabewegung ist ja nicht aus Spass an Krawall & Randale entstanden, sondern weil die Politik offensichtlich seit Jahrzehnten nicht in der Lage ist, eine wirkungsvolle, nachhaltige und gerechte Klimapolitik zu machen. Was immer die Politikerinnen und Politiker an Ausflüchten vorbringen, zu den wichtigsten Gründen für ihr Scheitern gehört noch weit vor dem vielzitierten uneinsichtigen Volk ihr eigener Mangel an Einsicht und Engagement, an Überzeugungswillen und -kraft. Ihr Umgang mit den Klimajugendlichen beschränkt sich bis heute darauf, ihnen paternalistisch über den Kopf zu streicheln und ihnen dann mit drohendem Unterton zu raten, sich nicht in Dinge einzumischen, von denen sie nichts verstünden.

Zu den Sympathisanten der Klimajugend auf dem Bundesplatz gehörten immerhin die Grünen und einige SP-Nationalrätinnen und -räte. Allerdings: So gross war dann die Solidarität mit der Klimabewegung doch nicht, dass sich der eine Grüne oder die andere SP-Vertreterin zu den Demonstranten setzte und sich von der Polizei wegtragen liess. Und in den Schlussabstimmungen am Freitag stimmten die Grünen und die SP dann doch geschlossen für das CO2-Gesetz resp.gegen die Forderungen der Klimabewegung. Keine und Keiner hatte den Mut zu sagen: Nein, das ist nicht das Gesetz, das ich haben will. Also auch hie funktionierte Rotgrün nach bewährtem Drehbuch: gross reden, klein handeln..

«Macht doch eine Volksinitiative!» – ein fauler Trick

Ganz nach ihrem üblichen Drehbuch verhielten sich auch die Medien. Die Tamedia-Blätter brachten am Dienstag zwar drei ausführliche Artikel, insgesamt rund zwei volle Zeitungsseiten zum Thema. Für das eigentliche Anliegen der Klimajugend, die 15 Forderungen zum Klimaschutz, hatten die Tamedia-Blätter allerdings gerade mal 18 Zeilen übrig. Eine fundierte inhaltliche Auseinandersetzung mit den Thesen der Klimajugend haben weder die NZZ noch die Tamedia-Blätter bisher geleistet.

Dafür hielt Stefan Häne – wie übrigens auch Urs Leuthard in der Tagesschau – einen «guten Ratschlag» für die Klimajugendlichen bereit. Sie sollten es anstatt mit Demonstrationen und zivilem Ungehorsam doch einmal mit einer Volksinitiative versuchen. Das, obwohl sie beide und wir alle wissen, dass dies nichts anderes ist als der Versuch ist, der Klimajugend einen Bären aufzubinden. Denn von der Einreichung einer Volksinitiative bis zu deren Umsetzung in einem «griffigen» Klimagesetz dauert es mindestens sieben, acht Jahre. Egal wie utopisch das Kernanliegen einer solchen Initiative auch sein mag – sie wäre bloss ein sinnloser Leerlauf, Beschäftigungstherapie.

Ganz abgesehen davon, dass die Klimajugendlichen nach der Einreichung einer solchen Initiative deren Weiterbehandlung genau wieder jenen Politikern überlassen müssten, gegen deren Verhinderungspolitik sich ihr Protest hauptsächlich richtet.

Und – das nur zur Erinnerung: Die 1990 (!) eingereichte und 1994 vom Volk angenommene Alpeninitiative ist bis heute noch nicht richtig umgesetzt worden. Und: Über das CO2-Gesetz haben die Räte fast drei Jahre lang debattiert und gefeilscht, bevor jetzt diese untaugliche Kompromisslösung herausgekommen ist. Wer glaubt, die längst bestens informierten Klimajugendlichen mit solchen unsinnigen Vorschlägen in eine Sackgase locken zu können, beweist bloss, dass er immer noch nicht bereit ist, die Jugendlichen ernst zu nehmen.

Verunglimpfen statt sich auseinanderzusetzen

Dass die NZZ, von deren Chefreaktor Eric Gujer der diffamierende Begriff «Kinderkreuzzug» stammt, nur Verachtung für die Klimajugend übrig hat, weiss man schon seit längerem. Die Bundesplatzbesetzung versuchte die Zeitung zuerst mit einer kleinen Meldung nach Möglichkeit zu bagatellisieren; nach der Räumung aber schlug das bürgerliche Kampfblatt dafür um so heftigere Töne an: In der Klimabewegung wittert Bundeshausredaktor Georg Häusler Sansano wieder einmal den Geist der Weltrevolution: «Die Sorge um das Klima ist eine Etikette für den Versuch, die geltende Ordnung grundlegend zu verändern.» Unter dem schon fast kabarettistischen Zwischentitel «Bürgerliche Parlamentarier zitterten um den Rechtsstaat» zitiert die NZZ die offenbar zitternde SVP-Nationalrätin Esther Friedli: «Ich frage mich, ob wir weiterhin in einem Rechtsstaat leben.» Wer keine Argumente hat, muss umso lauter trommeln, damit er gehört wird.

Und Stefan Häne fragt polemisch in den Tamedia-Blätter: «Was, wenn nun auch ziviler Ungehorsam nicht zum Erfolg führen wird? Folgt dann offene Gewalt?» Das ist, pardon, pure Stimmungsmache, ebenso wie die permanenten Hinweise, die Demokratie sei bedroht oder das Geschwätz von «Ökosozialismus» und «Klimadiktatur».

Das Klimacamp – eine verpasste Chance

Aber es gibt vereinzelt auch andere Stimmen. Eine stammt von Aleksandra Hiltmann, einer jungen Mitarbeiterin der Tages-Anzeiger-Kulturredaktion. «Anstatt sich der Herausforderung der Klimakrise zu stellen, wollten Politikerinnen und Politiker diejenigen wegschaffen lassen, die sie an ihre Verantwortung in der aktuellen Notlage erinnerten», zitiert Hiltmann eine Webseite der Klimajugend noch vor der Räumung, und sie meint dazu: «Eine berechtigte Kritik. (…) Es mag pathetisch klingen, aber auf dem Bundesplatz geht es gerade tatsächlich um unsere Zukunft – um grosse Worte, grosse Forderungen, die vielen zu abstrakt und anderen auch einfach zu mühsam sind. Lieber würde man die Leute mit den Transparenten und Zelten auf einer temporären Brache in einem Aussenquartier abstellen.»

Hiltmann macht klar, dass es «Rise up for Change» nicht um die Abschaffung der Demokratie geht, sondern um eine andere Demokratie, um eine, die nicht allein den Politikern gehört: «Wir müssen aufhören, den öffentlichen Raum zu behandeln, als dürfte er nicht gestört werden. Der öffentliche, analoge Raum ist eine Form der Öffentlichkeit, die wir brauchen, die lebendig, vielfältig und manchmal auch unbequem sein muss. Denn genau dort werden wir gezwungen, aus unseren digitalen Echokammern, Onlineshopping-Plattformen und fiktiven Netflix-Welten auszubrechen. Etwa, weil wir über ein Klimacamp stolpern. Vielleicht in eine bessere Zukunft.»

Zu den wenigen Stimmen, die sich klar für «Rise up for change» stark machten, gehört nicht zufällig auch die WoZ. Daniel Stern analysiert auf der Titelseite ohne jedes «Ja, aber …»die Reaktion der Politiker und der Medien. Sein Fazit: «Die Klimakatastrophe ist da. Die Erderhitzung zeigt sich in Dürren, Bränden, Hurrikanen, Gletscherschmelzen. Und sie wird zunehmen. Selbst wenn wir ab heute den CO2-Ausstoss massiv reduzieren würden. Auch wenn wir bis 2030 «netto null» erreichen, wie das die AktivistInnen fordern. Was wir heute verhindern können, ist der völlige Kollaps, der Tod von Milliarden, die Zerstörung der Zukunft der heutigen Kinder und Jugendlichen. Solange die Politik viel zu wenig tut, ist ziviler Ungehorsam mehr als gerechtfertigt.» Eben so lesenswert und aufschlussreich ist auch Sterns Reportage vom Bundesplatz, die zeigt, wie unsere Volksvertreter mit der und über die Klimajugend reden, wenn diese nicht nach ihrer Pfeife tanzen will.

Anders die ein bisschen nonkonformistische Online-Zeitung Republik. In ihrer Reportage vom Bundesplatz bringt sie zwar einige lustige Pointen unter, etwa über den Zürcher SVP-Nationalrat Mauro Tuena, der vor lauter Aufregung so den Kopf verlor, dass er sich von «diesem Nause nie mehr eine Park­busse geben lassen will.» In der Sache aber zwitschert die Republik, die zwar einige hervorragende Recherchierjournalisten hat, aber keinen einzigen wirklich politischen Kopf, im Chor mit der übrigen Presse das schiefe Lied von der «Unheiligen Allianz». (Wir haben das Problem dieser falschen Metapher hier kurz analysiert.) Und folgerichtig endet denn die ganze Republik-Geschichte nicht mit einem politischen Fazit, sondern einem eher mässigen Gag: «Und so kommt es, wer weiss, vielleicht gar zur unheiligen Allianz zwischen Klima­jugend und SVP. Wer sich dann wo und an wem ankettet?» Um auf demselben Niveau zurückzufragen: Ist es da nicht, wer weiss, vielleicht gar zu einer unheiligen Allianz zwischen der Republik und NZZ-Tamedia gekommen? (CR)