Mehrere Welschschweizer Sektionen der Klimastreik-Bewegung werden gegen das revidierte CO2-Gesetz das Referendum ergreifen. Das bringt vor allem die Grünen und die SP in einen argumentativen Notstand. Sie sind zwar auch der Meinung, das CO2-Gesetz sei ungenügend, aber winkten es am Schluss dennoch durch.

Wie Vertreter der Klimastreikbewegung am vergangenen Freitag (2. Oktober) ankündigten, werden die Regionalgruppen von Genf, Waadt, Neuenburg, Jura, Wallis und Berner Jura das Referendum ergreifen Der Entscheid ist auf nationaler Ebene umstritten; Klimastreik Schweiz, gleichsam die Dachorganisation aller Regionalgruppen, sprach sich zwar gegen ein Referendum aus, überlässt es aber den Regionalgruppen, gegenteilige Entscheide zu fällen. Der Entscheid von Klimastreik Schweiz bedeutet allerdings nicht, dass in den übrigen Regionen der Schweiz keine Unterschriften gesammelt werden. Denn auch in der Deutschschweiz sind viele Klimaaktivistinnen und -aktivisten der Ansicht, dass dieses Klimagesetz völlig unbrauchbar oder sogar kontraproduktiv sei.

Der (zugegeben: etwas zwiespältige) Entscheid ist wenig überraschend: Schon während im National- und Ständerat monatelang eifrig gefeilscht und gekungelt wurde, hat die Klimajugend immer wieder unmissverständlich klar gemacht, dass die diskutierten Massnahmen bei weitem nicht ausreichen, um die Klimaerwärmung zu stoppen. Die Politik habe die Dringlichkeit der Klimakrise immer noch nicht begriffen.

Mit dem CO2-Gesetz ist das selbst gesetzte Klimaziel nicht zu erreichen

«Das CO₂-Gesetz verfehlt die verschiedenen Emissionsreduktionsziele deutlich, missachtet die Klimagerechtigkeit und verfestigt bestehende Strukturen», zitiert die Nachrichtenagentur SDA die Sprecherin der Klimastreik-Bewegung Franziska Meinherz. Die Klimajugendlichen haben recht: So sind sich etwa alle kompetenten Klimaökonomen einig, dass ein um 12 Rappen teurer Benzinpreis oder eine Flugticketabgabe von 30 bis 120 Franken keine nennenswerte Reduktion der Treibhausgase bewirken wird. Und sie sind sich auch einig, dass Auslandkompensationen nur kurzsichtige Pflästerli-Politik ist, dass Emissionszertifikate vor allem die grossen finanzstarken Unternehmen bevorteilen, dass die sogenannten «grauen Emissionen» bei der Berechnung der Treibhausgas-Bilanzen unbedingt berücksichtigt werden sollten, dass die vorgesehene Meldepflicht des Finanzsektors nicht verhindern wird, dass Banken und Versicherungen weiterhin in grossem Stil in fossile Unternehmen und Projekte investieren werden. Etc., etc. Kurz: Die Massnahmen des vorliegenden CO2-Gesetzes bleiben weit hinter dem zurück, was notwendig wäre, um die vom Bundesrat selbst gesetzten Ziele zu erreichen.

Zu Recht also kritisieren die Klimajugendlichen vor allem auch die Grünen und die SP scharf. Die beiden Parteien hätten, heisst es in einer Erklärung, die Klimastreikbewegung immer nur benutzt und belogen: «Man hat uns das Blaue vom Himmel versprochen und nichts davon geliefert. (…) Wir wurden im Stich gelassen.»

Jubeln über den Misserfolg

In der Tat haben die beiden Parteien ein riesiges, selbstverschuldetes Glaubwürdigkeitsproblem gegenüber den Klimaaktivisten. Seit Jahren fordern sie bei jeder Gelegenheit ultimativ «griffigere Massnahmen» und wettern gegen die bürgerlichen Klimaschutzbremser. Und zugleich arrangieren sie sich in den Hinterzimmern der Macht leichtfertig und ziemlich kampflos mit dem «Bürgerblock». Weil es ihnen letztlich weniger ums Klima geht als vielmehr um einen Kampf gegen die SVP. Selbst bei den Schlussabstimmungen, bei denen sie zumindest gegen aussen durch Stimmenthaltung ihre Unzufriedenheit hätten signalisieren können, stimmten die grünen und SP-Politiker ohne Ausnahme für das untaugliche Gesetz. Schlimmer noch, nach der Abstimmung jubilierten sie – und erst noch viel lautstärker als die Bürgerlichen -, das Gesetz sei ein Riesenerfolg, ein «grosser, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung» (Sommaruga), ein «gutes Gesetz» (Roger Nordmann), «Klimaschutz der klugen Art» (Beat Jans), der «grösste realpolitische Erfolg der Klimastreikbewegung» (Balthasar Glättli) und anderes mehr. Man erinnert sich an den klugen Liedermacher Wolf Biermann, der einmal richtig sagte: «Wer eine Niederlage in einen Sieg umlügt, bereitet seine nächste Niederlage vor.»

Das SVP-Referendum ist nicht das Klimajugend-Referendum

Jetzt also das Referendum. Für die rotgrünen Parteistrategen ist die Sache von vornherein klar: Wer das Referendum unterstützt, unterstützt die SVP. Denn sollte das Referendum zustandekommen und das CO2-Gesetz sogar vom Volk abgelehnt werden, dann drohe, so ihre Argumentation, eine vieljährige Verzögerung. Und man müsse sogar befürchten, dass ein zukünftiges Klimagesetz dann noch zahnloser ausfalle als das vorliegende. Das behauptete auch die NZZ und die Tamedia-Blätter. Die Klima-Allianz und die Mehrheit der deutschschweizer Regionalgruppen von Climatestrike. Balthasar Glättli, der Präsident der Grünen, stellte in der Tagesschau die welschen Klimajugendlichen gar als irrationale Naivlinge hin.

Aber: So viele dieses Credo gebetsmühlenhaft wiederholen und wiederholen, an dieser Argumentation ist einiges falsch. Natürlich, solange unklar war, ob überhaupt das Referendum ergriffen würde, konnte man durchaus darüber debattieren, ob das sinnvoll sei oder nicht. Bloss: Seit rund einem Jahr steht fest, dass die SVP oder SVP-nahe Kreise das Referendum ergreifen werden. Und man braucht kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass diese Kreise keine Mühe haben, 50’000 Unterschriften zusammenzukriegen.

Klimajugend und SVP kämpfen um die Deutungshoheit

Seit man aber weiss, dass das Referendum ohnehin kommt, ist es völlig müssig zu diskutieren, ob sich ein Referendum durch Boykott verhindern liesse, da es, ohnehin zustande kommt. Man kann nur noch sinnvoll diskutieren, wie man verhindern kann, dass das Zustandekommen des Referendums in der Öffentlichkeit als klarer Sieg der SVP dargestellt wird. Überlässt man der SVP und ihren Kreisen das Sammeln der Unterschriften, ist diese Interpretation unwiderlegbar klar: Wer ihr Referendum unterschreibt, ist gegen mehr Klimaschutz. Wenn aber Teile der Klimajugend ihr eigenes Referendum starten und bestenfalls sogar mehr Unterschriften zusammenbringen als die Klimaschutz-Verhinderer, dann ist ebenso klar, dass viele oder gar die Mehrheit der Unterschriften für mehr Klimaschutz steht. (Da jedes Referendumskomitee seine Unterschriften separat sammelt, kann man ohne weiteres feststellen, woher die einzelnen Unterschriften kommen. Und wofür sie stehen. )

Damit ist auch klar, dass das Gerede von der «unheiligen Allianz» von SVP und Klimastreik – Allianz bedeutet zu deutsch: Bündnis, Gemeinschaft, vertraglich geregeltes Verhältnis – völlig falsch, ja absurd ist. Wahr ist das Gegenteil: Klimajugend und SVP liefern sich einen harten Kampf um die Deutungshoheit, wie das Referendum zu interpretieren sei. Das ist keine Nebensächlichkeit, sondern kann für die Fortsetzung der Klimadebatte von entscheidender Bedeutung sein.

Die Grünen und die SP (und die Umweltverbände) würden also gut daran tun, sich noch einmal scharf zu überlegen, ob es unter diesen Umständen nicht doch klüger wäre, das Referendum der welschen Klimajugendlichen zu unterstützen. Unterstützen sie das Referendum der Klimaaktivisten nicht, dann sind sie es und nicht die Klimajugend, welche durch ihren Boykott der SVP zu einem Sieg verholfen hat, indem sie dieser die absolute Deutungshoheit überlassen.

Die «Verzögerung um Jahre» ist bloss Angstmacherei

Objektiv falsch ist aber auch das Argument der grünen und roten Parteistrategen, die welschen Klimaaktivisten würden eine wirksame Klimapolitik um Jahre verzögern. Ein stichhaltiges Argument für diese drohende Behauptung sind beide Parteien bisher schuldig geblieben. Aus gutem Grund, denn: das Referendum kommt eh zustande, ob mit oder ohne die Klimajugend – da verzögert sich also gar nichts. Bis zum Volksentscheid, das steht jetzt schon fest, dauert es so oder sorund ein Jahr. Bis der Bundesrat danach ein Verschärfungsgesetz ausgearbeitet hat, ohne das die jetzige CO2-Vorlage selbst nach Ansicht der Grünen und der SP wenig effektive Wirkung hat, und bis dieses verschärfte Gesetz dann durch alle parlamentarischen Instanzen samt Referendum gemühlt worden ist, dauert es tatsächlich nochmals Jahre. Aber auch das ist keine Verzögerung, die sich durch einen Boykott des Referendums irgendwie verhindern liesse. Sondern schlicht courant normal.

Eine Abkürzung dieses umständlichen Verfahrens haben die SP und die Grünen im Dezember 2018 selber vermasselt: Hätten sie damals den Entwurf des CO2-Gesetzes definitiv bachab geschickt und dem Bundesrat den Auftrag erteilt, ein wirkungsvolleres, ambitiöseres Klimagesetz auszuarbeiten, wie es der Bundesrat im August 2019 dann selber vorgeschlagen hat – allerdings ohne jede Auswirkung auf die Debatte um das CO2-Gesetz -, dann hätte man sich das ganze nachfolgende parlamentarische Geschacher mitsamt dem kommenden Referendum ersparen können.

Auch dass das Scheitern des CO2-Gesetzes ein Scherbenhaufen hinterlasse, der dazu führe, dass ein Nachfolgegesetz noch schwächer sei als das jetzt vorliegende, ist ein Märchen. Die Schweiz hat sich verpflichtet, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Und sie hat sich verpflichtet, bis Ende dieses Jahres, ihre damals eingereichten Klimaziele zu verschärfen. Sie kann nicht hinter diese Ziele, die so oder so weitergehen als das CO2-Gesetz, zurück, ohne vertragsbrüchig zu werden und ihre ganze internationale Glaubwürdigkeit zu verlieren. Es sei denn, sie wolle sich so verhalten wie einige klimapolitische Schurkenstaaten wie die USA.

Warum legen die Grünen und die SP keine Szenarien vor?

Wie sehr die Parteistrategen sich offensichtlich fürchten, den Beweis für ihre Behauptung anzutreten, zeigt die Tatsache, dass sie es – das A und O jeder Strategie – bisher sorgsam vermieden haben, der Öffentlichkeit eine Reihe möglicher Szenarien zu präsentieren, an denen sich ablesen liesse, wann wo und warum bei welcher Strategie welche Verzögerungen und Umwege eintreten können und wie sich dies vermeiden liesse. Solche Szenarien müssten zum Beispiel auch aufzeigen, wie denn die parlamentarische Behandlung der wichtigen Gletscherinitiative in diese Prozesse hineingreift. Denn auch hier liegt, seit der Bundesrat sich entschieden hat, einen direkten Gegenvorschlag auszuarbeiten, ein gewaltiges Verzögerungspotential. Andererseits könnte die direkte Ausarbeitung eines starken Klimagesetzes, das es den Initianten der Gletscherinitiative erlaubt, diese zurückzuziehen, die ganze Diskussion sowohl inhaltlich vorantreiben wie auch zeitlich um Jahre beschleunigen. (Siehe dazu auch den Blogbeitrag vom Februar 2020: Killt das CO2-Gesetz die Gletscherinitiative? und 18. September 2020: Rettet die SVP die Klimabewegung?

Allerdings: Hört man Simonetta Sommaruga, SP-Bundesrätin, in der Tagesschau vom 26. September, dann ist nicht zu erwarten, dass sich das unmögliche Schneckentempo der schweizerischen Klimapolitik ohne massiven Druck von der Strasse und ohne radikales Umdenken der grünroten Parteien, in den kommenden Jahren beschleunigen könnte. «Bis 2030 hat man sich die Ziele gesetzt und die Massnahmen nun so beschlossen, dass die Ziele erreicht werden können», meinte die Vorsteherin des Umweltdepartements nach den Schlussabstimmungen, «das ist wichtig für die Glaubwürdigkeit. Für das Nettonullziel 2050 wird man sich weitere Massnahmen überlegen müssen. In der Art und Weise können wir so weitermachen – Anreize richtig setzen, sagen wie es weitergeht und Planungssicherheit für die Wirtschaft, für die Unternehmen schaffen.» «Man wird sich weitere Massnahmen überlegen müssen» – das klingt nicht so, als hätte die Bundesrätin trotz niedlicher Fototermine mit den Klimaaktivisten die Dringlichkeit des Klimaproblems tatsächlich schon erkannt. Der Klimastreikbewegung wird kaum etwas anderes übrig bleiben als weiterzumachen wie bisher: Ungebärdig, mit viel Druck auf der Strasse und Aktionen des zivilen Ungehorsams. Und mit strikter Zurückweisung, wenn die Parteipatriarchen und die Medien ihnen wieder einmal mit Liebesentzug drohen und ihnen vorschreiben wollen, was sie gefälligst zu tun hätten. (CR)