Einige bürgerliche Politiker aus dem Umkeis der mächtigen Erdöl- und Auto-Lobby geben sich alle Mühe, die wenigen, mageren Errungenschaften des CO2-Gesetzes schon vorsorglich zu eliminieren. Sie bringen die rotgrünen Befürworter des CO2-Gesetzes noch vor der Abstimmung in einen Erklärungsnotstand.

Nur mit Ach und Krach haben sich die SP, die Grüne Partei, die Umweltverbände und selbst das Gros der Klimawissenschafter dazu durchgerungen, das CO2-Gesetz zu befürworten. Gewiss, das Gesetz sei ungenügend und in seiner derzeitigen Fassung praktisch wirkungslos, so der einvernehmliche Tenor, aber immerhin stelle es die gesetzlichen Instrumente zur Verfügung, um in einem späteren Schritt die Schraube anzuziehen und die dringend notwendigen Verschärfungen nachzuholen, damit das Pariser Klimaziel doch noch erreicht werden könne.

Jetzt fordern bürgerliche Lobbyisten mit vorauseilendem Druck, dass wenigstens die Automobilisten von einem Preisaufschlag für Benzin und Diesel verschont bleiben, sollte das CO2-Gesetz im Juni angenommen werden. Es ist anzunehmen, dass dies erst eine Art Probelauf ist und bald auch die Fluglobby, die Hausbesitzer und andere Wirtschaftsverbände, die in Zukunft von Verschärfungen betroffen sein könnten, nachziehen und für ihre Branchen Ausnahmeregelungen verlangen werden. 

Die im Gesetz vorgesehene Erhöhung der Spritpreise sind eine Lappalie

Dass es sich bloss um einen ersten Probelauf handeln könnte, ist einsichtig, denn für sich genommen ist diese Forderung eine Lappalie: Die paar wenigen und maximal 12 Rappen Preisaufschlag tun kaum einem Autofahrer wirklich weh, erst recht werden sie diese nicht dazu bewegen, weniger zu fahren.  Die Statistiken belegen, dass die fast ebenso grossen saisonalen Schwankungen und der durchschnittliche Preisaufschlag über die Jahre von insgesamt 22 Rappen seit 2016 das Fahrverhalten nicht beeinflusst haben. Laut einem Bericht des Tages-Anzeigers hat eine Infrastudie des Lausanner Städte- und Umweltökonomen Philippe Thalmann ergeben, dass erst eine Preissteigerung von 60 Rappen, also dem Fünffachen (!) der im CO2-Gesetz festgelegten Höchstgrenze, eine Verhaltensänderung bewirkt, die dem Klimaziel beim Verkehr entspricht. 

Im Fokus steht die CO2-Verordnung

Der Vorstoss der bürgerlichen Lobbyisten zielt nicht direkt auf das CO2-Gesetz, das laut Meinungsumfragen angenommen werden dürfte. Über Ausnahmeregelungen entscheidet aber nicht das Volk oder das Parlament, sondern allein der Bundesrat. So lenkt die Forderung, die von der nationalrätlichen Wirschaftskommission mehrheitlich unterstützt wird, die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein Dokument, das die rotgrünen Befürworter des CO2-Gesetzes wohl lieber bis nach der Abstimmung unter dem Deckel gehalten hätten: den Entwurf der CO2-Verordnung, den der Bundesrat am 14. April in die Vernehmlassung geschickt hat. Die Vernehmlassungsfrist dauert bis am 15. Juli.

Die Absicht des Bundesrates ist, freundlich ausgedrückt, gut gemeint. «Dadurch kann vor der Abstimmung über das revidierte CO2-Gesetz zu den Umsetzungsfragen Klarheit geschaffen werden», heisst es in der Pressemitteilung des Bundesrates. «Die CO2-Verordnung legt Reduktionsziele für die verschiedenen Sektoren fest und konkretisiert die gesetzlichen Bestimmungen, die das Parlament  mit der Revision des CO2-Gesetzes beschlossen hat».

Schön wär’s. Denn das klingt zwar hübsch, bloss: Statt Klarheit schafft der Entwurf neue Unklarheiten und Unsicherheiten. Zwar scheint die Verordnung in grandiosem Juristen-Sprech auf 171 Seiten in Hunderten von Abschnitten, Unterabschnitten und Unterunterabschnitten jedes kleinste Detail und alle möglichen Ausnahmeregelungen zu regeln – mehr als ein, zwei Dutzend masochistischer Experten werden sich kaum in diesen Paragrafen-Urwald wagen. Für die restlichen 99,99 Prozent wird gar nichts klar.

Wie der Amtsschimmel im Paragrafendschungel wiehert

So heisst es etwa – nur ein kleines Beispiel von Tausenden – zur Möglichkeit, dass Fluggesellschaften ihren Abgabesatz durch Beimischung erneuerbarer Flugtreibstoffe um 20 Prozent reduzieren können, unter anderem: «Die Netto-Verminderungsleistung wird gestützt auf die Emissionsverminderung bei der Nutzung, Produktion und Transport biogener Treibstoffe gegenüber fossilen Treibstoffen festgelegt. (…) Die Netto-Verminderungsleistung berechnet sich durch die Multiplikation der Emissionsverminderung unter Berücksichtigung der Energiedichte mit der substituieren Treibstoffmenge.» Alles klar? 

Wie wäre es denn zum Beispiel mit einem Text nach dem folgenden, hier leicht vereinfachten Muster: «Der CO2-Preis pro Tonne beträgt generell 260 Franken. Ausnahmen gibt es keine. Sollte dieser Preis nicht genügen, um das Pariser Klimaziel zu erreichen, erhöht sich der Preis so lange, bis die Emissionen den vorgegebenen Minderungspfad wieder erreichen.» Das versteht Jede und Jeder, auch die Wirtschaft, es enthebt den druckempfindlichen Bundesrat, schwierige Entscheide zu fällen. Es macht unmissverständlich klar, dass das CO2-Gesetz ein Klima- und kein Konjunkturförderungsgesetz ist. Und schliesslich, dass das Pariser Klimaziel nicht  im Gegeneinander der verschiedenen Branchen, sondern nur gemeinsam solidarisch erreicht werden kann.

Der Bundesrat kann machen, was er will

Allerdings: Der akribische Hang zum Detail und die kaum verständliche Juristensprache sind noch das geringste aller Probleme. Das Kernproblem der Verordnung ist, dass sie entgegen ihrer proklamierten Absicht Vieles wieder nicht verbindlich regelt. Sie gibt zwar für die verschiedenen Sektoren Verkehr, Landwirtschaft, Industrie und Gebäude präzise Etappenziele vor. Wenn diese nicht erreicht werden, kann der Bundesrat für die nachfolgenden Jahre Verschärfungen anordnen.

Entscheidend ist: Der Bundesrat kann, muss aber nicht. Er kann auch in der Verordnung vorgesehene Ausnahmeregelungen in Kraft setzen. Der Bundesrat kann also letztlich in eigener Kompetenz und ohne das Parlament zu konsultieren, entscheiden, ob das CO2-Gesetz bis zur nächsten möglichen Verschärfungsrunde in einigen Jahren ein halbwegs wirkungsvolles Instrument zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen werden wird oder eben doch bloss ein Papiertiger bleibt. Das dürfte viele Lobbyisten diverser Branchen heftig anspornen, Druck auf den Bundesrat auszuüben. Mit grossen Erfolgsaussichten, wenn man das mutlose Lavieren des Bundesrates in der Coronakrise zum Massstab nimmt.

Die rotgrünen Parteien bringt das ein weiteres Mal in einen unangenehmen Erklärungsnotstand: Sie unterstützen ein Gesetz, von dem sie keine Ahnung haben, ob es, wenn auch ungenügend, so doch wenigsten in die richtige Richtung weist. Oder ob es gar den Gegnern einer wirkungsvollen Klimapolitik hilft, ihre Interessen mit Druck auf den Bundesrat durchzusetzen. Das CO2-Gesetz wäre dann nicht wie behauptet das Maximum dessen, was sich derzeit durchsetzen lässt, sondern der Sieg der Gegner des Gesetzes über die Befürworter. Einfach durch die Hintertüre. (CR)

Kleiner Nachtrag

Einen «perfiden Plan», nennt Stefan Häne im Tages-Anzeiger den Vorstoss der bürgerlichen Politiker, für die Automobilisten eine Ausnahmeregelung herauszuschinden. Er sei «Gift für das Vertrauen in die Politik». Etwas weniger emotional könnte man aber auch einfach sagen: Das ist Politik. Ganz und gar gewöhnliche Politik: Immer versuchen Lobbyisten mächtiger Interessengruppen, für ihre Klientele das Bestmögliche herauszuholen, das ist ihr ganz normales, legitimes Geschäft. Sei es, indem sie Druck auf den Bundesrat ausüben, sei es, indem sie andere Parteien zu faulen Kompromissen zwingen, indem sie drohen, andernfalls ihre Zustimmung zu einem Geschäft zu verweigern. Oder sei es wie in diesem Fall, indem sie versuchen, Lücken, Unklarheiten oder in untergeordneten Verordnungen wenig transparente Entscheidungsspielräume auszunutzen. Ein politischer Naivling, wer den glühenden Bekenntnissen der bürgerlichen Parlamentarier zum CO2-Gesetz glaubt und meint, sie seien nur dem Gemeinwohl verpflichtet.

Mit anderen Worten: Die Forderung der Autofreunde ist nur das erste Indiz für das, was wir alle schon längst ahnen, aber die rotgrünen Befürworter des CO2-Gesetzes tunlichst verschweigen möchten. Nämlich dass die grosse Verbrüderung zwischen Rotgrün und der Wirtschaft, zwischen den Umwelt- und den Wirtschaftsverbänden bloss eine Liebe auf Zeit ist, dass sich viele der temporären bürgerlichen Klimaschützer nach der Abstimmung schleunigst wieder aus dem Klimazug verabschieden werden, um wieder ihre ganz partikulären Interessen zu verteidigen. Wird das CO2-Gesetz angenommen, haben sie ihr Ziel erreicht, möglichst wenig zu erreichen, was ihre kurzfristigen Geschäftsinteressen stören könnte. Da hilft auch nicht das flehentliche Werben der Umweltministerin Simonetta Sommaruga, die in ihren kuriosen Interviews das CO2-Gesetz in erster Linie als Konjunktur- und Inovationsgesetz anpreist – vom Klima ist in diesen Interviews bezeichnenderweise kaum die Rede, dafür umso mehr davon, dass fast allen dank dem CO2-Gesetz letztlich «mehr im Portemonnaie» übrig bleibt. Und die wohlweislich verschweigt, dass die absehbaren Umweltkosten nicht so sehr vom Benzinpreis, der Flugticketabgabe oder den Heizkosten abhängen, sondern letztlich von den milliardenhohen Infrastrukturkosten, die – CO2-Gesetz hin oder her – in den nächsten Jahrzehnten anfallen und von den Steuerzahlerinnen und -zahlern finanziert werden müssen. Das wird das Portemonnaie der sogenannten kleinen Leute mit Sicherheit weit mehr belasten als ein um ein paar Rappen höherer Benzinpreis.

Das Vertrauen in die Politik, da liegt Häne mit Sicherheit falsch, wird nicht erst durch den «perfiden Plan» der Autolobbyisten untergraben, sondern- schon seit längerem – in erster Linie dadurch, dass die rotgrünen Befürworter sich alle Mühe geben zu verschweigen, wie löcherig das CO2-Gesetz ist. Wie vage und unverbindlich es dank den vielen Ausnahmeregelungen und Schlupflöchern in den Ausführungsbestimmungen sein wird. Wie viele Möglichkeiten es bietet, die gut gemeinten Absichten zu unterlaufen. Kurzum: Es ist nicht der «perfide Plan», der das Misstrauen gegenüber der Politik schürt; es sind, das belegen zahlreiche Meinungsumfragen (Stichwort «Politikverdrossenheit»), die Politikerinnen und Politiker selbst, ihre Verdruckstheit, ihr Unvermögen, ihre Angst, uns die ganze Wahrheit zu sagen; es ist die mangelnde Transparenz, die Diskrepanz zwischen ihren Bekundungen und ihrem inkonsequenten Handeln, die unser Vertrauen in die Politik zerstören. (CR)