Schon vor der Abstimmung vom 13.Juni machen diverse einflussreiche Lobbygruppen klar, dass sie bei einer Annahme des CO2-Gesetzes mit allen Mitteln versuchen werden, selbst noch die bescheidensten Fortschritte des Gesetzes zu unterlaufen. Die Chancen, dass sie damit Erfolg haben, stehen gar nicht schlecht. Das wäre nicht bloss für die rotgrünen Befürworter, sondern selbst für jene, denen das Gesetz viel zu wenig weit geht, ein schlimmes Fiasko.

Den Anfang machte vor einigen Tagen die Autolobby: Sie forderte, dass die im Gesetz vorgesehene kleine Erhöhung des Benzin- und Dieselpreises durch eine Ausnahmeregelung ausser Kraft gesetzt wird. Dasselbe forderte kurz darauf auch der Hauseigentümerverband: Die im Gesetz vorgesehene Erhöhung der Abgaben auf Brennstoffen und die neuen Grenzwerte für den CO2-Ausstoss von Gebäuden würden die Hauseigentümer überfordern und die Mietkosten völlig unakzeptabel in die Höhe treiben.

Auch die Flugunternehmen wollen nicht mitspielen; sie werden aller Voraussicht nach die von den Befürwortern hoch gepriesene Lenkungswirkung der neuen Flugticketabgabe ausser Kraft setzen: «Die Marktmechanismen werden es nicht erlauben, die Flugticketabgabe auf die Passagiere zu überwälzen», meinte Swiss-Chef Dieter Vranckx in einem Interview mit der SonntagsZeitung. Damit entfällt die ohnehin schon geringe Lenkungswirkung vollends, denn: Warum soll jemand, zumindest aus finanziellen Gründen, weniger fliegen, wenn die Flugpreise doch gleich bleiben? Noch schlimmer: Weil die von den Fluggesellschaften bezahlte Flugticketabgabe zum grossen Teil ins legendäre «Portemonnaie der kleinen Leute» (zurück)fliesst, werden Flugreisen unterm Strich vom Staat sogar noch subventioniert.

Natürlich zwingt niemand den Bundesrat, der mit seinen Verordnungen allein über Ausnahmeregelungen entscheiden kann, auf die Forderungen der Auto- und Erdöllobby, der Hauseigentümer und, wie wir bald sehen werden, weiterer einflussreicher Lobbygruppen einzugehen. Aber es entspricht «gutschweizerischer» Gepflogenheit, insbesondere bei knappen Abstimmungsresultaten den «Verlierern» in den Ausführungsbestimmungen weitestmöglich entgegenzukommen.

Auch die FDP ist auf dem Absprung

Das wird auch der FDP, die sich derzeit als Retterin des CO-Gesetzes aufspielt, sehr gelegen kommen. Zwar hat die taktisch versierte FDP-Chefin Petra Gössi mit ihrer medial perfekt inszenierten Mitgliederbefragung im Juni 2019 ihrer Partei ein grünes Mäntelchen umgehängt und mit einigen kleinen Zugeständnissen die SP, die Grünen und die GLP ins Lager der Befürworter gelockt, aber: Wie die jüngste Tamedia-Umfrage zeigt, sind 61 Prozent der FDP-Wählerinnen und -Wähler klar gegen  das CO2-Gesetz. Gössi wird sich also, nur schon, um ihre eigene Position zu retten, kaum gegen grosszügige Konzessionen an ihre (auch parteiinternen) Gegner wehren. Und sich auch nicht allzu heftig für eine möglichst rasche Verschärfung des Gesetzes engagieren. Damit schwindet auch die innig beschworene Hoffnung der SP und der Grünen, dass sich das ungenügende Gesetz in Kürze «nachbessern» liesse. 

Dass der sanfte Grünstich trotz gegenteiliger Beteuerung nicht wirklich zur DNA der FDP gehört, sondern bloss taktischem Kalkül entspringt, verriet Gössi kürzlich selber in einem Streitgespräch mit SVP-Präsident Marco Chiesa in der NZZ:  «Hätte uns die SVP besser unterstützt, hätten wir gegenüber Rot-Grün noch weniger Konzessionen machen müssen», meinte sie. Dann hätte die FDP die rotgrünen «Verbotsparteien» noch klarer in die Schranken weisen können und die Flugticketabgabe, die Erhöhung der Brenn- und Treibstoffpreise wie auch die Festschreibung eines Inlandanteils verhindern können. Fast alles hätte man dann der sogenannten Eigenverantwortung, dem unverbindlichen, freiwilligen Goodwill der Unternehmen oder eben dem sogenannten freien Spiel des Marktes überlassen.

Mit vagen Munkeleien ist es nicht getan

Jetzt versuchen die Gegner des CO2-Gesetzes, dies einfach durch die Hintertüre, mit Ausnahmeregelungen und – im Fall der Flugticketabgabe – Preis-Tricks zu erreichen. Sollte der Bundesrat nach einer allfälligen Annahme des CO2-Gesetzes dem Druck der Autohändler, der Erdöl-und TransportIndustrie, der Hausbesitzer, anderer einflussreicher Lobbygruppen, der SVP und FDP nachgeben – und einiges spricht dafür, wenn man sein mutloses Lavieren in der Corona-Krise betrachtet -, dann wird das CO2-Gesetz vollends eine wirkungslose Luftnummer. Denn der Auto- und der Flugverkehr und der Gebäudesektor machen allein schon über die die Hälfte der CO2-Emissionen aus. Wenn die Treibhausgase gerade in diesen ausschlaggebenden Bereichen nicht sehr schnell sehr massiv reduziert werden, bleibt das deklarierte Klimaziel 2030 völlig unerreichbar. Zumal von der Landwirtschaft (weitere 15 Prozent der Emissionen) im CO2-Gesetz noch nicht  einmal die Rede ist: die sogenannte «Agrarpolitik 22+» wurde eben wieder für weitere Jahre schubladisiert. Und eine Regulierung des Finanzsektors, der mit seinen Kapitalanlagen für ebenso viele Emissionen «verantwortlich» ist wie die gesamte Schweiz, steht ohnehin in den Sternen. Die Banken und Versicherungen müssen zwar laut CO2-Gesetz Auskunft geben über die Klimaverträglichkeit ihrer Anlagen; konkrete Maßnahmen oder Zielvereinbarungen aber sieht das CO2-Gesetz nicht vor.

So könnte die Annahme des CO2-Gesetzes entgegen den Träumen der rotgrünen Befürworter genauso für eine völlige Lähmung der Schweizer Klimapolitik sorgen wie eine Ablehnung. Die Grünen, die SP, die Umweltverbände wie auch die Klimawissenschafter müssten – und dies noch vor der Abstimmung – konkret ihre Pläne offenlegen, wie es denn nach der Abstimmung weiter gehen soll. Die vagen Munkeleien, das CO2-Gesetz sei doch «vernünftig», «gerecht», «fair» und «kostengünstig», reichen offensichtlich eben nicht, um die Mehrheit der Stimmbürgerinnen und -bürger zu überzeugen. Sie wollen und sollen wissen dürfen, wie genau, mit welchen konkreten Massnahmen und verbindlichen Schritten die rotgrünen Befürworter in den kommenden paar Jahren die Treibhausgasemissionen um 23 Millionen (!) Tonnen senken wollen. Vor allem die Klimajugend, denen die rotgrünen Parteien doch zum grossen Teil ihren Erfolg zu verdanken hat, wird wissen wollen, ob sie den Rotgrünen dieses Mal mehr vertrauen kann als vor zwei Jahren, als die beiden Parteien ihnen vor den Wahlen das Blaue vom Himmel versprochen haben und nach den Wahlen den Schwanz eingezogen haben. Den jungen Klimastreikenden geht es nämlich nicht um Wahlerfolge, um Bundesrats- und andere Pöstchen, sondern schlicht um ihre Zukunft. (CR)