Jetzt, nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes, zeigt sich, was man allerdings schon ahnte: Niemand – auch nicht die Grünen und die SP – hat einen konkreten Plan, wie es mit der Klimapolitik der Schweiz weitergehen soll. Es  herrscht ein kunterbuntes Jekami. 

Nichts hätte die Verwirrung nach der Abstimmung deutlicher machen können als die Arena am Freitag vergangener Woche (25. Juni) . Jacqueline Badran (SP), Bastien Girod (Grüne), Beat Walti (FDP) und Mike Egger (SVP) inszenierten eine Art Polit-Kindergarten;  sie bewarfen sich mit halbgaren Ideen und den Ladenhütern aus dem missglückten Abstimmungskampf, sie beschimpften sich gegenseitig und machten den jeweils Beschimpften zugleich nicht-ernstgemeinte Scheinangebote zur Zusammenarbeit; sie ergingen sich in Rechthabereien und Belehrungen, oft redeten alle gleichzeitig aufeinander ein, selten hörten sie einander wirklich zu. 

Munter ging es in den 70 Minuten um Lenkungsabgaben, Bevölkerungswachstum und synthetischen Treibstoff, um Bürokratieabbau, Kohlenkraftwerke und Tornados in Polen, um den Preisanstieg von Kägi fret-Bisquits und den Klimafonds, um die Stromversorgung und die Verkehrswende, um den Finanzplatz Schweiz und phosphatfreie Waschmittel, um Grenzwerte, Regulierungen, Wasserstoff und Technologieneutralität, um Energiehypotheken, Eigenverantwortung, Gletscherschwund, Kostenwahrheit  und Tourismus.

Augenverdrehen und Herumfuchteln machen noch keine Klimapolitik

Chaos total: Da konnte Jacqueline Badran noch so sehr die Augen verdrehen und wild herumfuchteln, Beat Walti den liberalen Geist und das freie Unternehmertum beschwören, da konnte Bastien Girod mit staatsmännischem Gestus zu jeder Belanglosigkeit erklären, das sei ein wichtiges Thema, das «wir uns anschauen müssen» – wer von der Arena einige konstruktive Ideen oder ernsthafte klimapolitische Statements erwartet hatte, schaute an diesem Freitag vergeblich in die Röhre.  

Da half auch nicht weiter, dass der SVP-Demagoge Mike Egger in trump’scher Grossmäuligkeit behauptete, es sei doch alles in bester Ordnung, die Schweiz sei jetzt schon «Weltmeister im Umwelt- und Klimaschutz», und forderte, die Schweiz müsse das Pariser Klimaabkommen «nachverhandeln». (Dass die Schweiz das von fast 200 Staaten verbindlich ratifizierte Abkommen nicht nachverhandeln, sondern allenfalls aus dem Abkommen aussteigen kann, gehört ausserhalb der SVP eigentlich zum völkerrechtlichen Grundwissen.) 

Weiterwursteln wie bisher?

Tohuwabohu herrscht derzeit aber auch ausserhalb der Arena. Einig ist man sich bloss, dass einige unumstrittene befristete Massnahmen des geltenden Gesetzes, die Ende 2021 auslaufen würden, notwendigerweise um einige Jahre verlängert werden müssen. Ansonsten ist man sich vor allem uneinig.   

Worum es auch immer geht, ob um Flugticketabgabe, Benzinpreiserhöhung, Klimafonds oder Zertifikatehandel, – sogleich beginnt wieder die alte Hackerei, kämpft man wie bisher mit den gleichen Halbwahrheiten, Unterstellungen und Beschuldigungen. 

Was in den kommenden Monaten zu erwarten ist, zeigten schon die ersten Reaktionen nach der Abstimmung. Man sei viel zu viele Kompromisse eingegangen, meinte die Noch-FDP-Parteipräsidentin Petra Gössi, welche die rotgrüne Klimaallianz im vergangenen Jahr genau mit diesen Kompromissen ins Lager der Befürworter gelockt hatte. Bei einer Neuauflage des Gesetzes müsse man nun «auf noch liberalere Lösungen» setzen -, auf mehr marktwirtschaftliche und weniger dirigistische Instrumente. 

Balthasar Glättli: » Es braucht auch Verbote»

Genau den gegenteiligen Schluss aus dem Debakel zog der grüne Parteipräsident Balthasar Glättli: Für das Erreichen der Klimaziele genüge nicht die unsichtbare Hand des Marktes, sondern brauche es die starke Hand des Staates, die nicht bloss irgendwelche Ziele formuliert, sondern konkrete Massnahmen durchsetzt.  Dazu gehören, so Glättli in der WoZ,  neben grosszügigen Subventionen und Förderinstrumenten auch Verbote: «Die Geschichte der Umweltpolitik zeigt, dass Verbote und technische Vorschriften an der Urne erfolgreicher sind als Anreize für die KonsumentInnen. Ganz einfach, weil sie für alle gelten.»

Auch um die Benzinpreiserhöhung wird schon wieder eifrig gestritten, als ginge es dabei ums Überleben der Schweizer Landbevölkerung: Die einen wollen den Zuschlag wie bisher bei 5 Rappen pro Liter belassen, die anderen ihn wie im abgelehnten CO2-Gesetz vorgesehen auf maximal 12 Rappen erhöhen; der Luzerner SVP-Nationalrat und Trump-Fan Franz Grüter plädiert für eine Senkung um 7 Rappen, während der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) einen sukzessiven Zuschlag bis zu einem Franken bis 2035 fordert. Und uneins ist man sich selbstverständlich auch darüber, ob der Benzinzuschlag als Lenkungsabgabe vollumfänglich an die Bevölkerung und die Unternehmen zurückerstattet werden soll oder zum Teil in den umstrittenen Klimafonds fliessen darf. 

Zwei weitere Volksinitiativen

Neben diesem Klein-Klein, das die Klimapolitik vermutlich während der nächsten paar Jahre beschäftigen und lähmen wird, wagen zumindest die SP, die Grünen, die Umweltverbände und die Jungen Grünen einen etwas weiteren Blick in die Zukunft. Die rotgrünen Parteien werden gemeinsam mit den Umweltverbänden der Klima-Allianz eine Volksinitiative zur Regulierung des Schweizer Finanzmarktes lancieren. Natürlich zu Recht, denn die Banken, Versicherungen und Pensionskassen gehören mit ihren Kreditvergaben an grosse fossile Unternehmen und Rohstoffkonzerne zu den bedeutsamsten (indirekten) Verursachern von Emissionen. Mit einer strikten Regulierung der Finanzbranche hätte die Schweiz, so die SP, einen Hebel in der Hand, der mehr zur Reduktion von Treibhausgasen beiträgt als die gesamten inländischen Massnahmen.

Umfassender noch ist die sogenannte «Umweltverantwortungsinitiative», welche die Jungen Grünen demnächst starten. Gemäss dem Initiativtext soll in der Verfassung verbindlich festgeschrieben werden, dass «wirtschaftliche Tätigkeiten nur so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen dürfen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben». Die Initiative umfasst neben dem Klima auch die Biodiversität, die Landnutzung, den Wasserverbrauch, den Stickstoff- und Phosphateintrag. (Auf welchen Grundlagen die Initiative beruht, siehe unten.)

Der Schwachpunkt dieser beiden Initiative ist nicht in erster Linie ihr Inhalt, auch wenn Roger Nordmann und Jürg Grossen, die beiden Obertaktiker der SP und GLP, gleich wieder Zetermordio schreien, sondern ihr zeitlicher Ablauf: Bis diese noch nicht einmal lancierten Initiativen vors Volk kommen, dauert es (inklusiv wahrscheinlichem Referendum) rund drei bis vier Jahre; bis der allfällige Verfassungsartikel dann auf Gesetzesstufe umgesetzt wird, weitere drei, vier Jahre. 

Die Gletscherinitiative wird wieder aktuell

So könnte die Gletscherinitiative, die im Abstimmungskampf um das CO2-Gesetz fast etwas in Vergessenheit geraten ist, plötzlich wieder brandaktuell werden und gleichsam Treiber für weitere  anstehende Umweltgesetze werden, etwa für das Energie- und das Strommarktgesetz oder die Agrarreform 22+. Denn: Die Gletscherinitiative hat nicht bloss ein übergreifendes Ziel, einen «ganzheitlichen» Ansatz, sie ist vor allem bereits ein ganz schönes Stück weiter als die geplanten neuen Initiativen: Wenn der Bundesrat sie nicht durch einen direkten Gegenvorschlag um Jahre verzögern würde, könnte über ein wirksames Klimagesetz (als indirekter Gegenvorschlag zur Initiative) bereits in zwei, drei Jahren abgestimmt werden. 

Allerdings besteht die Gefahr, dass die Gletscherinitiative von der SVP missbraucht werden könnte, nämlich als Plebiszit gegen das Pariser Klimaabkommen, welches die Schweiz im Oktober 2017 völkerrechtlich verbindlich unterzeichnet hat. Nicht zufällig will SVP-Nationalrat Christian Imark bald im Parlament einen Vorstoss einreichen, um das weitherum anerkannte Ziel «Netto Null bis 2050» zu bekämpfen. Die Gletscherinitiative würde so für die SVP, die Öl- und Autoimport-Lobby, den Hauseigentümer- und Bauernverband die grosse Bühne, auf der sie weiterhin ihre Obstruktionspolitik betreiben könnten. Über das Zwischenziel von 2030 braucht man dann ohnehin nicht mehr zu diskutieren, (CR)

Die Umweltverantwortungsinitiative

Die «Umweltverantwortungsinitiative» der Jungen Grünen will in der Verfassung verbindlich festschreiben, dass «wirtschaftliche Tätigkeiten nur so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen dürfen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben»; das soll nicht bloss für das Klima gelten, sondern auch für die Biodiversität, Landnutzung, den Wasserverbrauch, den Stickstoff- und Phosphateintrag.

Als Massstab gelten die auf die Schweizer Bevölkerung heruntergebrochene  «planetarischen Belastbarkeitsgrenzen», gleichsam der Fussabdruck der Schweiz im globalen Kontext. Das von einem Forscherteam des Stockholm Resilience Centre entwickelte Modell ist ein wissenschaftlich gut begründetes Überlebenskonzept der Erde; es geht von der Überlegung aus, dass die Erde eine dauerhafte Übernutzung der natürlichen Ressourcen und permanente Schädigung der Biosphäre schlicht nicht überleben kann. Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Umwelt (Bafu), die Stefan Häne und Martin Läubli im Tages-Anzeiger vom 16. Juni zitieren, dürfte die Schweizer Bevölkerung jährlich pro Kopf bloss noch 0,6 Tonnen CO2 verbrauchen; tatsächlich sind des aber im Durchschnitt 4,5 Tonnen. Zählt man die sogenannten «grauen Emissionen dazu, verbraucht jede Einwohnerin, jeder Einwohner derzeit pro Jahr sogar 14 Tonnen CO2.