Sie haben es wieder getan: Die Klimastreikbewegung «Rise Up for Change» versperrte in der vergangenen Woche für einige Stunden die Eingänge der beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse (CS) am Zürcher Paradeplatz und demonstrierte am Mittwoch vor der Nationalbank am Bürkliplatz. Die Polizei, die Parteien und die Medien reagierten erwartungsgemäss so, wie sie in solchen Fällen immer reagieren.
Die Aktionen von Rise Up for Change richten sich (nicht zum ersten Mal) gegen den Finanzplatz Schweiz, insbesondere gegen die beiden Grossbanken UBS und CS, die jedes Jahr immer noch Milliarden in die Kohle-, Erdöl- und Erdgas-Industrie pumpen und damit Treibhausgasemissionen mitfinanzieren, welche insgesamt rund 2 Prozent der weltweiten Emissionen ausmachen.
Zwar gaben bei einem (freiwilligen!) Klimaverträglichkeitstest des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) und des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) im vergangenen Jahr die Mehrzahl der teilnehmenden Banken an, eine Klimastrategie zu verfolgen, aber allzu ernst scheint es den Banken mit diesen Strategien nicht sein. So schreibt das Bafu in einer Zusammenfassung dieses Tests: «Obwohl ein Drittel der Institute angibt, die Klima- und Nachhaltigkeitsziele ihrer Kundinnen und Kunden zu berücksichtigen, greifen nur 5 Prozent das Thema regelmässig von sich aus auf. Die meisten befragen ihre Kundinnen und Kunden erst auf deren Nachfrage.» (Nicht mitgemacht an diesem Klimaverträglichkeitstest hat übrigens die Schweizerischen Nationalbank, die sich hinter der etwas mageren Ausrede versteckt, ihr Anlageverhalten sei primär auf die Erfüllung des geldpolitischen Auftrags ausgerichtet.)
Und – auch diese Feststellung stammt nicht von den irgendwelchen «Alarmisten», sondern vom Bafu: «Insgesamt investiert der Schweizer Finanzplatz heute (2020) viermal mehr Mittel in Firmen, die Strom aus fossilen Quellen wie Kohle und Gas erzeugen, als sie in Produzenten von erneuerbarem Strom investiert. 80 Prozent der Teilnehmenden halten Firmen in ihren Portofolien, die Kohle abbauen. Dabei unterstützt der Schweizer Finanzplatz im Schnitt einen zusätzlichen Ausbau der internationalen Kohle- und Erdgasförderung.»
Das Verzögerung-Perpetuum mobile
Das alles wissen wir natürlich seit langem, auch wenn Jörg Gasser, der CEO der Bankiervereinigung, dies wider besseres Wissen im Tages-Anzeiger vom 6. August bestreitet; die Analysen von Greenpeace und WWF zum Finanzplatz belegen das Gegenteil.
Zu Recht also fordern die Umweltverbände seit Jahren, dass der Finanzplatz Schweiz endlich strenger reguliert wird. Allerdings bislang vergeblich, denn auch der Bundesrat steht auf der Bremse; er reagiert wie immer, wenn unliebsame Entscheidungen anstehen: Er setzt Expertengremien ein, die Berichte verfassen – so etwa den Bericht «Nachhaltigkeit im Finanzsektor» –, und er initiiert Forschungsarbeiten, die von den zuständigen Bundesämtern dann wieder zu weiteren Berichten verarbeitet werden – eine Art Verzögerungs-Perpetuum mobile, das kaum etwas bewirken wird, solange der Bundesrat eisern darauf besteht, dass letztlich alle Empfehlungen unverbindlich und alle Massnahmen freiwillig bleiben sollen.
Die verantwortungsvollen Blockaden der SVP und FDP
Dass die Klimajugendlichen von «Rise Up for Change» gegen diese Verzögerungs- und Verhinderungstaktik rebellieren, wird man ihnen kaum verdenken können. Und ebenso, dass sie dabei da und dort mit spektakulären, zugegeben auch illegalen Aktionen darauf aufmerksam machen, weil alle Forderungen der Umweltverbände, alle Demonstrationen und Proteste bisher völlig vergeblich waren.
Dass die bürgerlichen Parteien, vorab natürlich die SVP, mit Zetermordio-Geschrei reagieren würden, war voraussehbar. Verantwortungslos und undemokratisch sei das Verhalten der Klimajugendlichen. Das sagt ausgerechnet eine Partei, deren Verantwortung bislang aussschliesslich darin bestand, zu verhindern, dass die Benzinpreise um ein paar Rappen pro Liter angehoben werden und Vielflieger ein wenig zur Kasse gebeten werden. Denn: Wo war die SVP denn, als das Bafu im Juni vorigen Jahres seinen unmissverständlichen Bericht über die Verantwortungslosigkeit der Banken veröffentlichte? Was hört man jetzt von ihr, wo die täglichen Katastrophenmeldungen sich überschlagen, Tausende von Menschen all ihr Hab und Gut verlieren, Hundertausende in den Dürre- und Überschwemmungsgebieten hungern und leiden? Wie nehmen die SVP-Politiker und Erdöl-Lobbyisten ihre Verantwortung wahr, dafür zu sorgen, dass die Schweiz möglichst schnell eine wirkungsvolle Klimagesetzgebung bekommt? Oder – eine etwas grundsätzlichere Frage: Wie stellen sie sich vor, sollen demokratische Institutionen Einfluss nehmen auf privatwirtschaftliche, also völlig undemokratisch organisierte Unternehmen, wenn alle Massnahmen auf purer Freiwilligkeit beruhen?
Die guten Ratschläge der Medien
Und die Medien? Sie reagierten auf die kurzen Blockadeaktionen von «Rise Up for Change» ebenfalls voraussehbar. «Mit Anketten an Ölfässer gewinnt man keine Abstimmungen, meint Mario Stäuble in den Tamedia-Blättern, als ob demnächst eine Abstimmung über den Finanzplatz anstehen würde. (Die von der SP, der Grünen Partei und den Umweltverbänden angekündigte Volksinitiative dürfte gemäss dem üblichen parlamentarischen Verfahren frühestens in vier bis fünf Jahren zur Abstimmung kommen, bis zur Umsetzung in ein Finanzplatz-Regulierungsgesetz werden weitere Jahre verstreichen.)
Ähnlich argumentiert auch Fabian Baumgartner in der NZZ. «Um gute Lösungen zu finden, braucht es einen Wettbewerb der Ideen, Innovationen und Preissignale, aber keine Zwängerei mittels Blockaden. Einen Gefallen tun sich die Aktivistinnen und Aktivisten mit ihrem Vorgehen jedenfalls nicht.»
Die Klimajugendlichen werden sich für diese Ratschläge bedanken. Ihnen geht es aber – aus durchaus einleuchtenden Gründen – um mehr Tempo. Dazu braucht es keinen Wettbewerb der Ideen, keine Innovationen in futuristische Megatechnologien, die erst, wenn überhaupt, in zehn Jahren oder mehr zur Verfügung stehen.
Wenn nichts mehr vorwärtsgeht, wenn der «Klima-Notruf» von 14’000 Klimawissenschafterinnen und -wissenschafter aus rund 150 Ländern fast ungehört verhallt, wenn die täglichen Katastrophenmeldungen oder der neueste höchst alamierende Sachstandreport des Weltklimarats bloss dazu führen, dass die Politikerinnen und Politiker sich gegenseitig versichern, bald etwas tun zu wollen, dann ist die Frage mehr als berechtigt, ab wann Ziviler Ungehorsam legitim ist. Dass die Medien um diese heikle Frage einen grossen Bogen machen, kommt nicht von ungefähr; sie haben sich ein recht billiges Argumentarium zurechtgelegt: Solange die Klimajugendlichen legal auf den Strassen demonstrieren, verhöhnt man sie als Weltuntergangssektierer, Fantasten, unzurechnungsfähige Teenager und marxistisch unterwanderte Fanatiker (alles Zitate aus der NZZ und den Tamedia-Zeitungen), blockieren sie für einige Stunden ein paar Bankeneingänge, diffamiert man sie verantwortungslose, undemokratische Chaoten, die mit ihren kriminellen Gewalttaten den Rechtsstaat unterwandern. Und liefert ihnen damit gleich noch einen weiteren Grund, mit Demonstrationen und gelegentlichen illegalen Aktionen weiterzufahren. (CR)
Weiteres zur Legitimität des Zivilen ungehorsams findet man übrigens hier.