Nach dem Scheitern des CO2-Gesetzes versuchen auch die Parteien, mit neuen Impulsen die gescheiterte Schweizer Klimapolitik wieder in Fahrt zu bringen. So richtig fündig sind sie dabei allerdings noch nicht geworden.
Was als Erstes auffällt: Alle Parteien, auch die SP und die Grünen, haben es in den langen Monaten vor der Abstimmung völlig verpasst, sich ernsthaft Gedanken zu machen, wie es weitergehen könnte, falls das CO2-Gesetz vom Volk abgelehnt wird. Keine hat – eine strategische Fehlleistung – einen Plan B entwickelt, den sie jetzt aus der Schublade ziehen könnte. Was die Parteien derzeit bieten, ist ein bunter Strauss halbgarer Ideen, Trümmerteilen des abgelehnten CO2-Gesetzes und neu aufgewärmter ideologischer Glaubensbekenntnisse, mit denen sie schon seit Jahren hausieren gehen.
Am einfachsten macht es sich die SVP, deren Wortführer frohlocken und ätzen: «Ätsch, wir haben es ja schon immer gesagt!» Ihr obstruktiver Vorschlag: Nur keine Aufregung, wo die Schweiz doch eh bloss für 0,1 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich ist.
FDP: Der Markt wird es schon richten
In der FDP sind die Hardcore-Gegner einer wirkungsvollen Klimapolitik daran, den zeitweilig etwas leiser gewordenen Lobgesang der freien Marktwirtschaft, des Wettbewerbs und der Eigenverantwortung erneut zu intonieren: Sie schicken ihre Parteipräsidentin Petra Gössi in die Wüste, entsorgen deren grünes Mäntelchen und wollen fortan wieder rigoros die «sozialistischen Ideen», die Ökodiktatur der Grünen und SP bekämpfen, die ihrer Meinung nach Schuld sind am Scheitern des CO2-Gesetzes. Mit sogenannten «Anreizen» statt strengeren Massnahmen und Verboten sollen die «Bedürfnisse der Wirtschaft und der Umwelt versöhnt» werden, wobei es vor allem die Wirtschaft sein soll, die besser als all die rotgrünen Alarmisten und Tausenden von Klimawissenschaftern abschätzen kann, «wo es sich lohnt, Treibhausgase zu vermeiden».
Einen Beleg für die kühne Behauptung, dass die Unternehmen die besten Klimaschützer seien, sind die Freiheitskämpfer der FDP allerdings bis heute schuldig geblieben: Weder von der Erdöl-, der Zement- und Metallindustrie noch von den Autoimporteuren, den Hauseigentümern, den Bauern und den Banken ist in den letzten Jahren bekanntgeworden, dass sie sich selber auf verbindliche Emissionsminderungen verpflichtet hätten, die auch nur das Geringste mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens zu tun haben.
Während die bürgerlichen Parteien weitgehend in Siegerpose auftreten, haben sich die SP und die Grünen gleichsam ins Reduit zurückgezogen und verbreiten von dort aus Durchhalteparolen: Die Abstimmung vom 13. Juni bedeute nicht etwa, dass die Mehrheit keinen Klimaschutz wolle; vielmehr seien die Stimmbürgerinnen und -bürger bloss mit den vorgeschlagenen Massnahmen nicht einverstanden gewesen. Dumm nur, dass Rotgrün genau jene marktwirtschaftlichen Massnahmen für das Scheitern der Abstimmung verantwortlich macht und für politisch tot erklärt, welche die FDP und die Mitte-Parteien fortan wieder besonders lebendig werden lassen wollen. Die nächsten Patt-Situation ist also bereits fest vorprogrammiert.
SP: Häppchen-Politik
Wie genau, mit welchen konkreten Massnahmen die Sozialdemokraten die Emissionen in den kommenden acht Jahren um 23 Millionen Tonnen CO2 reduzieren wollen, bleibt vorderhand ihr Geheimnis. Der Vorschlag ihres Klimaexperten Roger Nordmann, Einzelteile des gescheiterten CO2-Gesetzes etappenweise in kleineren Häppchen zur Abstimmung zu bringen, kann man jedenfalls nicht ganz ernst nehmen. Kaum auszudenken, wie auf diese Weise eine konsistente Klimapolitik entstehen soll, insbesondere dann, wenn jedes einzelne dieser Teilchen in der parlamentarischen «Kompromissmühle» (Balthasar Glättli) zermahlen und bis zur Wirkungslosigkeit zusammengestaucht wird. Und das Volk dann dem einen Fragment zustimmt, das andere ablehnt. Zudem steht die Häppchenpolitik der SP im Widerspruch zu einem anderen, von der SP ebenfalls unterstützten Vorschlag, nämlich der Gletscherinitiative den indirekten Gegenvorschlag eines umfassenderen CO2-Gesetzes gegenüberzustellen.
Den Banken auf die Finger schauen
Aber: Mit der Lancierung einer Volksinitiative zur strengeren Regulierung des Finanzsektors, welche die SP zusammen mit den Umweltverbänden vorbereitet, greifen die Sozialdemokraten dann doch eines der wichtigsten und brisantesten Themen der Schweizer Klimapolitik auf, um das die bürgerlichen Parteien und der Bundesrat bisher immer einen grossen Bogen gemacht haben. Die Schweizer Banken, Versicherungen, Pensionskassen und anderen Finanzdienstleister gehören zumindest indirekt zu den schlimmsten «Klimasündern» der Welt; sie sind mit ihren Milliardeninvestitionen und -krediten für Kohle- und Erdöl-Unternehmen mitverantwortlich für rund 2 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Die Bereitschaft, ihre Absichtserklärungen und Versprechungen freiwillig umzusetzen, hält sich, wie Analysen von WWF, Greepeace und des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) zeigen, noch sehr in engen Grenzen. Eine strenge Regulierung des Finanzsektors, welche die Investitionen und Vergabe von Krediten an ökologische Nachhaltigkeitskriterien bindet, wäre ein gewichtiger Schritt auf dem Weg zu einer fossilfreien Zukunft.
Grüne: Grosszügige Förderung durch den Bund
Auch die Grünen sind, wenn man ihre Verlautbarungen liest, noch weit entfernt von einer klaren Vorstellung einer künftigen Schweizer Klimapolitik. Ihre Vorschläge erschöpfen sich weitgehend in Rhetorik und enthalten etwas voreilig schon das Angebot zum Kompromiss: «Wir können beim Klimaschutz nicht zu allem Nein sagen, nur weil es zu wenig weit geht», meint der Grünen-Chef Balthasar Glättli in einem Interview mit den Tamedia-Blättern.
Ihr derzeitiges Hauptanliegen ist ein sogenannter Transformationsfonds. Er gleicht auf den ersten Blick dem «Energiekredit», den SVP-Nationalrat Christian Imark ins Feld führt. Mit diesen Energiekrediten soll Immobilienbesitzern die energetische Sanierung ihrer Liegenschaften erleichtert werden, selbst dann, wenn diese bereits durch Hypotheken hoch belastet sind. Die Kredite werden über den ganzen Lebenszyklus der Investition zurückbezahlt. Insgesamt könnten so laut Mark bei einem Einsatz von 40 Milliarden rund 400’000 Häuser umweltfreundlicher gemacht werden.
Aber auch hier sind heftige Konflikte bereits absehbar. Während Imark eine rein privatwirtschaftliche Lösung anstrebt – der entsprechende Fonds soll vor allem durch Banken, Versicherungen und Pensionskassen gespiesen werden -, soll der Transformationsfonds der Grünen, der auch die Anschaffung von Elektromobilen oder Ladestationen fördert, ausschliesslich durch Bundesmittel finanziert werden.
Zu mehreren anderen Teilbereichen einer umfassenden Klimapolitik, etwa in den Bereichen Verkehr und Flugverkehr, Zertifikatehandel und Auslandkompensation haben die grünen Klimapolitikerinnen und -politiker sich offenbar noch keine klare neue Meinung gebildet. Im flotten Jekami-Stil lassen sie bunte Luftballone steigen, darunter auch gute Ideen wie diejenige von Bürgerräten, aber: Eine konsistente Klimapolitik ergibt sich daraus noch lange nicht.
Junge Grüne: Wir brauchen eine grundsätzliche Konzeptdebatte
Anders die Jungen Grünen, sie fordern mit ihrer «Umweltverantwortungsinitiative« als einzige Partei eine grundsätzliche Neuorientierung der Klimapolitik, was ihnen sogleich eine saftige Ohrfeige durch die Tamedia-Redaktoren Stefan Häne und Martin Läubli einbrachte. «Junge Grüne greifen zur Brechstange», schreiben die beiden, obwohl das Konzept der «Planetaren Belastungsgrenzen», das der Initiative zugrundeliegt, längst von der etablierten Klimawissenschaft akzeptiert und benutzt wird, unter anderem vom renommierten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dem Stockholm Resilience Center oder dem Wissenschaftlichen Beirat der deutschen Bundesregierung Globale Umweltveränderungen» (WBGU)
Die Initiative der grünen Jungpartei, die immerhin von der Mutterpartei unterstützt wird, sieht vor, dass die Schweiz zehn Jahre nach der Annahme der Initiative, also frühestens Mitte der 2030er-Jahre, die sogenannten planetaren Belastungsgrenzen, hinuntergebrochen auf die Schweiz, nicht mehr überschreiten darf. Dementsprechend dürften «wirtschaftliche Tätigkeiten nur so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben». Dies gilt für die Bereiche Klima, Biodiversität, Landnutzung, Wasserverbrauch, Stickstoff- und Phosphoreintrag.
Was an diesem Konzept Brechstange sein soll, können die beiden Autoren allerdings nicht erklären. Aus einsichtigen Gründen, denn: Dass man die Erde und ihre Ressourcen auf die Dauer nicht mehr ausbeuten kann, als dass sie hergibt, ist kaum eine übertriebene Forderung; wo diese Grenzen liegen, wissen wir seit immerhin 50 Jahren, seit Donella und Dennis Meadows «Grenzen des Wachstums» und dem «Brundtland-Bericht». Und was eigentlich zu tun wäre, wissen wir seit dem ersten IPCC-Sachstandbericht von 1990 ebenfalls.
Auch wenn die Umweltverantwortungsinitiative der Jungen Grünen erst in Vorbereitung ist und es Jahre dauern wird, bis sie vielleicht zur Abstimmung gelangt – sie bringt wieder grundsätzlichere Klimafragen aufs Tapet, wo die Parteien sonst schon wieder daran sind, in detailversessenem Kleinkrieg, mit Taktieren und Feilschen weiterzuwursteln. Obwohl sich ausser der SVP eigentlich alle Parteien einig sind, dass sich mit den derzeit diskutierten Massnahmen die Ziele des Pariser Klimaabkommens, weder das Zwischenziel 2030 noch Netto Null bis 2050, nicht erreichen lässt. Und dass die Zeit drängt. Sowohl der neue Sachstandsbericht des Weltklimarats wie der «Klima-Notruf» von 14’000 Wissenschaftern weisen darauf hin, dass wir unmittelbar vor massiven umumkehrbaren Klimaveränderungen stehen oder einige dieser Kipppunkte bereits überschritten haben. Und die Umweltministerin Simonetta Sommaruga: Sie zeigt sich, man glaubt es kaum, «beunruhigt». Und auch für die Parteien scheint es bei der aktuellen Klimadebatte weniger ums Klima als vielmehr um die Positionierung für den nächsten Wahlkampf und für den Kampf um einen Bundesratssitz zu gehen. (CR)
Nachtrag
Während die grossen Schweizer Tageszeitungen wie meist, wenn es ernst gilt, zuerst einmal zur Besonnenheit aufrufen oder jenen archimedischen Punkt suchen, an dem jedes Für und jedes Dagegen sich vollständig aufheben, wagt fast einzig die WochenZeitung (WoZ) klare Worte. Der Artikel lohnt sich, ein Probe-Abo für 8 Wochen kostet übrigens lediglich 25 Franken.