Wie die Schweiz wieder einmal eine Vorreiterin sein könnte
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, hat das EU-Parlament vor drei Wochen beschlossen, dass ab 2035 in der ganzen EU nur noch klimaneutrale Autos neu zugelassen werden. Die Schweiz wird diesen Beschluss übernehmen müssen. Aber: Es ginge auch schneller.
Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jubilierte und redete von einem «entscheidenden Meilenstein zur Erreichung unseres Klimaziels». Auch die deutsche Bundesumweltministerin Steffi Lemke lobte den Entscheid als «klare Weichenstellung für wirkungsvollen Klimaschutz», während sich die Begeisterung bei den Umweltverbänden in engen Grenzen hielt. Von Meilenstein könne keine Rede sein, eher sei der Beschluss ein Stolperstein auf dem Weg zu einer wirkungsvollen europäischen Klimapolitik.
Raffinierte Täuschungsmanöver
Die Kritiker haben recht. Zwar bedeutet der Beschluss tatsächlich das Ende der Verbrennermotoren zumindest in Westeuropa, aber: der vorgesehene überlange «Bremsweg» mache, so die Kritiker, den Beschluss zu einer blossen Alibiübung. Überdies enthalte der Beschluss zu viele Schlupflöcher für die Autoproduzenten und -verkäufer.
So werden zwar Zwischenziele festgelegt, welche die Autoindustrie allerdings auch ohne EU-Regelung locker einhalten kann. So müssen bis 2030 die durchschnittlichen Emissionen von neuen Pkw um 55 Prozent, von Lieferwagen um 50 Prozent sinken. Da dieses Zwischenziel bloss für neu zugelassene Fahrzeuge gilt, werden die effektiven Emissionen weit weniger sinken.
Und 2035 ist auch nicht das Ende der Verbrennerautos auf der Strasse; es dürfen ab dann bloss keine neuen Benziner und Dieselautos verkauft werden. Wer vor 2035 ein Verbrennerauto kauft, kann dieses bis weit in die 2040er Jahre benutzen und dann auf dem Occasionsmarkt teuer weiterverkaufen. Mit anderen Worten: Das definitive Ende der Benzin- und Dieselfahrzeuge kommt erst Ende der 2040er Jahre, also zehn, fünfzehn Jahre später, als die Schlagzeilen suggerieren. Oder sogar noch später, denn: noch ist nicht entschieden, ob E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, die unter Einsatz von Strom meist aus Wasser und CO2 hergestellt werden, doch zugelassen werden könnten.
Auch sollen, so der Beschluss, sogenannte Nischenhersteller, die weniger als 1000 Fahrzeuge pro Jahr produzieren, auch weiterhin Verbrennerautos herstellen dürfen.
Eine grandios verpasste Chance, denn der Autoverkehr gehört mit über 20 Prozent neben den Sektoren Gebäude und Industrie nicht nur zu den grössten Treibhausemittenten, seine Emissionen liessen sich auch schneller, wirkungsvoller, unkomplizierter – und auch gerechter – reduzieren als bei den Gebäuden und der Industrie. Wäre da bloss nicht die übermächtige Autolobby, die in der Öffentlichkeit alles Mögliche verspricht und in den parlamentarischen Hinterzimmern zugleich dafür sorgt, dass sie diese Versprechen nicht einlösen müssen.
Schweiz: Wirkungsvolle Massnahmen statt Wunschdenken
Die Schweiz wird sich dieser EU-weiten Regelung nicht entziehen können, auch wenn die Autoimporteure einen «Sonderfall Schweiz» herbeizureden versuchen: Die «speziellen topografischen Verhältnisse» und die höhere Kaufkraft würden, so die Autoimport-Lobbyisten von AutoSchweiz, die bemitleidenswerten reichen Schweizer Automobilistinnen und -mobilisten gleichsam zwingen, übermotorisierte Verbrennerautos kaufen zu müssen. Bei gleicher Anstrengung könnten dieselben Ziele deswegen erst Jahre später erreicht werden als in der EU. Man solle, meint Bundesratskandidat und Präsident von AutoSchweiz Albert Rösti kürzlich, die Autoimporteure einfach machen lassen, dann komme eh alles gut. Tatsache aber ist: Obwohl die Auto-Importeure sich selber auf die Schulter klopfen und mit grossartigen Zuwachsraten bei den E-Mobilen gute Stimmung machen, verkaufen sie immer noch vier Mal mehr Verbrennen-Autos als E-Mobile.
Vielleicht aber würde man doch besser fahren, Massnahmen zu ergreifen statt auf ein Wunder zu hoffen. Denn es gäbe für die Schweiz konkret einen viel wirkungsvolleren, schnelleren Weg, die Treibhausgas-Emissionen des Verkehrs innert weniger Jahre radikal zu senken. Und dies ohne umständliche und zeitraubende Gesetzesänderungen, sondern lediglich durch einige neue Verordnungen, die vom Bundesrat erlassen werden könnten, so dieser denn auch für einmal den Mut hätte, dem Druck mächtiger Lobby-Gruppen zu widerstehen.
Vorschlag für einen «Swiss Finish»
Dieser Weg sei hier nur in seinen Grundzügen skizziert:
1. Ab sofort (das heisst: ohne Übergangszeit) gilt ein generelles Importverbot für alle PKW, die den durchschnittlichen Abgas-Grenzwert von derzeit 95g/km (nachfolgend der Einfachheit halber «Ü95» genannt) überschreiten. Ausgenommen von dieser Regelung wären lediglich Fahrzeuge, die sich bereits in der Schweiz befinden, also Ausstellungs- oder sogenannte Lager-Fahrzeuge, sowie Fahrzeuge, die zu diesem Zeitpunkt nachweisbar schon verkauft, aber noch nicht in die Schweiz geliefert worden sind.
(Mit dieser «ab sofort»-Regelung liesse sich verhindern, dass Autokäufer während der Übergangszeit noch schnell eine Ü95-Bolide kaufen und ihr alte Verbrenner-Auto auf dem Occasionen-Markt verhökern.)
2. Alle bisherigen Ausnahmeregelungen werden abgeschafft. Das gilt vor allem auch für den sogenannten Flottendurchschnitt, der es den Autoimporteuren ermöglicht, Fahrzeuge mit zu hohem Emissionswerten mit einer entsprechenden Anzahl von Fahrzeugen zu kompensieren, deren Emissionen unter dem Grenzwert liegen.
3. Die sogenannten Sanktionszahlungen, eine einmalige «Strafsteuer» für Ü95-Fahrzeuge, werden damit hinfällig, da generell (siehe oben) keine Autos mehr eingeführt werden dürfen, welche den gültigen Grenzwert überschreiten.
4. Statt den einmaligen Sanktionszahlungen werden alle in der Schweiz bereits zugelassenen Ü95-Fahrzeuge höher besteuert.
(Jeder Autokäufer weiss seit Jahren, dass die Grenzwerte eigentlich auch für sein Auto gelten. Es gibt kein stichhaltiges vernünftiges Argument, warum Fahrzeuge, die während ihrer ganzen 10- bis 15jährigen Lebensdauer zu viel Treibhausgase ausstossen, nur einmal beim Kauf für ihre ungesetzlich hohen Emissionen sanktioniert werden sollen. So wie niemand auf die absurde Idee käme, dass Autofahrer nur bei seiner ersten Geschwindigkeitsübertretung eine Busse bezahlen muss und danach alle Tempolimiten ohne Strafzettel überschreiten darf.)
Allen Interessen gedient – vor allem aber auch dem Klima
Mit einer solchen oder ähnlich einfachen Verordnung könnte, auch wenn die Autoimporteure und Liebhaber übermotorisierter Luxusboliden das vielleicht anders sehen, fast allen Interessen Rechnung getragen werden.
Die Autokäufer könnten immer noch so viele und so teure, prestigeträchtige Autos kaufen, wie sie wollen. Es gibt inzwischen genügend Fahrzeugmodelle in allen Preisklassen und Ausführungen, dass alle ein Fahrzeug finden können, das ihren Ansprüchen genügt.
Die Autoimporteure könnten alle ihre bereits in der Schweiz befindlichen und bereits bestellten Autos loswerden. Und sie dürften auch weiterhin alle Fahrzeuge anbieten, welche die vorgegebenen Grenzwerte erfüllen oder vollelektrisch angetrieben werden.
Der Staat bekäme durch die höhere Besteuerung aller Ü95-Autos viel Geld in die Kasse, mit dem er Ladeeinrichtungen und andere sinnvolle Massnahmen fördern könnte.
Und schliesslich das Klima, um das es ja vor allem geht: Die Verbote würden dafür sorgen, dass in allerkürzester Zeit alle neu zugelassenen Fahrzeuge den Grenzwert von 95g/km einhalten. Und: Die Anreize durch die höhere Besteuerung aller Ü95-Fahrzeuge würden zudem dafür sorgen, dass die immensen CO2-Emissionen des Verkehrs sehr schnell massiv sinken würden.
Vor dem EU-Beschluss müsste sich dann niemand fürchten und die Schweiz stünde ausnahmsweise zumindest in einem Sektor dort, wo sie sich derzeit bestensfalls hinträumt: in die Vorreiter-Spitzengruppe, die nicht nur von wirkungsvollen Massnahmen redet, sondern sie eben auch tatsächlich energisch umsetzt
Christian Rentsch
Und übrigens
Nur schon die Möglichkeit, dass ein zukünftiger Bundesrat Albert Rösti das UVEK übernehmen könnte, müsste für die Grünen, die SP, die GLP und zumindest einige National- und Ständeräte der FDP und der Mitte ein zwingendes Argument sein, seine Wahl zum Bundesrat zu verhindern. Albert Rösti war bis zu ihrer Auflösung 2018 Präsident der AKW-freundlichen «Aktion für eine vernünftige Energiepolitik (AVES)», von 2016 bis vor kurzem Präsident des Dachverbandes der Brennstoffhändler Swissoil und seit Mai 2022 Präsident der Vereinigung Schweizer Automobil-Importeure Auto Schweiz. Und damit einer der eifrigsten und mächtigsten Lobbyisten gegen eine wirkungsvolle Schweizer Klimapolitik.