Albert Rösti – Super-GAU, Erdölbaron, Wolf im Schafspelz – oder was?
Die Klimabremser machen mobil
Seit Albert Rösti Vorsteher des Uvek ist, wird in den Medien heftig debattiert: Wird er als Erdölbaron die die ganze Energie- und Verkehrspolitik der Schweiz umkrempeln? Die müssige Diskussion verdrängt die viel entscheidendere Tatsache, dass SVP-, FDP- und Mitte-Politikerinnen und -Politiker zusammen mit den mächtigsten Lobby-Verbänden des Landes unter dem Vorwand der «Strommangellage» mit allen Mitteln versuchen, die Klimapolitik in eine neue Richtung zu lenken.
Die Zürcher Nationalrätin Jacqueline Badran, eine der wenigen Sozialdemokratinnen, die sich hin und wieder erfrechen, statt dem üblichen Politsprech Klartext zu reden, hat ein bisschen recht: Die Wahl von Albert Rösti zum neuen Umwelt-, Energie- und Verkehrsminister ist der Super-GAU für die Schweizer Klimapolitik. Denn: Rösti, bis zu seiner Wahl in den Bundesrat einer mächtigsten Lobbyisten der Erdöl- und Autobranche, ein Befürworter von neuen Atomkraftwerken, kurz: in den vergangenen Jahren einer der vehementesten Bremser einer wirkungsvollen Klimapolitik, mag ein jovialer Kumpeltyp sein, als sogenannter Konsens- und Kompromisspolitiker gelten, aber: Er wird nicht über Nacht seine bisherigen Ansichten geändert haben.
Er wird sie, jetzt einfach als verkappter Lobbyist, durchzusetzen versuchen. Mit einem weitaus breiteren Instrumentarium als bisher. Und gewiss auch mit der Unterstützung der ebenso mächtigen neuen Finanzministerin, die sich bis anhin auch nicht als Klimaaktivistin hervorgetan hat.
Gegen den links-grünen Blindflug
Die Parteileitung seiner SVP hat, gewiss nicht ohne seine Einwilligung, gleich nach der Departementsverteilung im Klartext formuliert: Der Wechsel stoppe «endlich den von einer völlig verantwortungslosen links-grünen Ideologie geprägten energiepolitischen Blindflug».
Bloss: Kann der neue Energie- und Klimaminister tatsächlich irgendwelche «Blindflüge» stoppen? Wird er, wie die AKW-Gegner befürchten, tatsächlich zum «Erdölbaron», der die künftige Energiepolitik völlig umkrempeln kann?
Noch selten in den vergangenen Jahren sind solche Macht-Frage von den Medien so heftig diskutiert worden: Es wird gewarnt, gedroht, befürchtet und erhofft, auf- und abgewiegelt bis hin zur skurrilen, fast schon humorvollen Pointe, dass die rabiaten AKW-Freunde ihren Gegnern versichern, es sei doch alles nur halb so schlimm, weil Röstis Handlungsspielraum doch sehr begrenzt sei. Bestenfalls, so ihr Argument, könne der Departementschef Entscheide hinauszögern oder beschleunigen, letztlich aber entscheide nicht der «Ölbaron», sondern das Parlament – und allenfalls das Volk – über die Zukunft der Energiepolitik.
Der grössere Handlungsspielraum liegt bei den Verordnungen
Dabei verschweigen die politischen Kreidefresser, mitten unter ihnen auch der ehemalige SP-Nationalrat und selbsternannte Oberlehrer der Nation Rudolf Strahm, geflissentlich, dass die Handlungspielräume des Bundesrates vor allem auf der Ebene der Verordnungen immens viel grösser ist: Hier lassen sich Ausnahmeregelungen, Hintertürchen und Schlupflöcher einbauen, ohne dass das Parlament oder die Stimmbürgerinnen und -stimmbürger ein Wort mitreden können. (Man denke nur an die unsäglichen Emissionsvorschriften für Neuwagen, die es den Autoimporteuren ermöglichen, trotz strengen Abgasvorschriften auch weiterhin fast unbeschränkt grosse Benzin- und Diesel-Dreckschleudern in die Schweiz einzuführen.)
Dennoch ist es natürlich billiger politischer Leerlauf und überdies schlechter Stil, wenn die grünen Nationalrätinnen Aline Trede und Marionna Schlatter einen Watchblog «Wir schauen genau hin!» einrichten, der allein auf die Person von Albert Rösti zielt. Denn der Blog kolportiert nicht mehr als das, was ohnehin in jeder Zeitung steht; ausserhalb der eigenen Blase wird sich kaum jemand durch das offensichtliche Vor-Wahlkampf-Getöse beeindrucken lassen.
Röstis Begleittross macht mobil
Denn für die politische Meinungsbildung weitaus entscheidender als die tatsächliche oder behauptete Rolle des neuen Energie- und Klimaministers sind die vehementen Aktivitäten der AKW-Lobbyisten, die Morgenluft wittern und versuchen, den Bau neuer AKW wieder aufs Tapet zu bringen, ohne dass der neue Klima- und Energieminister selber dabei gross in Erscheinung treten müsste. Sie tun dies unter anderem mit einer Volksinitiative mit dem polemischen Titel «Blackout stoppen», als könne nur der Bau neuer Atomkraftwerke die die Schweiz vor einer drohenden Stromlücke retten.
Die «Blackout stoppen»-Initiative ist bloss ein Vorwand
Überdies: Man muss kein Kenner der politischen Ränkespielereien sein, um zu merken, dass die «Blackout stoppen»-Initative bloss ein Vorwand ist, um den Befürwortern einer wirkungsvollen Energie- und Klimapolitik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn auch die leidenschaftlichsten AKW-Lobbyisten wissen, dass es nach einer allfälligen Volksabstimmung frühestens gegen Ende der 2020er Jahre noch weitere zehn bis zwanzig Jahre dauern würde, bis ein neues Schweizer AKW ans Netz gehen könnte. Und dass die grossen Schweizer Energieunternehmen nicht im Geringsten bereit sind, ohne massivste Bundessubventionen Milliarden in eine so risikoreiche, unprofitable Technologie zu investieren. Milliarden, die, auf erneuerbare Energien, auf Fotovoltaik, Windräder und Staudammerweiterungen umgeleitet, jeden drohenden Blackout bei weitem effizienter und nachhaltiger verhindern könnten.
Kurz: Die «Blackout stoppen»-Initiative ist weder ein praktikables Rezept zur Lösung einer aktuell möglichen Stromlücke noch eröffnet sie eine langfristige Perspektive für eine bessere Energiepolitik. Denn: Entweder lösen wir die Probleme der Stromversorgung in den nächsten paar Jahren oder wir können sie überhaupt nicht mehr lösen. Was aber darüber hinaus weiterhin ungelöst bleibt, ist die Klimafrage. Denn Energie- und Klimapolitik sind bloss die zwei Seiten derselben Medaille: Ein Gaskraftwerk in Birr, Mini-AKWs, die bislang erst auf dem Papier existieren, und die Aussicht auf neue Gross-Atomkraftwerke in allzu ferner Zukunft ersetzen nicht eine konsequente Klimapolitik, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.
Das Mantra der Ewiggestrigen: Alle Macht dem Markt und der Eigenverantwortung
Dennoch bekommen die Gegner einer strikten Klima- und Energiepolitik derzeit massiv Schützenhilfen von den bürgerlichen Medien, vorab von der NZZ. Gleich reihenweise öffnet sie ihr Spalten all jenen Propagandisten, deren einziges Mantra die längst obsoleten These ist, dass die wundersame Hand des Marktes alle Probleme der Welt von alleine löst, wenn man sie bloss machen lässt.
Kaum ein Wort davon in dieser Flut von Gastbeiträgen und redaktionellen Propagandatexten, dass es genau dieser möglichst unreglementierte Markt war, der die Klimakatastrophe im wesentlichen mitverursacht hat. Und kaum ein Wort davon, dass die vielbeschworene Eigenverantwortung letztlich bloss ein Synonym für Egoismus und Profitgier ist, die nur gebändigt werden können durch verordnete Einschränkungen und klare Verbote. Und erst recht kein Wort davon, dass es vor allem der Mangel an kollektiver Verantwortung ist, der dafür sorgt, dass Armut und Reichtum weltweit und auch in der Schweiz dermassen krass ungleich verteilt sind.
Fürchtet Euch nicht: Gott macht Klimapolitik
Als Höhepunkt dieser zynischen Debatte lässt die NZZ gar den erzkonservativen ehemaligen Generalvikar des Bistums Chur Martin Grichting zu Wort kommen, der mit giftiger Spitze gegen die Klimaaktivistinnen und -aktivisten verkündet, der christliche Glaube habe «das Abendland» davor bewahrt, «das Paradies auf Erden selbst herbeizwingen zu wollen». Denn: «Gott hat alles Wesentliche schon getan.»
In der Frühjahrssession ab dem 13. März wird’s ernst
Wichtiger als Grichtings Gotteswort wird allerdings sein, was der Nationalrat ab dem kommenden 13. März in der Debatte um das «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» beschliesst. Denn dieser sogenannte «Mantelerlass», der das Energiegesetz und das Stromversorgungsgesetz zusammenbringt, entscheidet nicht bloss über das Tempo des Ausbaus der erneuerbaren Energien Wind, Wasser und Sonne sowie über den möglichen Bau neuer Atomkraftwerke, sondern indirekt eben auch, ob die Schweiz ihre Klimaziele noch erreichen kann oder nicht.
Vorsorglich haben die Grünen in der nationalrätlichen Umweltkommission einen Antrag gestellt, der neben klaren Ausstiegsdaten für die Atomkraftwerke Gösgen, Beznau und Leibstadt auch das Verbot neuer Atomkraftwerke definitiv festschreiben soll. Die Debatte in der kommenden Session wird vor allem im Hinblick auf die Volksabstimmung vom 13. Juni über das Klimaschutzgesetz, den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, von Bedeutung sein.
Christian Rentsch