Seit Freitag und bis zum 21. April befragt die FDP ihre 120’00 Mitglieder zur künftigen Klima- und Umweltpolitik. Die Parteispitze wolle, so erklärten Parteipräsidentin Petra Gössi und Fraktionschef Beat Walti, die «Stimmungslage ihrer Mitglieder kennen» lernen.

Um die Bedeutung der Befragung gleich wieder zu relativieren, betont die Parteileitung, die Befragung sei aber keine bindende Urabstimmung. Ohnehin, schreibt die NZZ, will die Parteileitung die Kontrolle behalten und entscheiden, in welchem Detaillierungsgrad sie Anfang Mai über die Resultate informieren wird. Mit anderen Worten: Die Parteigremien wollen sich nicht im Geringsten an die Meinung ihrer Parteimitglieder halten und können wie bisher auch weiterhin machen, was sie wollen. Eine «Begleitgruppe» wird die Ergebnisse auswerten und daraus eine freisinnige Positionierung erarbeiten, die am 22. Juni den Delegierten vorgelegt wird.

Da der 17seitige Fragebogen nicht veröffentlicht worden ist, sondern nur über einen Zugangs-Code für Parterimitglieder im Internet zugänglich ist, sind die Fragen nur rudimentär bekannt. Der Fragebogen beginnt offenbar mit allgemeinen Einschätzungen. So wird etwa gefragt, für wie wichtig die Mitglieder den Klimawandel und Umweltprobleme verglichen mit anderen Themen halten. Gefragt wird auch, ob die FDP-Mitglieder überhaupt an einen durch den Menschen verursachten Klimawandel glauben.

So können die Parteimitglieder laut der SDA-Meldung auf einer Skala von 1 – 6 wählen zwischen den Aussagen «Der Mensch hat heute einen relevanten Einfluss auf das Klimasystem» und «Klimawandel gab es immer, wir Menschen haben heute nur sehr wenig Einfluss darauf». Weiter können die Mitglieder angeben, ob sich die Partei mehr oder weniger für Klima- und Umweltschutz engagieren sollte. Klimapolitik als munterer Jekami-Spass!

Bei den etwas spezifischeren Frage können die FDP-Mitglieder angeben, wie stark die CO2-Emissionen gesenkt werden sollen und ob die Schweiz Massnahmen im Inland ergreifen soll, um die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen. Hier stellt, so die SDA-Meldung, der Fragebogen sogar ehrgeizigere Varianten zur Diskussion als das Pariser Abkommen verlangt, nämlich eine Absenkung der CO2-Emissionen auf Null bis 2030. Eine besonders originelle Frage lautet: «Wie viel Prozent Ihres eigenen Jahreseinkommens wären Sie bereit, zusätzlich für eine zielführende Klima- und Umweltpolitik zu bezahlen?» Nicht bekannt ist, ob der Fragebogen auch die Frage enthält, ob man bereit sei, auf einen übermotorisierten 4×4-Geländewagen oder SUV zu verzichten.

Im zweiten Teil können die Mitglieder laut SDA-Medlung vertiefende Fragen zu Verkehr, Gebäude, natürlichen Lebensgrundlagen, Industrie und Energie beantworten. Sie können dabei auch nur einzelne Themen auswählen. Abgefragt wird hier zum Beispiel, wie sich die Mitglieder zu einem Verbot von fossilen Heizsystemen für Neubauten stellen, welches die Partei bisher bekämpft hat.

Gefragt wird offenbar auch nach staatlichen Eingriffen in der Klimapolitik. Damit die Mitglieder aber nicht auf allzu böse linke Gedanken kommen, machten Gössi und Walti schon zum vornherein klar, dass die FDP weiterhin gegen Verbote und für Innovationen und Unternehmergeist einstehe.

Hat die FDP das Klima-Thema bloss schlecht «bewirtschaftet»?

Obwohl sich Gössi vehement gegen den Verdacht zur Wehr setzt, die erstaunliche Kehrtwende der FDP habe weniger mit einem neuen klimapolitischen Engagement zu tun als vielmehr mit wahltaktischem Opportunismus im Hinblick auf die kommenden Wahlen im Herbst, machen einige Statements doch etwas stutzig. So meinte Walti, das Einstehen für eigenverantwortliches Verhalten «verkaufe» sich kurzfristig nicht so gut wie der Ruf nach staatlicher Intervention, sei aber langfristig wirkungsvoller. Woher er erstens diese Gewissheit hat, und zweitens, wem er was «verkaufen» will, bleibt unklar. Wo hat denn die unverkäufliche Eigenverantwortung in den vergangenen Jahrzehnten ein grösseres gesellschaftliches, ökonomisches oder politisches Problem wirkungsvoll gelöst?

Und: Kaum jemand hätte den Verdacht, die FDP-Kehrtwende sei eigentlich bloss eine Marketing-Umfrage, deutlicher bestätigen können als Gössi selbst. Man sei tatsächlich etwas spät dran; sie hätte sich eine frühere Bewirtschaftung des Themas gewünscht. Dass die Bewirtschaftung eines Themas nicht heisst, dass man es auch lösen will, führen uns die SVP und ihre Demagogen seit vielen Jahren vor. Wie sie die Themen Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass bewirtschaften, hat nicht zum Ziel, diese Probleme zu lösen, sondern damit auf Stimmenfang zu gehen.

Was die NZZ, die mit den freisinnigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern gemeinhin einigermassen freundlich umgeht, von der Mitgliederbefragung hält, machte sie in der Samstagsausgabe klar; sie leistete sich eine ganz NZZ-untypische Ironie: «Eine halbe Stunde Klimapolitik» betitelte sie die Meldung über den Start der Mitgliederbefragung (der Titel ist in der Online-Ausgabe inzwischen abgeändert worden) . Etwas scheinheilig bezieht sich der Titel auf die Zeit, die es braucht, um den Fragebogen auszufüllen, was wohl kaum ein titelwürdiges Ereignis ist. Damit aber die Leserinnen und Leser den doppeldeutigen Witz richtig verstehen, beginnt der Text mit dem Hinweis: «Mit einer Umfrage ist zwar noch nichts für das Klima getan. Aber die FDP kann damit immerhin zeigen, dass sie das Thema ernst nimmt. So ist auch das Marketing rund um die Mitgliederbefragung zu lesen.» Mit einer halben Stunde ist man voll dabei …

Aber natürlich: Um herauszufinden, was nötig wäre, um die Klimaziele von Paris und Kattowitz zu erreichen, hilft es wenig, Klima-Laien gemäss dem Motto «Wie hätten Sie’s denn gern?» zu befragen. Was zu tun ist, wissen wir seit über 30 Jahren sehr genau; das sagen uns die Klimawissenschafter Jahr für Jahr mit zunehmender Dringlichkeit. Um im Bild zu bleiben: Wer mit dem Auto auf eine Mauer zurast, vertraut mit Vorteil besser dem Fachmann als den Beifahrer zu fragen, ob er es lieber mag, dass man auf die Bremse trete, einen Gang herunterschalte oder sich einrede, die Mauer sei bloss ein sozialistisches Hirngespinst. (CR)