Auch der Zürcher Gemeinderat diskutiert über die zukünftige Klimapolitik. Und dies gleich zwei Mal. Am 3. April ging es um eine Interpellation, welche die beiden Grünen Matthias Probst und Markus Kunz bereits am 11. Juli 2018 eingereicht hatten, und darum, eine Motion, welche die Fraktionen der SP, AL, der Grünen, Grünliberalen und EVP am 20. März dieses Jahres eingereicht haben, für dringlich zu erklären. Über die Inhalte der Motion, die in einen konkreten Auftrag an den Stadtrat münden kann, wird Anfang Mai debattiert werden. So glich denn die Diskussion am vergangenen Mittwoch eher einem Probelauf, einem ersten Messerwetzen vor dem grossen Streit.

2000 Watt-Gesellschaft, Pariser Klimaabkommen oder die Forderungen der Klimastreikbewegung?

Ziel der beiden parlamentarischen Vorstössen ist eine deutliche Verschärfung der energiepolitischen Strategie der Stadt Zürich, die unter dem Etikett 2000-Watt-Gesellschaft läuft. Das Konzept der 2000 Watt-Gesellschaft, das die Bevölkerung im November 2008 in einer Volksabstimmung beschlossen hat, sieht vor, dass der Energiebedarf pro Kopf bis 2050 auf durchschnittlich 2000 Watt gesenkt werden soll; das entspricht etwa einer Tonne pro Kopf. Derzeit liegt man bei 4,7 Tonnen pro Kopf und es ist ungewiss, ob man das Zwischenziel von 4 Tonnen bis 2020 erreichen wird. Gemäss dem Pariser Klimaabkommen aber sollen die CO2-Emissionen bis 2050 praktisch auf Null reduziert werden; die Klimastreik-Bewegung fordert, dass dieses Ziel bereits 2030 erreicht werden soll.

Die Interpellation Probst/Kunz

Mit ihrer im Juli vergangenen Jahres eingereichten Interpellation verlangen Probst und Kuhn Auskunft, inwieweit die städtische Politik heute dem Klimaabkommen von Paris entspricht. und sie wollen wissen, welche Massnahmen die Stadt respektive die einzelnen Verwaltungsdepartemente seit 2015 ergriffen haben oder ergreifen wollen, um das Pariser Klimaziel zu erreichen. Die neunseitige Antwort des Stadtrates fällt bemerkenswert detailliert, aber insgesamt doch eher defensiv aus. Grundtenor: Die Stadt Zürich betreibe mit dem Konzept der 2000 Watt-Gesellschaft schon seit 2008 einen weitaus ambitionierteren Klimaschutz als etwa der Kanton und der Bund. Aber: Mit Alleingängen lasse sich ambitionierter Klimaschutz nicht durchsetzen, es brauche dazu die Zusammenarbeit mit dem Bund, dem Kanton und internationalen Gremien, insbesondere aber auch das freiwillige Engagement der Wirtschaft und von Privaten. Der Stadtrat zählt zahlreiche Massnahmen, Masterpläne und Roadmaps in den verschiedenen Bereichen wie Verkehr, Energieversorgung, Gebäudesanierung, Kehrichtverbrennung, Informatik etc. auf.

Eher vage aber bleibt der Stadtrat mit Aussagen über die konkrete Umsetzung von wirksameren Massnahmen. Hier heisst es etwa: «Eine konsequente Ausschöpfung der Potenziale ist notwendig, um das aktuelle Ziel (der 2000 Watt-Gesellschaft) von 1 t Treibhausgasemissionen pro Person und Jahr 2050 (…) zu erreichen. Auch bei der Festlegung eines strengeren Klimaschutzziels verbleiben die Ansätze die gleichen, müssen jedoch schneller umgesetzt werden.»

Für Probst und Kunz aber gehen die Massnahmen der Stadt zu wenig weit. Der Tages-Anzeiger zitiert Markus Kunz: «Es braucht nun keine Ausweichmanöver mehr, es braucht einen Systemchange.» Das sehe auch Stadtrat Andreas Hauri (GLP) so: «Fast schon flehend», schreibt der Tages-Anzeiger, habe er gesagt: «Alleine schaffen wir das nicht. Wir brauchen die Unterstützung vom Bund und der Bevölkerung.»

Die NZZ zitiert Matthias Probst, Zürich sei nicht bereit zur Umsetzung des Abkommens von Paris. «Uns läuft schlicht die Zeit davon. Daher auch das Ziel 2030.» Forsch habe aber auch die Gegenseite reagiert. Rot-Grün ziehe das Thema ins Lächerliche, Alarmismus sei fehl am Platze, keiner glaube an einen Weltuntergang bis 2030. Den Linksgrünen gehe es um die «totale Einschränkung der Wirtschaft und des Konsums, um die Abschaffung der persönlichen Freiheit. Wenn das die Bevölkerung sehe, sei es bald wieder vorbei mit der grünen Welle.»

Auch der Tages-Anzeiger haut drauf – und ziemlich daneben

Auf eine eher seltsame Art hat sich am 3. April, also noch vor der ersten Debatte im Gemeinderat, der Tages-Anzeiger positioniert. Auf der Frontseite und im Lokalteil referiert er über die Entstehung der Klima-Motion der SP, AL, der Grünen und Grünliberalen und der EVP. «Tschüss Erdgasheizungen, willkommen Elektroautos» titelt er auf der Frontseite, und auf der Lokalseite zitiert er einige Gemeinderätinnen und Gemeinderäte sowie einen Vertreter von Greenpeace. Die Motion, so referiert er richtig, sei das Resultat eines inoffiziellen «Klimagipfels», zu dem sich linksgrüne Parteien, klimapolitisch aktive NGOs sowie klimastreikende Schülerinnen Ende Februar trafen. Dann folgen auf vielen Zeilen viele Vorschläge, was man denn so alles machen könnte; es ist die Rede vom Verzicht auf Erdöl- und Erdgasheizungen, von der kompletten Elektrifizierung des Stadtverkehrs, von kostenlosem ÖV, Solarzellen auf fast allen Zürcher Häusern, mehr Druck auf die Banken und so weiter. Das, so könnte man meinen, ist alles Inhalt dieser Motion. In einem Kommentar wirft dann Redaktor Marius Huber den Motionären «Klimapopulismus statt Klimapolitik» vor. Denn die Stadt habe gar nicht die Möglichkeit das Null-Ziel zu erreichen, da «wesentliche Treiber der kantonalen oder eidgenössischen Gesetzgebung unterliegen.» Wenn die Stadt Zürich aber allen suggeriere, dass sie das Nullziel allein erreichen könne, nehme sie bei allen anderen Druck weg. Und schliesslich bestehe die Gefahr, dass dann die Klimabewegten wieder «nach Hause gehen und sich dem gewohnten Lifestyle zuwenden würden statt dem Bohren harter Bretter.»

Aber seltsam: Schaut man sich den Originaltext der Motion an, findet man dort kein Wort von Tschüss Erdgasheizungen und Willkommen Elektroautos, von Solarzellen, Banken und anderen schönen Ideen. Und erst recht findet man kein Wort von einem Alleingang der Stadt Zürich. Die beiden entscheidenden Sätze heisst schlicht und einfach: «Die Stadt Zürich setzt sich im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Ziel, bis ins Jahr 2030 eine Reduktion des CO2-Ausstosses pro Einwohnerin und Einwohner und Jahr auf netto Null zu erreichen. Sie setzt sich dabei bei Kanton und Bund für die notwendigen Rahmenbedingungen ein und bezieht die Wirtschaft und Private aktiv mit ein.» Populismus klingt anders. 

Zunächst aber wird im Gemeinderat weiterdiskutiert. Wird die Motion der SP, AL, der Grünen, Grünliberalen und der EVP im Mai angenommen, muss der Stadtrat einen Vorschlag ausarbeiten für einen neuen Artikel in der Gemeindeordnung, sozusagen der Verfassung der Stadt Zürich. Zuletzt aber wird das Volk darüber abstimmen. (CR)