Ist die Schweiz nun ein Klima-Champion oder doch eher ein Drückeberger? Die NZZ hat für beide Ansichten in der gleichen Ausgabe eine passende Schlagzeile: «Schweiz steht bei CO2-Ausstoss gut da», heisst es auf der Frontseite – das macht trotz der mangelhaften Grammatik einen guten Eindruck. Im Wirtschaftsteil klingt es dann ein bisschen anders: «Ein Musterschüler nur auf den ersten Blick».

Zwar heisst es auch auf der Frontseite etwas vage, die «Volkswirtschaft» verursache mehr Treibhausgase im Ausland als im eigenen Land», trotzdem besteht die Wirtschaftsredaktorin Nicole Rütti darauf, dass «die Schweiz im internationalen Vergleich punkto Umweltindikatoren gut abschneidet. Laut der Interationalen Energie Agentur (IEA) ist ihr CO2-Ausstoss pro Kopf ist weniger als halb so hoch wie bei den übrigen Industriestaaten.» Und auch das: «Während die Bevölkerung sowie die Wertschöpfung stark gewachsen sind, sind die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger in der Schweiz seit 1990 um mehr als 10 Prozent zurückgegangen.» 

Natürlich verschweigt die NZZ im Wirtschaftsteil auch die andere Wahrheit nicht. Dass die Schweiz sehr viele schlechter dasteht, wenn man die sogenannte «graue Energie» mit einberechne, also jene (indirekten) Emissionen, die zwar bei der Produktion und beim Transport im Ausland anfallen, aber in der Schweiz konsumiert werden. So gerechnet liegt die Schweiz deutlich über dem weltweiten Durchschnitt. Nämlich nur wenig hinter den USA, aber noch vor Österreich und Deutschland. Macht man diese Rechnung auf, sind die CO2-Emissionen pro Kopf seit 1996 bis 2016 nicht gesunken , sondern im Gegenteil um 13 Prozent gestiegen sein. (Quelle: Bundesamt für Statistik)

Für die laut NZZ vergleichsweise positive Bilanz der Schweiz sind unter anderem die relativ hohe Energieeffizienz und ein CO2-armer Energiemix dank Kern- und Wasserkraftwerken verantwortlich. Ebenso die Dominanz des Dienstleistungssektors, der im Vergleich mit dem Industriesektor deutlich weniger energieintensiv ist.

Umso mehr aber ist die Schweiz auf den Import von Industriegütern angewiesen. Das heisst: Die Schweiz importiert sehr viele CO2-intensive Produkte und verursacht darum mehr CO2 im Ausland als im eigenen Land. Die NZZ zitiert hier aus einer Analyse der ETH Zürich, vermutlich jener von Nationalrat Bastian Girod, die nachweist, dass der weitaus grösste Teil der Umweltbelastung aus der Herstellung von Schweizer Produkten aus der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie in der ausländischen Zulieferkette anfällt Konkret entstünden rund 80% der Treibhausgas- und 95% der Feinstaubemissionen im Ausland.

«Zu Recht», findet die NZZ, «verweisen Energieexperten und Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse darauf, dass das grösste Potenzial für Emissionseinsparungen im Ausland liege. Deshalb fordert Economiesuisse unter anderem die Verknüpfung der Emissionshandelssysteme der EU und der Schweiz.

Das kann man mit gleichem Recht aber auch ganz anders sehen. Denn zum einen verschiebt sich das Problem, dass bis 2050 auch die im Inland anfallenden Emissionen auf Null sinken müssen, einfach auf später – und muss dann bei annähernd gleichen Kosten einfach innert sehr viel kürzerer Zeit gelöst werden. Und zum Zweiten: Mit Klimagerechtigkeit hat dieser Ablasshandel ohnehin wenig zu tun. Denn auch die Entwicklungs- und Schwellenländer müssen ihre inländischen Emissionen bis 2050 auf Null bringen. Verkaufen sie ihre kostengünstigsten Emissions-Sparprojekte ins Ausland, können sie diese nicht ihrer eigenen Energiespar-Bilanz anrechnen und bleiben gleichsam auf aufwendigsten und teuersten Anpassungsprojekten sitzen. (Dieser Teil des internationalen Emissionshandels ist noch ein Relikt des Kyoto-Protokolls, dass die Entwicklung- und Schwellenländer vollständig von Emissionseinsparungen ausgenommen hat.)

Umso stärker, schreibt die NZZ, pochen Umweltorganisationen wie der WWF auf ambitionierte inländische Massnahmen zur CO2-Reduktion. Gerade beim CO2-Ausstoss des Verkehrs oder der Gebäude, bei denen sich die Emissionen nicht ins Ausland auslagern lassen, sei eine aktive Klimapolitik unerlässlich. (CR)