Völlig unmöglich sei es, die gesamte Welt ausreichend mit grüner Energie zu versorgen, sagen nicht bloss Klimaskeptiker, sondern auch die selbsternannten «Realisten» in Politik, Wirtschaft und Medien. Eine gross angelegte seriöse wissenschaftliche Studie zeigt nun aber, dass das sehr wohl möglich ist.

Geht es wirklich ganz ohne Öl, Kohle, Gas und Atomkraft? Nur und ausschließlich mit erneuerbarer Energie? Das ist eine der schwierigsten und heikelsten Fragen in der ganzen Klimadiskussion. Denn woher, bitteschön, soll denn der Strom kommen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht? Forscher der Technischen Universität Lappeenranta in Finnland haben zusammen mit dem deutschen Umweltnetzwerk Energy Watch Group untersucht, ob und wie das Energiesystem komplett grün werden könnte – und zwar weltweit.

Das spektakuläre Ergebnis der 300seitigen Untersuchung: Bis spätestens 2050 sei es tatsächlich möglich, die gesamte Energie zu hundert Prozent aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen, und das in allen Regionen der Erde und zu jeder Stunde des Jahres.

Das Besondere an dieser neuen Studie, das zeigt die deutsche Zusammenfassung, ist der neue methodische Ansatz und die enorme Datenmenge der Analyse: So arbeiteten die Forscher nicht wie bisher üblich mit globalen oder allenfalls sehr «weitmaschigen» Durchschnittswerten, sondern teilten die Welt auf in 145 Regionen und verglichen unter anderem die konkreten Wind- und Wetterverhältnisse sowie die genaue Daten zu Wasservorkommen und Infrastruktur. Und: Anders als andere nutzten sie keine Jahresdurchschnittswerte, sondern stundengenaue Wetterdaten eines Beispieljahres. Das erlaubte ihnen, Engpässe auszumachen und Möglichkeiten aufzuzeigen,wie man diese überbrücken kann. Das Fazit, so zitiert die ZEIT Christian Breyer, den wissenschaftlichen Leiter der Studie und Professor für Solarwirtschaft an der Universität von Lappeenranta: «Energiesicherheit ist gewährleistet, auch wenn man komplett auf Erneuerbare umstellt.».

Wie die ZEIT weiter schreibt, errechnete ein Hochleistungscomputer, welcher Energiemix in der jeweiligen Region möglich ist. In Deutschland würde zum Beispiel der Großteil der Energie aus Solar- und Windkraft gewonnen werden, der Rest aus Wasserkraft, Biomasse und Geothermik. In Ländern wie der Schweiz, wo sich viele Flüsse und Seen stauen lassen, wäre dagegen Wasserkraft eine der wichtigsten Energiequellen.

Eine wichtige Rolle spielen synthetische Kraftstoffe

Gemäss der Studie müssen spätestens ab 2035 die Kapazitäten zur Brennstoffumwandlung für Produktion sogenannter synthetischer Kraftstoffe wie Wasserstoff sehr stark ausgebaut werden. Da sich diese speichern lassen, können mit ihnen sogenannte Dunkelflauten, wo weder Wind weht noch die Sonne scheint, überbrückt werden.

Langfristig bleiben die Energiekosten weitgehend stabil

Die Studie, das zeigt die Zusammenfassung, widerlegt auch das Argument vieler Politiker und Klimaskeptiker, erneuerbare Energien seien viel zu teurer und würden massenhaft Arbeitsplätze vernichten. Tatsächlich, so zitiert die ZEIT Christian Breyer, sei das Gegenteil der Fall: «Die Erneuerbaren werden sogar günstiger als die fossilen Energien.» Zwar müsste am Anfangs mit hohen Investitionen gerechnet werden, insgesamt mit etwa 67,2 Billionen Euro weltweit. Die langfristigen Energiekosten für ein vollständig nachhaltiges globales Energiesystem aber bleiben, so die Untersuchung, während des Übergangs von 2015 bis 2050 stabil zwischen 50 und 57 €/MWh. Die Arbeitsplätze im Stromsektor würden ebenfalls wachsen, weltweit bis 2050 um 15 Millionen Stellen.

Die Studie, so Breyer, zeige, dass eine vollständige Energiewende machbar und sogar wirtschaftlich rentabel sei: «Jetzt kommt es einzig und allein auf den politischen Willen an.» Die ZEIT zitiert aber auch Andreas Löschel, Professor für Energieökonomik an der Universität Münster. Die Studie sei wertvoll, um abschätzen zu können, was technisch und ökonomisch möglich ist, sagt er. «Aber viele Probleme kommen bei der Umsetzung.» Darüber wird in den nächsten Jahren zweifellos heftig gestritten werden. Und es wird auch zahlreiche Korrekturen, Präzisierungen und Differenzierungen an den Ergebnissen der Studie geben. Entscheidend aber bleibt: Es geht tatsächlich ohne Öl, Gas, Kohle und Atomkraft. Wer das bestreitet, muss in Zukunft bessere, stichhaltigere Argumente und vor allem genauere, belastbare Daten haben als diese Studie. (CR)